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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Gehaltsforderungen. Auch in Oberösterreich schlug die Kriegslohe auf; Bauern und Protestanten belagerten Linz, und nach dem Entsatze wurden die Protestanten auch aus diesem Lande verjagt. 1628 ertheilten die Stände Oberösterreichs Keplern den erbetenen Abschied in freundlicher Weise mit materieller Unterstützung, von Kaiser Ferdinand aber wurde er hinsichtlich seiner Forderungen an das Land Mecklenburg und den Herzog Wallenstein verwiesen. Da er aber den bekannten astrologischen Träumereien des Letzteren nicht willfährig war, ließ dieser ihn unbefriedigt, und um ihn los zu werden, verlieh er ihm eine Professur an der Universität zu Rostock; nachdem er auch hier in größtem Mangel ein Jahr verlebt, machte Kepler sich auf den Weg nach Regensburg, um vor dem versammelten Reichstage abermals die Auszahlung des Rückstandes zu betreiben. Es war seine letzte Reise, sein letzter Appell an das Reich. Am 15. November 1630 fand er in dieser Stadt die ewige Ruhe.

In einem so sturmbewegten Leben, umtobt von der Wuth des Fanatismus und den Flammen des Krieges, spielte sich die unglaublich reiche wissenschaftliche Thätigkeit unseres Kepler ab. Neben einer ausgedehnten Correspondenz mit den damaligen Koryphäen der Wissenschaft, neben der Abfassung vieler geistreicher Kalendarien, neben Untersuchungen über Lichtzerstreuung, den Bau des Auges, das astronomische Fernrohr, Mond- und Sonnenfinsternisse, Kometen, einen neuen Stern etc., neben der Aufstellung der vorerwähnten astronomischen Tafeln welche für sich allein schon die Arbeit eines Menschenlebens bilden – neben alledem schuf Kepler im Anschluß an die Lehre des Copernicus durch die Entdeckung dreier nach ihm benannter Gesetze der Planetenbewegung die Grundlage der neueren Astronomie.[1] Seine Werke hierüber werden für alle Zeiten ein Muster von Fleiß, Ausdauer und wunderbarem Scharfsinn bleiben; sie können sich dem Besten, was die Wissenschaft geleistet hat, würdig an die Seite stellen. Viele Jahre lang hat Kepler unermüdet astronomische Rechnungen durchgeführt, um zu seinen Gesetzen zu gelangen; es erscheint als eine wahre Riesenarbeit, wenn man bedenkt, daß er ohne die Hülfsmittel der neueren Mathematik arbeiten mußte. Aber ihm standen auch mächtige Geisteskräfte zu Gebote: eine ewige Frische der Speculation und eine heilige Begeisterung für die Wahrheit. In dem Haupte dieses Mannes flammte ein Geist zur Weltleuchte empor, denn keine Noth der Erde zu ersticken vermochte. Nie hat Urania einen begeisterteren Jünger gehabt, und nie wurden die an sich nüchternen Resultate der Wissenschaft mit größerem Feuer verkündet. Durch die Schriften unseres Geisteshelden weht der warme Hauch des tiefen, wir können sagen deutschen Gemüthes. Da ist er unerschöpflich in dichterischen Gleichnissen, Bildern und rhetorischen Wendungen; da ist er bald ein feuriger Lobredner seiner Wissenschaft; bald klingt es wie ein Jubelgesang, und dann wieder verströmt er seine Andacht in einem Gebete. Ein großes Ideal war es, das die Seele dieses Mannes erfüllte und ihm die Kraft und den Ausgangspunkt für seine Werke gab. Dieses Ideal war der Glaube an die Harmonie der Welt, eine von Pythagoras und Platon aus dem Wohlklang der Töne abgeleitete Idee, welche Kepler im christlichen Sinne auffaßte. Dieser von ihm mit Begeisterung aufgenommene Gedanke gab ihm die Kraft, immer und immer wieder mit dem Wuste der überlieferten Meinungen und den Beobachtungsresultaten zu ringen, bis endlich sein klarer Geist dieselben nach den schwierigsten mathematischen Ueberlegungen erleuchtete. Ohne dieses hätte er nichts erreicht, und durch diese Kraft idealer Begeisterung zeichnete er sich vor seinem großen italienischem Freunde Galilei, dem Begründer der neueren Mechanik, und seinem Nachfolger in der Astronomie Isaak Newton, dem Stolze Englands, aus. Aber gerade wegen dieses idealen Aufschwunges seines Geistes wurde er auch lange Zeit nicht verstanden. Der eben erwähnte Galilei sagt von ihm: „Ich habe Kepler wegen seines vorurtheilsfreien und feinen Verstandes geschätzt; seine Art zu philosophiren war aber von der meinigen verschieden.“ Viele Andere mußten sich zwar dem Erfolge von Kepler’s Arbeiten beugen, konnten aber nicht begreifen, wie man bei solchen, nach ihrer Ansicht leeren Träumereien und absurden Phantasien zu so glänzenden Entdeckungen gelangen konnte. Erst in der neueren Zeit haben ihn sowohl Deutschland wie auch Frankreich und England mehr zu würdigen gelernt, insbesondere da sich herausgestellt hat, daß manche jener sogenannten Träumereien die Geistesblitze des Genies waren, die weit über Jahrhunderte in der Entwickelung der Wissenschaft voraus griffen und nun als Wahrheiten anerkannt werden.

