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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf von Gottschall.
XXV.


Die deutschen Lyriker, verehrte Freundin, aus allen ihren Verschanzungen getrieben, haben sich unter den Schutz des Christbaums geflüchtet; das Christkind ist ihr letzter guter Genius, aber es verlangt von seinen Schützlingen Eleganz und Glanz der äußern Erscheinung, und so ist es denn eine schmucke Schaar von Gedichten, spielend in allen Farben von Unschuldweiß und Himmelblau bis zum brennenden Roth und dem traurigen Schwarz, alle aber funkelnd von Gold, welche unter den goldenen Aepfeln und silbernen Nüssen und den frommen Wachskerzen des Weihnachtsbaumes zur Schau ausliegen wird.

Sie kommen in allen Farben, allen Trachten; die Muse der einen ist mit dem Turban, die der andern mit dem Ritterhelm geschmückt: Sie haben die Wahl, verehrte Freundin.

Unter dem Turban grüßt Sie zuerst ein bekanntes Gesicht: das ist ja die Muse Mirza-Schaffy's, und Sie zögern nicht, sich ihr, der so anmuthig plaudernden, zuzuwenden. In der That, Friedrich Bodenstedt hat eine Sammlung westöstlicher Lyrik herausgegeben; wir werden eingeladen, auf dem Divan eines persischen Poeten Platz zu nehmen: der Dichter des Mirza-Schaffy hat die „Lieder und Sprüche des Omar Chajjam unserer Literatur angeeignet. Das war ein Stern- und Herzenskundiger, der im elften Jahrhundert nach Christus lebte und die orientalischen Forscher, sowie neue poetische Uebersetzer bereits mehrfach beschäftigt hat; Bodenstedt meint, daß viele der Verse des Omar Chajjam, die nicht in localen Beziehungen wurzeln, ebenbürtig verdeutscht und unbefangenen Hörern ohne Nennung des Namens vorgetragen, eher für unentdeckte Goethe’sche Verse würden genommen werden, als für diejenigen eines alten Persers, der achthundert Jahre vor uns lebte. Unser Perser unterscheidet sich von seinem Landgenossen Hafis und auch von dem neuen Weisheitslehrer in Tiflis durch eine etwas ernstere Miene; er ist mehr Philosoph als Verkünder einer heitern Lebensweisheit; er singt auch von „Lenz und Liebe“, doch es steht ihm nicht sonderlich zu Gesicht; er hat hierüber etwas alltägliche Gedanken; besser behagt er sich schon beim Pokale; er feiert bisweilen den Trunk mit Begeisterung und ertheilt weise Rathschläge, z. B. nur zu trinken in Gesellschaft kluger Köpfe und schöner reizvoller Geschöpfe. Doch ganz in seinem Elemente ist der Denker, wenn er sich tiefsinnig über Schein und Wesen, über die Gottheit, über menschliches Schicksal, über Welt und Leben ausspricht. Er schlägt oft Töne herben Zweifels an; nicht blos das Wissen der Menschen erscheint ihm gering, auch ihr Loos dünkt ihm beklagenswerth.

„Wo ist der Gewinn unsres Kommens und Scheidens?
Was bleibt von der Bürde unsres Hoffens und Leidens?“

Und dann sagt er wieder:

„Darf ich Dir sagen mit leisem Munde,
Als was ich den Menschen betrachte im Grunde?
Als ein elendes Geschöpf, das geknetet aus Staub lebt,
Und so lange es lebt, nur dem Kummer zum Raub lebt.“

Tapfer setzt sich der Dichter zur Wehr gegen seine Gegner; er rühmt sich seiner Lebenslust, seines freien Sinns. Sie werden sich, verehrte Freundin, gewiß an dieser Perlenschnur orientalischer Weisheit erfreuen, wenn Sie Strophe auf Strophe vorübergleiten lassen. Die Gedanken haben oft ein originelles Gepräge; die Phantasie giebt dem Poeten stets neue Bilder an die Hand, alles ist scharf, bestimmt, ohne Ueberschwenglichkeit, ohne ermüdende Wiederholungen. Die gefällige Muse Bodenstedt’s vermeidet bei der Uebertragung alles Schwerfällige und credenzt auch Tiefsinniges mit freundlicher Anmuth.

