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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


sammelten die evangelischen Prediger, denen das Land verboten war, ihre Gemeinden, und dort segneten sie Ehen ein, die sogenannten Einöde-Ehen, welche vor dem Staate keine Geltung hatten. Man übergab diese Geistlichen dem Henker; die also verheiratheten protestantischen Männer wurden zu lebenslänglichen Galeeren verurtheilt, die Frauen in’s Gefängniß geworfen. Aber die rohe Gewalt führte nur zu einer unerhörten Zerrüttung aller bürgerlichen Verhältnisse; der Zwang bewirkte, daß schon im Jahr 1752 1,600,000 Personen keinen Civilstand mehr besaßen.

Europa bot wirklich ein trauriges Bild des ehelichen Lebens. Hier knechtete man Protestanten, dort wurde Katholiken dasselbe Loos zu Theil; hier und dort verweigerte man Menschen den häuslichen Herd zu begründen, der, von den Gesetzen beschützt, das natürliche Band zwischen Eltern und Kindern noch enger schließt, und alles dies geschah der Grille wegen, die kirchliche Trauformel zu einer staatlichen Vorschrift zu machen! Aber in diesem Augiasstalle des buntscheckigen hierarchischen Despotismus sollte bald gründlich aufgeräumt werden.

Trotz des himmelschreienden Unrechts und der steten Zunahme des Uebels wurde von der französischen Geistlichkeit keine Aenderung der Gesetze zugelassen, man schlug vielmehr vor, die Ketzer zur Auswanderung aufzufordern, damit der katholische Charakter des Staates aufrecht erhalten würde. Sturmdrohend nahte inzwischen die Zeit der Revolution heran, die Proclamirung der Menschenrechte in der neuen und alten Welt fordernd. Unter dem Druck der freiheitlichen Ideen erließ am 28. November 1787 Ludwig der Sechszehnte ein Edict, welches die Duldung der Protestanten aussprach und ihnen gestattete, nach freier Wahl entweder vor dem katholischen Pfarrer oder vor dem königlichen Richter die Ehe zu schließen. Später erklärte die Constitution von 1791: „das Gesetz betrachtet die Ehe lediglich als bürgerlichen Contract“, und am 20. September 1792 wurde das Gesetz über die Civilehe publicirt. Diese Norm ging auch in den Code Napoleon über und wurde vom Staatsrath Portalis mit folgenden denkwürdigen Worten motivirt:

„Der Ehevertrag ist die Grundlage der menschlichen Ordnung, und es ist daher ein wesentliches Recht eines jeden Staates, die Bedingungen desselben festzusetzen. Wir verkennen nicht, daß die Ehe eine Beziehung zur Religion habe, welche sie moralisch leitet und durch ihr Sakrament segnet. Aber daraus folgt nicht die Gerichtsbarkeit der Kirche, sonst müßte man der Kirche das Recht zugestehen, Alles zu regieren, da die Moral sich auf alle menschlichen Handlungen erstreckt. Wir würden dadurch die alten Irrthümer erneuern, welche die Beziehung aller Handlungen auf das Gewissen benutzten, um darauf die Herrschaft der Kirche zu begründen.“ Vor diesem Gesetze beugte sich die römische Kirche.

Artikel 54 des Concordats zwischen Papst Pius dem Siebenten und Napoleon besagte: „Die Pfarrer werden die Segnung der Ehe nur denen ertheilen, welche sich ausweisen, daß sie die Ehe in der gehörigen Form vor den Beamten des Civilstandes abgeschlossen haben.“

Von Frankreich aus wurde die Civilehe nach Rheinpreußen, Rheinhessen und Rheinbaiern gebracht. Aber ehe Frankreich diese praktisch durchgeführt hat, offenbarte sich schon früher dasselbe aus der naturgemäßen Culturentwickelung hervorgehende Streben in Deutschland. Kein geringerer Mann war es, als Kaiser Joseph der Zweite, welcher in seinem Ehepatente von 1785 die Ehe für einen bürgerlichen Contract erklärte. Aber in den bald darauf folgenden Kriegsjahren war der Sinn für derartige Reformen abhanden gekommen, bis später die Frage wiederum durch zahllose Conflicte in den Vordergrund gedrängt wurde.

