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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


ich mir doch immer gewünscht, einmal dort auf unserm freundlichen Gottesacker unter den Brüdern und Schwestern ruhen und zu unseres Herrn Freude eingehen zu können!“

Nun hatte er auch das Glück, Carmen oftmals auf Tage bei sich zu haben. Es war in dem Hause geworden, wie sie es sich ausgemalt hatte; ihr Zimmer grenzte an das seinige; es waren Blumen darin, die er sorgsam für sie pflegte, und ein behagliches Plätzchen, wo sie trauliche Stunden verlebten. Aber mit dem fürchterlichen Geheimniß, das sie in Gemeinschaft mit dem Vater tragen mußte, war ein tiefer Ernst über sie gekommen, der ihre sonst übersprudelnde Lebendigkeit und Heiterkeit hemmte, und Alexander fragte sich oft, ob es wohl die Liebe und Sehnsucht sei, die sie für ihn empfinde, welche den Glanz unbefangenen Frohsinns von ihr genommen, der sonst wie Sonnenschein auf ihr gelegen.

Und dieser ihr früher so fremde Ernst wich auch dann nicht von ihr, als bald nach dem Weihnachtsfest ihre Hochzeit gefeiert wurde und Mauer ihr eröffnete, daß er das bedeutende Vermögen, welches er von Inez geerbt, von seinem Besitzthum getrennt habe, um es schon jetzt seiner Tochter zu übergeben, der es von Rechtswegen einmal gehöre.

So blieb denn das junge Paar, nachdem Alexander vom Heere seinen Abschied genommen, in Wollmershain, und Mauer war froh in dem Gedanken, seine Tochter sich für immer nahe zu wissen.




12.

An einem trüben Novembertage, der Alles in melancholisches Grau hüllte, geschah es, daß der in der Colonie jetzt wohlbekannte Trautenau'sche Landauer, mit den Füchsen davor, durch die leblosen Straßen dahergejagt kam und am Ende des kleinen Ortes vor dem Hause Mauer's anhielt. Die Pferde standen kaum, als auch schon, den Schlag öffnend, Alexander heraussprang und Carmen aus dem Wagen hob, deren Gesicht Spuren frischer Thränen trug.

„Sei muthig, liebes Herz!“ bat er.

„Ich habe ja Dich und das Kind,“ antwortete sie warm und wendete sich besorgt zum Wagen zurück, aus dem sich jetzt eine Dienerin beugte; sie trug einen kleinen Knaben auf dem Arme.

Carmen nahm ihr das Kind ab und küßte dieses zärtlich. Der Kleine schlug die Händchen in einander und lachte fröhlich auf, als die Mutter ihn nahm; dann sahen unter dem blonden Lockengeringel des Köpfchens ein paar mächtig große, schwarze Augen verwundert auf die fremde Umgebung und auf die dunkle Gestalt im weißen Häubchen, welche jetzt in der geöffneten Hausthür erschien.

Carmen erschrak, als sie in Letzterer Schwester Agathe erkannte.

„Ich komme wohl schon zu spät?“ rief sie angstvoll.

„Nein, liebe Carmen, er lebt noch,“ beruhigte die treue Pflegerin. „Aber es geht rasch mit ihm zu Ende, seitdem er heute Morgen den Anfall gehabt. Er war ja in der letzten Zeit schon immer so hinfällig, daß man vorbereitet sein mußte, ein schneller Tod werde einmal plötzlich den schwachen Lebensfunken auslöschen. Er hat sehnsüchtig nach Dir verlangt, seitdem er wieder Besinnung hat. Schwester Ursula schickte gleich nach mir, damit ich Dich benachrichtige, da Bruder Jonathan gerade über Land zu der Müllerin im Buchengrund gerufen worden war und sie für Deinen Vater den andern Arzt zu Hülfe nehmen mußte.“

„Wie gut bist Du doch, liebe Agathe!“ sagte Carmen, ihr gerührt die Hand drückend.

Sie waren in das Haus getreten. Alexander blieb mit dem Kinde im Nebenzimmer zurück, während Carmen sich sofort zum Vater begab. Man hatte das Bett des Kranken von der Wand ab, mehr gegen das Fenster gerückt und dieses geöffnet, da er Athembeschwerden hatte. Jetzt ruhte er still, als ob er schlafe, die Hände über die Brust gekreuzt, und auf seinem Gesichte lagen schon die Schatten des Todes, – Carmen erschrak, als sie ihn so verändert sah.

„Mein lieber Vater, ich bin bei Dir; erkennst Du mich, Deine Carmen?“ fragte sie und kniete an seinem Lager nieder.

Bei dem Klange ihrer Stimme öffnete er die Augen, und ein mattes, freudiges Lächeln glitt über die schon starren Züge.

„Mein Kind, bist Du da? Nun mag der Befreier kommen!“

„Vater, laß uns hoffen, daß Dich Gott uns noch erhält!“ sagte Carmen bewegt.

