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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


No. 1.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
1.

Die alte Frau Oberforstmeisterin war schon seit länger als einem Jahr verstorben. Ein Jahr ist für die Todten, die bekanntlich schnell vergessen werden, eine lange Zeit, und die alte Dame im Hirschwinkel hatte nach landesläufigem Ausdruck keinerlei „Freundschaft“[1] hinterlassen - es war um ihretwillen weit und breit auch nicht das kleinste Stückchen Trauerband gekauft und angelegt worden. Somit wäre ihr einsames Dasein wohl ohne Weiteres spurlos verlöscht, wie ein ausgeblasenes Licht, wenn sie nicht zeitlebens den starkmarkirenden Stempel einer Sonderlingsnatur getragen hätte - solche Signatur aber verflüchtigt sich nicht so bald für die Ueberlebenden.

Die wenigen Dorfleute, die ihr Weg dann und wann am Gutshause im Hirschwinkel vorüberführte, guckten deshalb auch beharrlich nach dem Erkerfenster im oberen Stock und erwarteten steif und fest, daß der kleine Frauenkopf mit den weißen Ringellöckchen an Stirn und Schläfen und der Stahlbrille auf dem Nasenrücken beim Geräusch ihrer Schritte lebhaft herumfahre und durch die Scheiben sehe. Da hatte ja immer der scharfmusternde Blick, über die Brillengläser hinweg, jedes noch so ängstlich verheimlichte Loch im Aermel, jeden Schmutzflecken an den Schürzen und Weiberröcken, aber auch die stillste Leidensmiene sofort bemerkt, und je nachdem war ihnen ein Wort strengen Tadels, oder die Aufforderung, doch schnell einmal mit dem Armsündergesicht heraufzukommen, zugerufen worden.

Den Arbeitern im Walde aber, den Holzknechten, den Pechsiedern und Kienrußbrennern fehlte sie erst recht. Das „Waldweiblein“ war immer so pünktlich und rüstigen Schrittes dahergekommen. Die schwarze Krepphaube, das um die Schultern geschlagene große Kantentuch war ihnen so bekannt gewesen, wie die behenden Frauenfüße in weißen Strümpfen, über denen sich nach alter Mode die schwarzen Schuhbänder kreuzten, wie der grünatlassene Strickbeutel, der ihr am Arme baumelte, und der kluge, neben der greisen Herrin hertrabende weiße Pudel.

Aus dem grünen Arbeitsbeutel war immer frischgepflücktes Kräuterwerk, nach welchem sich der alte Rücken unermüdlich bückte, in dicken Büscheln gequollen, und dabei hatte dieser vorweltliche, weite Seidensack ein ganzes Arsenal von chirurgischen Instrumenten, Pflasterschachteln und Medicinfläschchen beherbergt, woneben einige grobe Seifenstücken nie fehlten; denn wie andere mildthätige Seelen warme Suppe, so hatte die Frau Oberforstmeisterin eifrig Seife im großen Waschkessel für die Armen gekocht. Der Schrecken der Schmutzigen, ein unerschrockener Arzt und Bader für die Kranken und Verunglückten, war sie aber auch ein wahrer Zank- und Sprühteufel gegenüber dem blühenden thüringer Aberglauben gewesen, und bei dem leisesten Verdacht, daß man zum „Verbüßen und Besprechen“ von Wunden und Gebrechen greife, hatte sie den Leuten den Kopf gewaschen und ihnen den Text gelesen, „nach Noten“, wie sie sagten.

Sie war eines natürlichen Todes gestorben, an einem Erkältungsfieber, das sie sich beim Kräutersuchen auf zugigem Berggipfel geholt. Weil sie jedoch von der ersten Stunde ihres Erkrankens an bis zum letzten Athemzuge stark phantasirt und die Besinnung nicht wieder erlangt hatte, so unterlag es keinem Zweifel, daß ihr die bösen Mächte, die sie zeitlebens bekämpft, schließlich selbst „an den Kragen“ gegangen waren - sie mußte durchaus „Etwas“ im Walde gesehen haben; es war ihr „angethan“ worden.

Letztwillige Verfügungen fanden sich nicht vor, und so fiel ihr vortrefflich bewirthschaftetes, im sogenannten Hirschwinkel gelegenes Gut einem Verwandten in der Mark zu, von welchem keine Menschenseele je etwas gehört hatte, kaum, daß man erfuhr, er heiße Markus und sei Besitzer einer bedeutenden Maschinenfabrik in der Nähe von Berlin.

Er schien kein Gewicht auf den neuen Besitz zu legen; die Verwaltung desselben mochte ihm nicht passen; deshalb war Alles in Bausch und Bogen verpachtet. Der Pächter wohnte im unteren Geschoß, und im oberen Stock des verwaisten Gutshauses erlustirte sich das Mäusevolk, „und die Spinnen würden ja wohl noch die Schlüssellöcher mit ihren scheußlichen, grauen Webelappen verstopfen“, pflegte die schönere Hälfte des Pächters, Frau Griebel, mit verächtlichem Achselzucken zu sagen; denn weder ihr selbst, noch dem heiligen Kehrbesen und Scheuerwisch war der Eintritt gestattet.

Auf den höhergelegenen Partien des Thüringerwaldes gediehen die Halmfrüchte nicht sonderlich; Wiesenwachs und Kartoffelbau herrschen vor. Die schmalen Thalgründe liegen oft in stundenlanger grüner Linie wie ein schimmerndes Sammetpolster zwischen den waldbewachsenen Bergen; Gras, glitzerndes Wassergerinnsel, auch wohl ein kühler Forellenbach, oder der weiße, glatte Chausseeweg wechseln mit einander ab. Der Hirschwinkel dagegen war eine selten sonnige, geschützte Waldecke, eine Art Eiland, auf welchem der Sommerwind nach Herzenslust manneshohes Halmengewoge der Kornfelder vor sich herjagen und sogar in den tiefgelben Breiten des edlen Weizens wühlen konnte.

Das hübsche Gut lag ziemlich abseits von den belebtesten Verkehrswegen, gleichsam hinter den Waldcoulissen; deshalb konnte

  1. Verwandtschaft.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_001.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2019)