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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Brief gelesen hat, ehe er ihn früh Morgens zu seinem Neffen trug. –

Der Pastor athmet erleichtert auf.

„So ist die Sache beigelegt,“ sagt er, „ich habe jetzt noch andere Geschäfte in der Stadt; heute Nachmittag, lieber Rickmann, komme ich wieder vor und hole mir Sein Papier ab. Adieu, meine Tochter!“

„Adieu, Hochehrwürden,“ antwortet Dorette, einen kalten Blick unter den dunklen Wimpern hervorschießend, und nimmt eine Miene an, als spräche sie auch zu dem geistlichen Herrn, wie einst zu jemand Anderem: „Wir sind Königinnen!“

„Gott befohlen, Alter! Und laß Er sich die Sache nicht so zu Herzen und in das Oberstübchen gehen! Sein Vetterssohn, der Strohmeyer, ist ein gar lieber und wackerer junger Mann.“

Die Lippen des Thorschreibers pressen sich fest auf einander, und er verbeugt sich tief, tiefer denn je, aber seine Glieder beben leise. Nachdem aber der Herr Pastor fort ist und Rickmann eine Weile stumm dagesessen hat, sagt er:

„Doring – ich muß wohl schreiben?“

„Ja, Vater. Hier ist ein weißer Bogen; die Feder thut’s auch noch, und da liegt die Brille.“

„Aber wie soll ich denn schreiben? Ja, wenn man schriebe, gleich wie man spricht; das Donnerwetter sollte sie –! Aber den Stil da bring’ ich nimmer heraus.“

„Schreiben Sie, wie Sie denken, Vater! Für die Sorte ist jeder Stil gut genug; nur sagen Sie, daß nie ein Verlöbniß zwischen mir und – ihm war.“

Und der Alte holt sich den Bogen näher heran, setzt die Brille auf und kaut an der Feder. Plötzlich aber taucht er ein und schreibt; eine dunkle Gluth steigt ihm zu Kopf, während er mühsam Folgendes zu Papier bringt:

„Ich, Unterschriebener, bezeuge hierdurch, daß solche Worte, die da sollen gesprochen sein und von Johannes Strohmeyer darum befraget worden sind, dieweil er sich mit der Wittwe als Küsterin zusammen verehelichen und den Dienst zu Sanct Jacobi in Greifswald antreten will, daß solche Worte nicht gesprochen worden sind, wir wollten darauf Einspruch thun. Es sind solche Gedanken niemals eingefallen und ist auch kein Verlöbniß gehalten worden. Das wäre ein Unverstand von uns, wenn wir solches anfangen wollten. Aber derjenigte, der diese Worte in Anderer Mund gebracht hat, von Einspruch thun, denjenigen halte ich vor des Teufels und einen Windbeutel.

Rickmann, Thorschreiber.“

Als der Alte mit diesem Zeilen fertig ist, liest er sie noch zweimal aufmerksam durch, dann ruft er Dorette, die aus der Tiefe des Zimmers herantritt. Sie nimmt den Bogen in die Hand und liest auch. Aber sie lächelt nicht, wie sie wohl früher gethan haben würde, über die ungelenke alterthümliche Schreibweise des Vaters. Als sie an die letzten Worte kommt, blitzt es seltsam in ihren erloschenen Augen auf.

„Wer ist des Teufels?“ sagt sie mehr sich selbst, als dem Vater. Dieser aber nimmt die Frage heftig auf.

„Nun,“ sagt er, „da steht es ja geschrieben!“ und zeigt auf das Papier.

„Ja wohl, Vater, da steht’s auch. Es ist gut, was Sie geschrieben haben.“

Dann wendet sich Dorette hastig ab, und Rickmann faltet sein Schreiben zusammen.




8.

Wieder ist es Frühling. Die Gebüsche auf dem Rubenow-Platze treiben Sproß auf Sproß, und immer lichter wölbt sich der Himmel über dem ehrwürdigen Haupte des in Erz gegossenen Bürgermeisters, der von hohem Sockel aus den nach ihm benannten Platz beherrscht. Zuweilen setzt sich ein unbefangenes Vögelchen in die Falten seines Rockes, oder gar mitten in sein ernstes Antlitz und zwitschert ein Lied von Sehnsucht und Hoffnung, daß die vorüberschreitenden Magister die Stirnen tiefer in Falten legen und ein Schatten der Erinnerung verstohlen über ihre pergamentenen Gesichter zieht, während mancher junge Student am Eingange der Universität unwillkürlich innehält und sich übermüthig fragt, ob es nicht etwa gerathen sei, heute die Hypothesen des Professor So-und-so auf sich beruhen zu lassen und in den belebten Straßen oder auf den freundlichen Wällen Greifswalds ein Frühlingsprivatissimum zu hören.

