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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Wagner habe die Musik degradirt, von einer Herrin zur Dienerin gemacht: das ist ein complicirter Irrthum.

Die Mangel der alten Opernform sind von den früheren Componisten ebenfalls empfunden worden. Man suchte sie zu beseitigen, indem man die Musik in ihrer Selbstherrlichkeit beschränkte und ihr Schweigen gebot, wo sie das Drama stören wollte. In diesem Sinne reformirte Gluck. Einen Schritt näher an Wagner heran tritt Spontini, welcher die dramatische Kraft der Musik selbst zu benutzen suchte, allerdings nur innerhalb ihrer beiden hergebrachten Grundformen. Es ist Einer vorzüglich, der an dem Schema selbst ernstlich zu rütteln begann, nämlich Karl Maria von Weber im ersten Auftritte der „Euryanthe“, welcher uns Recitativ und Arie in einer Mischung von bisher unbekannter Freiheit zeigt. Auch in der Wiederholung dramatisch bedeutungsvoller Musikmotive zeigt diese Oper Verwandtschaft mit der Weise Wagner’s. Wenn aber dieser glücklicher war, als seine Vorgänger, so liegt dies daran, daß er in seiner Person die Thätigkeit des Musikers mit der des Dichters vereinigte.

Für alle dramatischen Trivialitäten der alten Oper muß den Männern, welche die Libretti verfaßten, ein Theil der Verantwortung zugeschoben werden. Voll des besten Willens, dem Componisten gefällig zu sein, waren sie zugleich meistens ohne die volle Einsicht in die Fähigkeiten der Musik und dienten zweien Herren, von denen sie den einen so gut wie gar nicht kannten.

Mit jenen Librettisten hat nun Wagner allerdings nichts gemein. Geben wir herzhaft zu, daß er ein wirklicher Dichter ist! Wer sich bei Stabreimen und bei Wortbildungen aufhalten will, kann freilich finden, daß z. B. Wilhelm Jordan jene eleganter handhabt und daß diese bei Wagner oft abstoßen. Man kann dagegen aber auch anführen, daß Wagner’s Stäbe für den Gesang sehr bequem und daß seine neuen Wörter in der Mehrzahl von großer Anschaulichkeit sind. Mag man ferner auch die Aehnlichkeit seiner Figuren; das Gewagte in manchen seiner Situationen beanstanden. Wichtiger ist jedenfalls, daß Wagner nur darstellen will, was der Darstellung werth ist, und daß er darzustellen weiß, was er will. Im Gegensatze zu dem aufdringlichen Wirrwarr vieler Opern fällt gerade an Wagner’s Dramen die Knappheit der Handlung, die Einfachheit des Aufbaues, ihre scenische Sparsamkeit und Genialität auf. Oft ist ein ganzer Act nur ein einziges Bild. Kein Knäuel von Intriguen; ein Conflict, klar und deutlich zum Herzen sprechend, und die Lösung zuweilen von jener Tragik, welche Aristoteles im Auge hatte, als er „Furcht und Mitleid“ vom Drama verlangte. Dem „Ring des Nibelung“ ist von jener dramatischen Meisterschaft das geringste Theil geworden – das größte wiederum jenem „Tristan“, dem wir schon in anderer Beziehung die erste Stelle unter Wagner’s Werken anweisen mußten.

Mit Ausnahme der „Meistersinger“ zieht durch alle Dramen Wagner’s ein leiser Ton; in allen klingt das hohe Lied der Liebe durch, jener geheimnißvollen Macht, welche Menschen beglückt und verdirbt. Indem er ihrer weltbewegenden Kraft nachspürte, fand Wagner das moderne Publicum willig, ihm auch auf den sagenhaften Boden entlegener Zeiten zu folgen, und vermochte es, in dem heutigen Geschlechte für eine vergessene Cultur dasjenige allgemeine und starke Interesse zu wecken, welches die begeisterten Kenner und Erforscher dieser Vorwelt vergeblich ersehnten. Mit einem solchen Dichter ergänzte sich aber in Wagner ein Componist von ungewöhnlicher Kühnheit und glühendem Feuer; Beide halfen sich auf Schritt und Tritt und zwar schon beim Entwurfe des Dramas.

So kam Wagner, indem er von zwei ihm gleichzeitig verliehenen Fähigkeiten einen natürlichen Gebrauch machte, ganz von selbst auf sein System. Es kam vorzugsweise dem Recitativ zu Gute und bot das Mittel, diesen bisher geringschätzig behandelten Theil der Oper mit dem anderen gleichwürdig zu machen und damit der Oper die ihr fehlende Einheit des Materials, des Ausdruckes und des Interesses zu gewinnen. Unter denen, die diesem Wagner’schen Recitativsystem auf dem Gebiete der Oper bereits gefolgt sind, seien Hermann Götz mit „Der Widerspänstigen Zähmung“ und August Klughardt (im „Iwein“), im Auslande Verdi mit der „Aida“ genannt. Im Liede durch Schubert („Winterreise“) und Schumann („Dichterliebe“) bereits vorbereitet, hat die Wagner'sche Methode neben Liszt namentlich durch Cornelius Anwendung gefunden, welcher auch, gleich Wagner, seine Gedichte zum größten Theile selbst verfaßte.

