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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Du bist so gut; Du bist so schön,“ antwortete er und küßte sie auf beide Augen. „Ich liebe an Dir die Einfalt des Herzens, die von der Welt nichts weiß.“

Ein Volk schreiender Finken schwirrte über ihren Häuptern hinweg.

„Zugvögel!“ sprach Hallerstein gedankenvoll. „Sie ziehen nach dem sonnigen Süden, nach Deutschlands gastlichen Fluren. Sie fragen nicht, warum? Das Herz zieht sie.“ Er hielt einen Moment inne. „Ich weiß ein stilles Thal im grünen Thüringen.“

„Dahin –!“ flüsterte Karin.

„Dahin trägt Dich mein Arm,“ sagte er, „in die Einsamkeit der Wälder. Die Menschen mit ihrer Selbstsucht und Sünde, sie sollen den reinen Spiegel Deiner Seele nicht trüben.“

Er rückte auf dem engen Felsensitz näher an sie heran und schlug den Arm zärtlich um ihre schlanke Gestalt. Sie barg das Gesicht an seiner Brust. Die Natur ringsum, als lausche sie dem Glück der Beiden, schien zu feiern. Kein Lüftchen regte sich; keine Welle kräuselte sich auf der weiten Salzfluth. Heller Sonnenschein lag breit darüber ausgegossen, und die Fische sprangen dann und wann silbern schimmernd über das Wasser. Es war Festtagsstimmung ringsum. Sie saßen noch lange im Schweigen des Mittags, zwei glückliche Menschen, denen die Welt verschollen ist. – –

Mehrere Tage waren vorüber.

Ein klarer Morgen leuchtete über der einsamen Insel, und die Luft war ungewöhnlich warm für die vorgerückte Jahreszeit. Am Horizonte zeigte sich eine schwarze Rauchsäule; sie kam näher und näher.

„Es ist Zeit, Kinder,“ sagte, hinter sich gekehrt, Vater Claus und trat aus der Hütte in’s Freie. „Der Stockholmer Dampfer ist schon in Sicht.“ Dann, dem Strande zugewandt, rief er: „Alles parat?“

„Fix und fertig!“ antwortete Axel, der mit Daniel im Boote saß. Nun traten auch Mutter Hedda, Karin und Hallerstein aus der Hütte, und Rustan sprang ihnen bellend voran. Die Alte hielt Karin’s Hand zärtlich in der ihrigen. Wehmuth lag in den Mienen Aller. Wenn Menschen scheiden, die sich lieb haben, dann weinen die Engel im Himmel.

„Vater Claus,“ sagte Hallerstein und schlug in die dargebotene Rechte des Alten ein, „mehr als Worte sagen können, tragen wir Dank –“

„Nichts davon!“ wehrte der Graukopf bewegt ab. „Seid glücklich, gedenkt unser am Trautisch und grüßt mir die alte deutsche Heimath!“

Karin küßte Mutter Hedda; dann lag sie in den Armen des Alten, der ihr segnend die Hände auf’s Haupt legte. Nun stiegen sie in’s Boot, und mit einem flinken Satz sprang Rustan ihnen nach.

„Den treuen Freund nehm’ ich mit,“ rief Karin und schlang die Arme liebkosend um seinen Hals.

„Den Retter aus Todesnoth, den Stifter unseres Glücks,“ fügte Hallerstein hinzu. Daniel hatte das Boot abgestoßen; Axel schnitt mit schnellem Ruderschlag kräftig in’s Wasser, und pfeilschnell flog das kleine Fahrzeug in die See hinaus.

„Das ist ein Abschied für immer,“ sagte Vater Claus, „wir sehen sie nicht wieder.“

Mutter Hedda verhüllte das Angesicht.

Die glitzernde, schimmernde Wasserfläche zwischen dem enteilenden Boote und den beiden Alten am Ufer wuchs und wuchs, und ein breiter weißer Schaumstreifen bezeichnete den Weg, auf dem ein junges Glück seinem blühenden Lebensfrühling entgegenzog. Die Luft war von jener durchsichtigen Klarheit, die Entferntes näher, Nahes in frischester Beleuchtung erscheinen läßt. Zwei weiße Tücher winkten vom Boote her, und zwei runzelvolle Hände am Strande erwiderten den Gruß. Da regte es sich in den Lüften wie Schwingenrauschen: Karin’s Tauben flatterten weit in’s Meer hinaus, als wollten sie der scheidenden Herrin ein letztes Lebewohl sagen. Eine einsame Wolke, vom Morgen rosig angehaucht, schwebte um die höchste Kuppe der Insel, um den Mövenstein. Nun theilte ein Sonnenstrahl die schnell zerstiebende, und licht und hell lachte der ragende Fels da oben in die schweigende Landschaft hinaus – Olaf’s Grab. In demselben Augenblicke entschwand das Boot dem Gesichtskreise der beiden Alten am Strande – träumerisch schlugen die Wellen an’s Gestade.

„Die Sterne haben’s gewollt,“ sagte Mutter Hedda.




Blätter und Blüthen.