Johannes Strohmeyer ist seit Monaten eingeführter Organist; und die Eingabe des Pastors, ihm wegen seines vortrefflichen Orgelspiels und seines gar erbaulichen, vollklingenden Gesanges auch den Cantorentitel binnen Jahresfrist zu verleihen, liegt bei der hohen Behörde.

Eines der alten Giebelhäuser, welche in die kleine Gasse hinabsehen, die vom Jacobi-Kirchplatze aus nach Norden zu in die sogenannte Lange Straße führt, ist mit dem Wechsel der Jahreszeit besonders hübsch aufpolirt worden – in seinem zweiten Stock hat der Organist seine Amtswohnung.

Mitte Sommer läuft das Trauerjahr um den seligen Cantor Frederick ab; seine Wittwe und Johannes Strohmeyer beabsichtigen, dann ihren neuen Hausstand zu gründen. Doch die Frau ist seit einer Woche so krank, daß sie sich hat entschließen müssen, das Bett zu hüten. Seitdem sie ihr ehemaliges Domicil verlassen hat, lebt sie bei einer in der Langen Straße verheiratheten Schwester, deren Mann der Vormund des Frederick’schen Kindes ist.

Es ist Sonntag gegen Abend. Johannes, der seine Braut sonst täglich besucht hat, ist heute noch nicht bei ihr gewesen. Er schlendert eben gerade über den belebten Rubenow-Platz, um zur Kirche zu gehen und für sich allein noch ein halbes Stündchen Orgel zu spielen: Er geht, wie gesagt, sehr langsam. Seine Gedanken ziehen sich vom Wege ab in die Ferne. Er weiß es nicht genau, aber er glaubt, sich nicht zu irren, daß es heute gerade ein Jahr her ist, daß er als Secretär des Grafen nach Stralsund kam und noch gegen Abend seinen Besuch beim Thorschreiber machte. Er erinnerte sich noch ganz deutlich jedes Umstandes bei diesem ersten Besuche. Die Finger seiner rechten Hand pressen sich fester zusammen und krümmen sich leise zur Faust; er gesteht sich wieder einmal, daß er sich verrechnet hat, als er dachte, man könne eine Dorette Rickmann so bald vergessen.

(Schluß folgt.)




Die Deutschen in Böhmen.
Von einem Deutsch-Oesterreicher.


Der böhmische Besitztitel ist wieder einmal streitig geworden. Die Czechen reclamiren ihn, indem sie ihren Anspruch gewohntermaßen nicht damit begründen, daß sie sich seiner werth zu machen suchen, sondern damit, daß sie die dritthalb Millionen Deutschen in Böhmen und Mähren in Heloten des Slaventhums zu verwandeln trachten. In Wien sitzt augenblicklich ein Ministerium, welches für Deutsche und Deutschthum keine Theilnahme und keine Pietät hegt; nur deshalb kann der Unterdrückungsproceß in Böhmen so unheimlich rasch von Statten gehen; dauert derselbe in begonnenem Maße fort, so würde allerdings bald in Schule und Werkstatt, in Amt und Kaufladen die deutsche Sprache geächtet und verfehmt sein.

Rings umher, über dem Böhmerwald, über dem Erz- und Riesengebirge, leuchtet der Glanz und die Größe des neuen Deutschland, des lange ersehnten und endlich erstandenen jungen deutschen Reiches, aber einen Büchsenschuß von seiner Grenze legt ungestraft der Czeche dem Deutschen seine Faust auf den Nacken, um ihm zu zeigen, daß es ein Gebiet der Wenzelskrone giebt, wo brutale Vergewaltigung ungestraft dem deutschen Geiste Hohn sprechen darf. Die Czechen halten sich für berechtigt, auf deutschem Boden über Deutsche zu herrschen, und glauben daran mit einem Fanatismus, der nur aus geschichtlicher Unbildung herausquellen kann, und eben deshalb kennen sie keine Rücksicht. Der Deutsche in Böhmen aber ist das Opfer dieser fanatischen Nationalrohheit. Zu treu, um anderswo als in Wien sein Heil zu suchen, zu stolz, um von seinem Deutschthum auch nur ein Atom preiszugeben, steht er ausdauernd auf seinem Posten, der mehr als ein Vorposten des Deutschthums, der eine Burg des Deutschthums ist. Er könnte aller Schläge und Schleudern ledig werden, wenn er sich nach dem Beispiele der magyarisirten Deutschen zechisiren wollte, aber er wartet und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_834.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)