Und nun vom Turban zum Ritterhelm! Mit diesem geschmückt tritt Julius Wolff’s „Tannhäuser“ vor uns hin. Das ist ein Dichter, der sich rasch durch seine volksthümlichen Gedichte: „Der Rattenfänger von Hameln“, „Der wilde Jäger“ and andere, besonders durch die reizenden Lieder, die er in seine poetischen Texte verwebte, einen Namen gemacht hat. In seiner neuen, höchst umfangreichen Dichtung nimmt er einen höheren Anlauf: er selbst nennt sie einen Minnesang, und ihr großes Thema ist die Liebe in ihren immer wechselnden Gestalten. Dieser „Tannhäuser“ ist ein Liebesritter und die Dichtung die Chronik seiner Abenteuer, von der ersten schüchternen Jugendliebe, vom Rausch eines deutschen Minnehofes und der etwas kecken Nachahmung provençalischer Sitten bis zum Aufenthalt bei der Venus im Hörselberg. Wolff macht von dem Recht kühner Erfindung und der Verschmelzung der Sagen vollen Gebrauch: sein „Tannhäuser“ ist Niemand anders als Heinrich von Ofterdingen und zugleich der Verfasser des Nibelungenliedes. Darüber mag eine eingehende Kritik sich näher aussprechen; der Dichter brauchte zum Abschluß irgend eine entscheidende That seines Helden, und so war ihm die veraltete Meinung willkommen, welche den sagenhaften Ofterdingen zum Verfasser dieses großen Nationalepos machte.

Auch diese Dichtung, die sich bisweilen in alterthümelnden Formen gefällt, enthält einen Schatz von Liedern in allen Tonarten: einzelne naiv und jovial, wie das Spottlied auf den Kellermeister, andere sinnig und schwunghaft, die Mehrzahl Gesänge der Liebe, sanfter Schwärmerei, glühender Hingebung. Besonders schön sind die Gesänge des Sängerkrieges auf der Wartburg. Und so schlägt auch die Schilderung selbst, deren melodische Form zwischen gereimten Jamben und reimlosen Trochäen wechselt, die verschiedensten Töne an, von denen der naiv muntere dem Dichter besonders zu Gesicht steht. Es fehlt auch nicht an üppigen Bildern, besonders an dem Liebeshof; der Dichter selbst sagt in dem einleitenden Minnegruß:

„Und malt’ ich auch zu glühend seine Minne,
So denkt: was wäre Kunst wohl ohne Sinne?“

Es versteht sich überdies von selbst, daß der Hörselberg kein Vesta-Tempel ist; auch hat der Minnesang das Recht, ein Bild der Minnezeit und ihrer oft sehr freien Sitten zu entrollen.

Meine kritischen Bedenken, verehrte Freundin, treffen mehr den allzubreiten Erguß der Schilderung, die biographische Chronik, die eines „ganzen Lebens Bild“ entrollt und so die dichterische Prägnanz allzusehr vermissen läßt. Die gleichzeitigen geschichtlichen Ereignisse, an denen, wie an dem Kreuzzug und den innern Kämpfen in Deutschland, sich der Held betheiligt, werden oft mit der Trockenheit einer Reimchronik erzählt und führen uns durch poetisch öde Steppen. Und gerade durch diesen historischen Rahmen, dadurch, daß der Held, thätig und leidend, in die Mitte der Ereignisse gestellt wird, die sich im glaubwürdigen und natürlichen Zusammenhang vor uns entwickeln, werden wir dem sagenhaften Duft und Dämmer so entfremdet, daß das Wunder des Hörselberges und die ganze eigentliche Tannhäusermythe uns nicht in der rechte Stimmung finden und wir diesen so spät in die Dichtung verwebten Unbegreiflichkeiten mit berechtigtem Zweifel gegenübertreten. Der Dichter ist eben vorher zu ausführlich gewesen, und diese Breite thut auch oft der Prägnanz des dichterischen Ausdrucks Eintrag, die an andern Stellen zu voller Schönheit aufblüht.

Zu den schönsten Stellen rechnen wir die Wechselrede zwischen Heinrich von Ofterdingen und Wolfram von Eschenbach, in welcher die Poesie der Lebensfreude und diejenige des brütenden Tiefsinns in ihrem Gegensatz einen begeisterten Ausdruck finden. Dem nach den Räthseln des Daseins fragenden Wolfram erwidert Tannhäuser, daß er nicht in Gottes Heimlichkeiten dringen wolle:

„An allem haft’ ich, was die Erde
Schmückt und umkränzet lebensvoll,
Und frage nicht, woher das Werde
Am ersten aller Tage scholl.
Hier mit gewachs’nen Wurzeln stehen
Die Blumen, wo die Quelle springt;
Hier mit geschwinden Schritten gehen
Die Menschen, wo der Vogel singt.
Hier trägt mich hochgemuth zum Streite
Mein Roß, hier winkt mir Dank und Lohn,
Hier klirrt und klingt mir an der Seite
Des Schwertes Wucht, der Harfe Ton.
Ich freue mich der goldnen Siegel,
Die auf das dunkle Blau gedrückt,
Wie ihres Glanzes holder Spiegel
In schönen Augen mich entzückt.
Und jedes freundliche Begegnen,
Womit das Glück die Stunde ziert,
Und jede Freude will ich segnen,
Die mir ein Erdentag gebiert.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_826.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)