Mit der politischen Umwälzung brachte das Jahr 1848 auch eine kirchliche, und aus den Berathungen der Grundrechte in der Frankfurter Nationalversammlung ging auch die obligatorische Civilehe hervor. Freilich wurde sie durch die bald hereingebrochene Reaction nach Friedberg’s „Geschichte der Civilehe“ „sorgsam ausgemerzt“. Nur in Oldenburg erhielt sich die facultative und in Frankfurt am Main und Baden die obligatorische Civilehe. In der preußischen revidirten Verfassung von 1851 wurde dagegen festgesetzt: „Die Einführung der Civilehe erfolgt nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes, was (!) auch die Führung der Civilstandsregister regelt.“ Aber trotz dieser Verheißung hatte es mit der Einführung der Civilehe keine Eile. Erst als in der Ehescheidungsfrage eine Reihe von Conflicten zwischen Staat und Kirche entstand, die in Trauungsweigerung von Seiten der Geistlichkeit ihren Ausdruck fanden, glaubte die Regierung, mit der facultativen Civilehe nicht länger zögern zu dürfen, und legte den Kammern (1859) zwei Gesetzentwürfe vor, die an dem Widerstande des Herrenhauses scheiterten.

Inzwischen lebten die deutschen Dissidenten, deren Confessionen staatlich nicht anerkannt waren, in Verbindungen, die nach den Landesgesetzen nur als Concubinate gelten mußten; im Jahre 1861 allein wurden im Regierungsbezirke von Liegnitz 144 und in dem von Breslau sogar 540 derartige Ehen geschlossen.

In dieser Zeit hatten fast alle andern deutschen Staaten die Civilehe angenommen. Da trat auch für Preußen die große Wendung in der kirchlichen Politik ein, und das Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 gab schließlich seit dem 1. Januar 1876 allen deutschen Bürgern die zum Heil und Segen des Volkes in Kraft bestehende obligatorische Civilehe.

In allen diesen Staaten, und wir könnten ihre Reihe, wenn wir Raum genug hätten, noch erheblich erweitern, bildete die Civilehe keineswegs den Ausfluß revolutionärer Frivolität und leichtfertiger Freidenkerei, sondern sie war ein nothwendiges Gebot der Gerechtigkeit, welche der Staat den Anmaßungen der Kirche gegenüber seinen Unterthanen gewähren mußte. Man speculirt wahrlich auf die Unwissenheit der Massen, wenn man die Civilehe als ein entsittlichendes Moment mit scheinheiliger Miene verleumdet; sie entstand ja gerade aus dem Streben nach einer höheren Sittlichkeitsstufe; sie ist das wohlthuende Mittel, unter dessen Wirkung die klaffenden Wunden, welche die widerstreitenden, intoleranten Kirchen den Völkern geschlagen haben, sich wieder schließen.

Die sittlichen Momente des Eherechts, welche die mittelalterliche Kirche eingeführt, sind überdies principiell von der Staatsgesetzgebung aufgenommen worden. Sie verbietet Niemandem, seine Ehe durch einen religiösen Actus zu heiligen; sie verleiht nur den gleichen Schutz Jedem ohne Unterschied des Standes und Glaubens, und sie ist dafür keineswegs zu verdammen, daß sie Eheschließung auch ohne den priesterlichen Segen gestattet. Denn nicht durch die äußere Form wird der Bund der Herzen geheiligt, sondern allein durch den Geist der Zucht und Sitte, in welchem er geschlossen wird.

Aber unsere Aufgabe ist es nicht, in dem Tagesstreite der politischen Parteien mitzureden. Eines nur müssen wir hervorheben. Ausgesetzt den kirchlichen Uebergriffen, welche die Freiheit bedrohen, und bestürmt von den socialistischen Umsturzplänen, welche das Eigenthum und die Familie leugnen, darf der moderne Staat nicht einfach tolerant sein, sondern den Principien der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung gemäß muß er feste Dämme aufwerfen, an denen der Uebermuth der extremen Parteien gebrochen wird; seine Pflicht ist es, das Heiligthum der Gesellschaft, die auf der Ehe begründete Familie ebenso gegen die Angriffe socialistischer Schwärmer zu schützen, wie auch niemals zu gestatten, daß die Ehe zum Werkzeuge der Machtgelüste irgend welcher hierarchischer Corporation herabsinke.

Valerius.




Schwester Carmen.
Aus dem Leben einer deutschen Herrnhuter-Colonie.
Von M. Corvus.
(Fortsetzung und Schluß.)


Es war vier Uhr am Nachmittage, und schon hüllte der graue Tag die Erde in Abenddämmerung. Agathe brachte die Lampe; dann ging sie mit Alexander, der das Kind trug, leise wieder in das offenstehende Nebengemach, um Vater und Tochter im letzten Beisammensein nicht zu stören.

Mauer lag erschöpft da und hatte die Augen geschlossen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_778.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)