Bei der Art, in welcher in den Werken Wagner’s Dichter und Componist sich in die Erfindung und Durchführung des Planes theilten, durfte allerdings der Musiker eine größere Freiheit in Anspruch nehmen und darauf rechnen, daß manche seiner Exclamationen und kurzen Bemerkungen, manche Subtilität und mancher Ausbruch der Ekstase, der in einem absolut musikalischen Kunstsatze unerklärlich sein würde, aus der Dichtung als naturgemäß und nothwendig begriffen und verstanden werden könne. Aber auch der Dichter des Worttextes einer Wagner’schen Oper prätendirt nicht einen vollständigen Bericht der Handlung zu geben, da viele ganz wichtige Momente der Erläuterung und Darstellung durch die Instrumente vorbehalten bleiben. Man geht immer wieder in der Irre, wenn man, wie dies wohl eine alte Oper verträgt, sich nach dem Textbuche ein Urtheil über den Sinn oder Unsinn eines Wagner’schen Dramas bilden will.

Auf derselben engen Verbindung von Dichter und Musiker, welche die neue Form seiner Opern veranlaßte, beruhen auch die großen Wirkungen der Wagner’schen Werke. Auf ein besonders angestrengtes Aufgebot äußerer Klangmittel lassen sich dieselben nicht zurückführen; denn englisches Horn und Baßclarinette haben auch andere Componisten angewendet; auch andere haben Melodien für die Posaunen geschrieben, haben die Streichinstrumente in ein mächtiges Unisono geballt und mit Bläsern und Geigern die höchsten Klangregionen aufgesucht. Was wirkt denn – um ein Beispiel zu bringen – in jener bekannten Scene des „Lohengrin“, wo Elsa die verbotene Frage thut, erschütternd? Einzig dies: daß in dem Momente, wo das arme Weib Alles verloren, das Orchester an die Stunden ihres höchsten Glücks erinnert.

In seinen ersten Opern macht Wagner von jenen Neuerungen nur einen sparsamen Gebrauch. Da giebt es noch Arien, Duette, Terzette, Ensembles und alle die selbstständigen Musikformen, welche das Wesen der Oper nicht bilden. Am Dialoge betheiligt sich das Orchester noch ziemlich leicht faßlich, fast wie nur gelegentlich, einsetzend, andeutend und in kurzen Brocken. Erst in seinen späteren Werken beschränkt er die Arienform auf das dramatisch Nöthige und macht die Instrumente zu mächtigen Mitspielern.

Zeitweise überträgt er ihnen hier auch ganz selbstständig die Erzählung von der inneren Geschichte der dargestellten Handlung. Am deutlichsten ist dies im ersten Acte der Walküre wahrnehmbar. Die Entstehung von Sieglinde’s sträflicher Liebe ist hier allein aus dem Orchester herauszuhören. Die Instrumente entschuldigen sie zugleich, indem sie uns den Uebergang von Mitleid zu Liebe so rührend verdeutlichen.

Nach dem „Lohengrin“ hat Wagner den Weg, welchen er bis dahin dem Anscheine nach unbewußt eingeschlagen, mit großer Entschiedenheit bewußt verfolgt und einer Verwechselung seiner folgenden Werke mit der alten Oper vorzubeugen gesucht, nicht nur als Componist, sondern auch als Schriftsteller und Theoretiker. Er verfaßte eine Reihe von theoretischen Werken, deren wichtigste die beiden Bücher sind, welche den Titel führen „Oper und Drama“ und „Das Kunstwerk der Zukunft“. In dem ersteren erklärt und begründet er seine eigene Methode; das andere beschäftigt sich meist mit der Kunst im Allgemeinen. Hinter diesen Werken steht ein Mann, der die Kunst ernst nimmt, der von der Ueberzeugung beseelt ist, daß sie eine Erzieherin der Menschheit ist und dem Volke zu Gute kommen muß. Von diesem Standpunkte aus hat sich Wagner wiederholt auf das Gebiet der Socialpolitik begeben, nicht als Anhänger einer Partei, sondern im Sinne Plato’s und Schiller’s.

Für das Verständniß seiner Kunstwerke hat Wagner übrigens durch seine Schriften direct leider wenig erreicht. Von dem ganzen großen Werke über „Das Kunstwerk der Zukunft“ zeigt sich in der weiteren Oeffentlichkeit nur eine einzige Spur in dem Spottnamen „Zukunftsmusik“. In der That fehlt es diesen Werken nicht an Paradoxen, und ein frei denkender Musiker kann das Todesurtheil nicht acceptiren, welches dort über die sogenannte absolute Musik ausgesprochen wird, wie auch die Vertreter der anderen Künste ebenfalls die Gründe nicht einsehen können, aus denen die Selbstständigkeit jeder einzelnen Kunst zu Gunsten des einzigen Theaters aufgegeben werden soll. Die Ausschließlichkeit jener Theorien, der Fanatismus, mit welchem Menschen und Thatsachen durch dieselben mitgespielt wird, erbittert und stößt ab. Man versteht und entschuldigt diesen Charakter von Wagner’s Schriften, wenn man bedenkt, daß sie ein feuriger, heißblütiger Künstler verfaßte, theilweise in einer harten Zeit des Verkanntseins und der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_751.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)