„Nein, mein Liebling, laß uns hoffen, daß er mich nun endlich erlöse; denn mich verlangt, ach so sehnsüchtig, nach seinem Frieden,“ sagte er mit schwacher Stimme. „Carmen, ein schuldig Gewissen ist wie ein Scorpion, der uns innerlich ewig martert und um alle Ruhe des Daseins bringt. Darum halte Dein Herz rein, mein Kind, und Gottes Gebote Dir immer vor Augen, auf daß Du nicht gegen sie sündigst! Laß mich Dich in den Schooß unserer Gemeine noch zurückziehen, führe auch Deinen Gatten mit herüber! Ihr könnt ihr angehören, auch wenn Ihr nicht unter den Brüdern lebt. O halte Dich doch an den Gnadenschatz unserer Gemeine, auf daß Dein Leben nicht auch durch Reue vergiftet werde, wie es das meinige war!“

Carmen küßte des Vaters Hände mit inniger Liebe und Ehrfurcht; dann hob sie den Kopf und sah in seine Augen, die so angstvoll auf ihr ruhten. „Vater, ich gelobe Dir, daß ich treulich zu Gott und seinen Geboten halten will.“

Mauer sank erschöpft in die Kissen zurück.

„Bruder Jonathan,“ flüsterte er nach einer Pause, „hat mein schrecklich Geheimniß behütet, und wenn er mich auch stets unwillkürlich daran erinnerte, hat er mir doch seine Freundschaft und Bruderliebe bis heute erhalten. Immer aber wußte er mir an das Herz zu legen, daß mein Gut, als ein dargebrachtes Opfer für mein Vergehen, der Gemeine gehören müsse, da Du Dich von ihr abgewendet hast, und so habe ich testamentarisch, als Sühne einer schweren Schuld, Alles der Casse zum Wohle der Brüderschaft und ihren Missionen bestimmt, damit ich dem Ganzen vergelte, was ich an einem Gliede gesündigt habe.“

Carmen küßte schweigend seine bleichen Lippen; dann erhob sie sich, ging in das Nebenzimmer und kehrte mit ihrem Gatten und dem Kinde zurück. Sie knieeten an dem Lager des Sterbenden nieder, und Carmen bat:

„Vater, segne Deine Kinder!“

„Ist Dir denn an dem Segen Eines, wie ich bin, gelegen?“ fragte er demüthig und zaghaft.

„Ja, Vater, ich möchte nicht leben ohne ihn.“

Da berührte der alte Mann mit zitternden Händen die drei geliebten Häupter und segnete sie. –

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Neue Schiffsmaschinen. Unlängst fand im Beisein des Generalpostdirectors Stephan die sehr gute Hoffnungen erweckende Probefahrt eines von G. Howaldt in Kiel erbauten Dampfers statt, welcher weder durch Räder noch durch Schrauben, sondern vielmehr durch einen von Dr. Fleischer construirten sogenannten Hydromotor bewegt wird, eine Maschine, die aus dem Schiffshintertheile große Wassermengen – man spricht von 20,000 Liter per Minute – heraustreibt und dadurch einen Gegenstoß erzeugt, der das Schiff wie eine Rakete vorwärts treibt. Es ist das eigentlich keine neue, sondern vielmehr eine uralte Erfindung, deren sich bereits die ältesten Kahnfahrer bedienten, von denen wir etwas wissen, nämlich die Nautiliten der Primärzeit nebst ihren Verwandten. Noch heute schießen die Tintenfische und Kraken vermittelst eines hervorgeschleuderten Wasserstrahls pfeilschnell im Meere dahin, und manche andere Seethiere machen es ähnlich.

Von den Rädern und Schrauben und andern künstlichen Bewegungs-Mechanismen, deren Vorbilder sich nicht in der Natur finden, kehrt man so wieder zur Natur zurück, von der man ausgegangen war. Denn der Ruderkahn ist doch schließlich nichts anderes als eine Nachbildung des Fischkörpers mit seinen Ruderflossen, und selbst die Schiffsschraube findet eine Art Vorbild in der Rückenflosse der bekannten Seepferdchen und ihrer Verwandten, die man jetzt häufig in den Aquarien sieht. Ihre häutige, in regelmäßigen Zwischenräumen von kräftigen Flossenstrahlen gestützte Rückenflosse bewegt sich nämlich wie eine schwimmende Natter oder Seeschlange in Wellenlinien, und ein Herr C. Becker in London hatte vor einigen Jahren ein Boot gebaut, welches an seinem „Bauche“ mit einer ähnlichen, durch eine Propellerschraube belegten „schlängelnden Flosse“ versehen war und sich ganz der Erwartung gemäß im Wasser bewegte. Aber die neue den Polypen abgelauschte Bewegungsart scheint sich noch besser zu bewähren. Den Zeitungsberichten zufolge hat das 110 Fuß lange und 17 Fuß breite Schiff, welches einen Gehalt von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_763.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)