Ein Gast unserer Kinder in der Weihnachtszeit. (Mit Abbildung, S. 809). Nicht an allen deutschen Orten erscheint, wie in der Bauernfamilie auf unserm Bilde, vor Weihnachten der heilige Wunderthäter Nicolaus, um die Kinder beten zu lassen und die artigen mit Aepfeln und Nüssen zu beschenken, den ungehorsamen dagegen eine Strafpredigt zu halten. In den meisten Gegenden Deutschlands besucht vielmehr ein vermummter Gesell mit zottigem Pelz, mit einem Sack voll Nüsse und mit dem Schreckensgespenst der Ruthe in der Hand, die Kinder, welche sehnsüchtig auf den fröhlichen glänzenden Weihnachtsabend warten. Knecht Ruprecht ist es, der seit vielen vielen Jahren in Begleitung des bescheerenden Christkindes oder der Frau Berchta in Hütten und Paläste kommt und, während diese unter die artigen Kleinen ihre Gaben austheilen, den ungehorsamen droht, sie mit der Ruthe zu schlagen oder sie sogar in’s Wasser zu tragen. Ob er wirklich, wie sein altdeutscher Name Hruodperath, der Ruhmglänzende andeutet, den degradirten Sonnengott, Wuotan, darstellt, oder ob er der heilige Ruotbehrt ist, der mit dem lieben Gott vom Himmel zur Erde zu Weihnachten herabsteigt, oder auch, wie andere behaupten, einer jener traulichen und getreuen Hausgeister, welche nach dem Glauben unserer Vorfahren in den Wohnungen der Menschen pochten, polterten und spukten – darüber sind die Gelehrten noch nicht einig geworden. Das gefällt augenscheinlich dem schlauen Patron; denn er versteckt sich noch immer hinter Pelz und Maske und treibt Jahr aus Jahr ein zum Schrecken der Kinderwelt sein Spiel, bis das älter gewordene Töchterlein, welches bereits gelernt hat, die Stimmen der einzelnen Personen zu unterscheiden, mit den plötzlich hervorbrechenden Worten: „Das bist Du, Onkel Fritz!“ den Zauber der mythischen Erscheinung vernichtet. Aber für die jüngeren Geschwister wird der Brauch im nächsten Jahre von Neuem wiederholt und lebt im Volke fort und fort.

Freilich hat im Laufe der Alles verändernden Zeit auch unser Knecht Ruprecht seinen Namen oft gewechselt.

In Schwaben besucht er als der „Pelzmärte“ und in Oesterreich sogar als der „Wauwau“ die Kleinen, um ihnen je nach ihrem Betragen Angst oder Freude zu bereiten. Zu den schwäbischen und märkischen Kindern kommt er dagegen als „Schimmelreiter“, für dessen weißes Pferdchen die Kleinen in der Christnacht ihre Schuhe mit blankem Hafer füllen müssen.

Der weitverbreitetste Name aber, welcher diesem Weihnachtsmännchen beigelegt wird, ist der des Sanct Nicolaus oder Niclaus, Claus und Claas. Unter diesem Namen ist er im ganzen Norden bekannt und bescheert auch in Amerika. Die Kinder jenseits des Oceans hängen nämlich am Weihnachtsabend ihre Strümpfchen an den Ofen; in der Nacht kommt Sanct Nicolaus durch den Kamin hereingeflogen und füllt sie mit allerlei Geschenken.

So möge denn unser heutiges Bild, auf welchem der heilige Niclas in Begleitung einer als Knecht vermummten Magd den Bauernknaben beten läßt, die Erinnerung an den alten Brauch auffrischen und Veranlassung dazu geben, daß in diesem Jahre Knecht Ruprecht bei allen artigen Kindern mit recht vielen Nüssen und Aepfeln als Vorbote der Christfeier erscheine!




Einen angeblich völlig gefahrlosen Leuchtstoff, der ja in unserer Zeit der Lampen-Explosionen eine große Rolle spielen könnte, da er ebenso hell, wenn nicht heller als Petroleum leuchtet und nicht erheblich theurer zu stehen kommen soll, will ein russischer Ingenieur von Kordig erfunden haben. In einer October-Sitzung der Berliner Polytechnischen Gesellschaft bewies er dessen Unfähigkeit, andere Gegenstände in Brand zu setzen. Kordig besprengte sich den Rock mit dem Material, entzündete dasselbe und glich so einer Neronischen Christenfackel, ohne an Leib und Kleidung Schaden zu nehmen, ja die Wirkung der lebenden Feuersäule wurde noch erhöht, indem auch der Hut befeuchtet und in Brand gesetzt wurde. Damit man nicht glauben sollte, daß die Kleider besonders präparirt seien, stellten auch andere Mitglieder der Versammlung die Experimente an sich selbst an. Ein Feuerkreis, dessen Flammen mehrere Fuß hoch aufloderten und der durch Aufgießen auf den Parquetfußboden erzeugt war, hinterließ keine Brandflecken und der Erfinder trat unverletzt aus demselben hervor etc.

Auch in geschlossenen Gefäßen mit Luft vermengt, soll der Leuchtstoff völlig gefahrlos sein. Kordig entzündete zum Beweise dafür ein halbgefülltes Gefäß am Ausguß und Deckel zugleich, ohne daß eine Explosion erfolgte. Hierzu ist allerdings zu bemerken, daß dieser Versuch gar nichts beweist und daß jeder fein zertheilbare oder flüchtige Körper, der sich mit Luft mengen läßt, wenn er nur überhaupt brennbar ist, Ursache zu heftigen Explosionen werden kann, sogar Getreidemehl und das Pulver morscher Balken, wie dies schlimme Erfahrungen bewiesen haben. Da der Stoff leichter ist als Petroleum und seinem größeren Theile nach aus den flüchtigsten Antheilen des Erdöls, dem sogenannten Petroleum-Aether, Spiritus oder der Naphtha besteht, so besitzt er jedenfalls auch die Eigenschaft derselben, schon aus der Ferne Feuer zu fangen, und seine Verwendung ist daher wahrscheinlich nicht weniger gefährlich, als die des Benzins, welches schon so viele Opfer gefordert hat. Schon früher hatte man übrigens die Petroleum-Naphtha als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_811.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)