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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Zöpfe flocht und diese wieder mit Bändern umschnürte und mit Metallplättchen beschwerte. Wenn ihr auch die Buntheit der Farben eine gewisse malerische Wirkung nicht versagte, so fehlte dieser Tracht umsomehr die plastische. So haben die uns besonders in Grabdenkmälern überlieferten Frauenbilder aus jener Zeit des zehnten bis zwölften Jahrhunderts etwas Erstarrtes, Mumienhaftes. Aber auch das Leben selbst war besonders an den Höfen ein starres, durch Bräuche und Gesetzesformen eng gebanntes. Von den Edlen bis hinab zu den Hörigen und Unfreien bestand eine strenge, kastenmäßige Standestheilung.

Da brach die Zeit des Minnesangs, des Ritterthums, des klassischen Mittelalters herauf. Sie war eine eminent frauenhafte. Die Frau war die Sonne, um welche sich fast das ganze Handeln und Empfinden der Zeit planetarisch drehte und in einen förmlichen Frauencultus sich verdichtete. Um sich dieser Verehrung Werth zu machen und den herrschenden Einfluß zu wahren, mußte die Frau darauf bedacht sein, die Gewalt ihrer Reize auch äußerlich in der Kleidung zur

Erste Periode.       Minnezeit.       Byzantinische Tracht.
Deutsche Frauentrachten.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Geltung zu bringen, und zwar zu jener poetischen Geltung, welche der Cultus des Mannes ihr zugewiesen hatte. Da warf sie das bretterartige Oberkleid von sich und ließ in künstlerischer Freiheit, in freiem Gusse das Kleid vom Halse über die Brust und Hüfte zu den Füßen gleiten. Die übermäßige Last des Zierrathes schwand, bis auf den Schmuck des golddurchwirkten Gürtels. Das Untergewand endete in eine nicht zu lange Schleppe.

Das kürzere, meist ärmellose Obergewand wurde auf der linken Seite nach bestehender Sitte aufgerafft und durch die Hand oder im Gürtel festgehalten, so Gelegenheit bietend zu Entwickelung eines künstlerischen Faltenwurfes. Der Gürtel saß mehr auf der Hüfte, sodaß er den natürlichen Formenguß des Körpers nicht unterbrach; sein langes Ende fiel vorn auf dem Kleide herab. Der Mantel wurde nicht mehr auf der Schulter befestigt, sondern durch eine über die Brust herübergehende Borde oder Schnur, den sogenannten Fürgespann gehalten, den zwei am Rande der beiden Mantelhälften angebrachte Spangen oder Rosetten verknüpften. So legte er sich um das Bild des Leibes wie ein dessen Wirkung hebender Rahmen herum, während er denselben zum Theil sittsam wie ein Vorhang verdeckte. Das Haar, welches häufig ein Kranz schmückte, fiel wieder frei, aber nicht ungefesselt lose, sondern in langen Locken auf die Schultern.

Bei dieser Mode hatte sich zur malerischen noch die plastische Wirkung gesellt, und so wurde dieses mittelalterliche Costüm das eigentliche Idealcostüm der deutschen Frau. Zu ihm greift noch heute der Maler, wenn er in der weiblichen Erscheinung neben dem Erhabenen und Edlen das Nationale verkörpern will. Es ist die Tracht der Germania, welche die Zeit unserer großen nationalen Erhebung uns so vielfach bildlich verherrlichte.

Auch diese klassische Zeit verfiel nach dem Gesetze alles Irdischen. Schon mit dem vierzehnten Jahrhundert beginnt ihre Entartung. Mit dem sechszehnten Jahrhundert aber brach eine neue Zeit an; sie erwuchs aus einer Periode der Gährung, des Uebergangs, in der sich Altes und Neues theilweise in den wildesten Gegensätzen begegnete und bekämpfte. Neben dem ersterbenden Ritterthum der Burgen erhob sich das Bürgerthum der Städte mit ganz anderer Arbeit, ganz anderen Zielen als jenes. Da saß wilde Ausgelassenheit dicht neben frommer Askese und schwärmerischer Mystik. Die bisher in die Klöster gebannte Gelehrsamkeit trat auf den offenen Markt, errang sich in Schulen und Universitäten eine freie Stätte des Wirkens, aber steckte auch wieder tief in den Formen pedantischer Scholastik. Auch hier ist die Tracht ein Spiegel der Zeit; auch diesmal zeigt sich in den Costümen die charakterlose Zeitstimmung; die Tracht verfiel der Manier, der Uebertreibung, während sie auf der andern Seite auch wieder eine gewisse Würde bewahrte. Am grellsten tritt die Wandlung zunächst hervor im Costüm des Mannes, während die Frau wohl im Bewußtsein, daß sie damit nur gewinne, noch eine Zeitlang an der schönen und idealen Tracht der Minnezeit festhielt. Der Mann verkürzte den langen Rock, der sich von dem Frauenrocke nur durch die größere Länge unterschieden hatte, bis zur Jacke. Er huldigte dabei so in extravaganter Weise dem Grundsatze faltenloser Verengung, daß er sich zuletzt außer Stande sah, ohne fremde Hülfe in seine Kleider zu kommen. Da diese ihm nun nicht immer zu Gebote stand, so fing er an die Aermel und den Rock der Länge nach zu zerschneiden und den Schlitz dann wieder durch Knöpfe oder Schnuren zu verbinden – gewiß ein sehr charakteristisches Bild der ganzen zerfahrenen Zeit!

Weiter verlieh er dem Körper nach beiden Seiten hin, sowohl nach oben wie nach unten, durch Gugel- und Schnabelschuh eine drastisch komische Fortsetzung. Die Gugel war eine enganliegende Kapuze, welche in einen Schwanz auslief, der oft bis zu den Füßen hinabreichte. Sie wurde später die specifische Kopfbedeckung der Narren, ein Schicksal, das sie gründlich verdiente. Die Schnabelschuhe dagegen bildeten, in der Farbe des Beinkleides gehalten, gewissermaßen dessen Verlängerung, indem sie noch eine gute Länge, mitunter ein paar Ellen über den Fuß hinausgingen und beim Gehen, wenn sie nicht am Knie festgebunden waren, hin und her schlenkerten. Mit der Zeit konnte sich auch die Frau dem Reize dieser Mode und der Macht des Männlichen nicht entziehen. Auch sie verzerrte die sonst gerühmte Kleinheit des Fußes durch den diesen verlängernden Schnabelschuh. Auch sie stülpte eine unschöne Gugelhaube auf das sonst nur mit einem Kranze oder Goldreif gezierte Haar. Von diesen Gugeln sagt eine Chronik vom Jahre 1380 spöttelnd: „sie stunden vorn uff zu Berg über’m Haupte, als wenn man die Heiligen malt“.

Andererseits wuchs die weibliche Kopfbedeckung durch Tücher und Drahtgestelle zu einem zuckerhutförmigen Aufputze empor, dem Hennin oder Cornet, von dessen Spitze dann ein Schleiertuch herabwallte. Dieser Hennin erreichte oft eine Höhe bis zu sechszig Centimetern und hatte damit wenigstens das Eine für sich, daß er die Frauen Demuth lehrte; denn er nöthigte seine Trägerin unter den niedrigen Thüreingängen sich immer tief zu bücken. Damit er eine innere Stütze erhielt, wurde das Haar unter demselben figurenartig aufgebunden, und es galt damals wider alle ästhetische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 804. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_804.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)