Dahin gehört unter Anderen sein vielberühmter, von der neueren Forschung durchaus bestätigter Ausspruch über die Kometen, daß nämlich der letzteren so viele im Weltraume seien, wie Fische im Meere. Ein Aehnliches vielleicht auch könnte von den Ansichten Kepler’s über die Astrologie gelten, wegen deren man noch immer einen Fleck auf seiner wissenschaftlichen Bildung sehen will. Er hat zu wiederholten Malen erklärt, daß er die Sterndeuterei und das Horoskopstellen seiner Zeit für Thorheit erachte, war aber von einem Einfluß der Planeten auf die schaffenden Kräfte der Erde überzeugt. Aber zu denselben Schlüssen gelangten auch Viele nach Kepler, und in der neuesten Zeit suchte man z. B. mit statistischen Mitteln den Einfluß der auftauchenden und wieder verschwindenden Sonnenflecken auf nasse und trockene Jahre, auf gute und schlechte Ernten nachzuweisen. So hat auch hierin vielleicht der tiefschauende Geist des großen Astronomen richtig geahnt, des deutschen Astronomen, welcher so gut zu träumen verstand.

Wir können hierbei eine Bemerkung nicht unterdrücken: Man sagte und sagt uns hin und wieder noch heute, daß wir ein Volk von Träumern seien. Nun wohlan! Kepler, vor dessen Geist sich die Welt endlich beugen mußte, ist der Typus eines deutschen Träumers. Und doch lebte er nicht nur tief im Reiche des Gedankens, sein feuriger Geist bethätigte sich vielmehr auch im öffentlichen Leben. Mit der ihm eigenen Offenheit verfocht er die den Katholiken und Protestanten gleich verhaßte copernicanische Lehre; er verwarf frei die Autorität der Bibel in wissenschaftlichen Dingen, indem er sagte, daß sie kein Lehrbuch der Optik oder der Astronomie sei, und trat gegenüber seinen widerstrebenden Glaubensgenossen für den gregorianischen Kalender ein. Diese öffentlichen Kämpfe gegen mächtige religiöse Vorurtheile seiner Zeit führen uns auf das Verhältniß Kepler’s zur Religion. Wir hätten im Eingange dieser Studie nicht sagen können, daß er den vollen Pulsschlag des deutschen Geistes in sich gefühlt habe, wenn er in Sachen der Religion indifferent gewesen wäre. Bei all seiner erhabenen Begeisterung für die Astronomie war unser Kepler auch ein nicht minder eifriger Glaubensstreiter. Er war mit Leib und Seele ein Mann des sechszehnten Jahrhunderts, jenes Jahrhunderts, in dessen Verlauf aus der Tiefe des deutschen Gemüthes der freie Geist des Protestantismus, die freie Selbstbestimmung in Glaubenssachen so mächtig heraufquoll. Gerade in Kepler’s Zeit fallen die ersten der furchtbaren Kämpfe, in welchen dieses protestantische, dieses germanische Princip um seine Existenz rang. Aus romanischen Geiste war um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts eine Geistesregel aufgetaucht, die ihren schärfsten Ausdruck im Jesuitismus gefunden hatte; sie kannte statt der freien Selbstbestimmung nur den unbedingten Gehorsam und die willenlose Hingabe des Einzelnen an die Kirche. Die fluchbeladene Gesellschaft Jesu führte damals den Kampf gegen die deutsche Reformation. Es ist bekannt, mit welchen Mitteln und mit welchem verderblichen Erfolge sie dies that; denn mit Gewalt führte sie ganze vorher protestantische Länder dem Katholicismus wieder zu, Alles niedertretend, was sich hier nicht fügen wollte. Da hatte der Protestantismus viele Tausende von Märtyrern. Auch Kepler war ein solcher. Während seines Aufenthaltes in Graz wurden die Protestanten in Steiermark anfangs hart bedrückt. Kepler stand zu ihnen und ließ eine selbstverfaßte Trostschrift unter ihnen circuliren, und als dann weiter, wie oben bereits erwähnt, die Anhänger seines Glaubens vertrieben wurden und man ihm ausnahmsweise noch den Verbleib gestattete, weil wahrscheinlich einflußreiche, ihm befreundete Jesuiten ihn zu sich herüberzuziehen gedachten, da verließ Kepler seine Stellung und die Güter seiner Frau und wanderte lieber in eine ungewisse nothreiche Zukunft, als daß er der Fahne des freien Geistes abgeschworen hätte. In Linz wiederholte sich später derselbe Vorgang.

Das vorerwähnte Princip des Protestantismus verfocht Kepler aber auch gegen seine eigenen Glaubensgenossen. Freimüthig trat er schon als Jüngling für die Gewissensfreiheit gegenüber dem tyrannischen Kirchendogma auf; er widersetzte sich an der orthodox-lutherischen Universität Tübingen, wo damals der Abendmahlsstreit zwischen Calvinisten und Lutheranern viel Staub aufwirbelte,

  1. Durch diese Gesetze bewies Kepler, daß sich die Planeten nicht in Kreisen, wie Copernicus lehrte, sondern in Ellipsen, in deren einem Brennpunkte die Sonne steht, bewegen, und vervollkommnete hierdurch das Copernicanische System.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_759.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)