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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Fahrweg entlang. Sie zeigte unverhohlen, daß sie keine Lust habe, sich weiter examiniren zu lassen.

Diese bäuerische Unnahbarkeit schien ihn höchlich zu amüsiren. Er war ein noch junger Mann, der mit seinem elastischen Gange nicht um eine Linie hinter ihr zurückblieb.

„Also die Mühle gehört zum Gut?“ wiederholte er fragend. „Sieh, sieh – nun weiß ich doch auch, wo Du zu Hause bist. Der Weg da führt doch wohl direct nach dem Gutshause im Hirschwinkel?“

„Auch nach dem Vorwerk.“

Er blieb stehen. „Aha, das ist die kleine zum Gute gehörige Pachtung, die der verkommene Amtmann widerrechtlich besetzt hält.“

Jetzt wandte sich der Kopf unter dem Grasbündel mit einer jähen Wendung nach ihm hin. Die untere Gesichtspartie hob sich dabei aus den Tuchfalten, und der Fremde sah für einen Moment einen kleinen, schönen Mund mit blaßrothen Lippen, um den der Zorn seine Linien zog.

„Ich bin beim Amtmann,“ schnitt sie ihm kurz die Rede ab. Diese arme Creatur im Joche der Dienstbarkeit drohte förmlich.

„Was der Tausend – da habe ich Dich ja wohl gar beleidigt. Hältst wohl große Stücke auf Deinen Herrn?“

Sie schwieg scheinbar trotzig.

Er lächelte verstohlen. „Du scheinst mir eine Aparte zu sein. Aber auch im Dienst beim Amtmann! Das will ’was heißen! Weißt Du aber auch, daß ich gerade deshalb Gewalt über Dich habe?“

Das Mädchen wich unwillkürlich zurück.

„Ja, ja – ernstlich! Ich kann Dir das Grasbündel da ohne Weiteres wegnehmen und Dir Dein Tuch abpfänden, wenn Du mir nicht das volle Besitzrecht Deines Herrn an der Wiese nachweisest, auf der Du gemäht hast. Er zahlt seinen Pacht nicht und zieht fortgesetzt den Nutzen aus Grundstücken, die ihm vor länger als Jahresfrist gekündigt worden sind. Was hast Du darauf zu erwidern, wie?“

Sie schien anfänglich kein Wort über die Lippen bringen zu können, dann aber sagte sie mit leiser Stimme: „Daß Sie der neue Herr im Hirschwinkel sein müssen.“

„Der bin ich. Siehst Du nun ein, daß Du alle Ursache hast, mir schön zu thun?“

„Ich – Ihnen?“ Eine grenzenlose Empörung schien ihr ganzes Wesen zu durchschüttern.

„Alterire Dich nicht!“ lachte er. „Ich bin kein Schlimmer; im Gegentheil – ich nehme nun die harte Hand gar nicht, die mir ‚das Kräutlein rühr’ mich nicht an‘ vorhin so schnöde verweigert hat, und wenn sie mir noch freundlich geboten würde. … Aber ein wenig höflicher möchte ich Dich sehen –“

„Gegen den Feind der Menschen, die ich lieb habe?“

„Feind? – Hm ja, Du hast ganz recht, insofern ich ein geschworener Feind der notorischen Spieler und Schlemmer bin, und Dein Amtmann ist einer, der seines Gleichen suchen soll.“

Ein Seufzer hob den Busen des Mädchens, und gepreßt stammelte sie: „Da werden Sie wohl mit meinem –“

„Mit Deinem lieben Herrn kurzen Proceß machen, willst Du sagen?“ fiel er ihr mit sehr strengem Ton und ohne eine Miene zu verziehen in’s Wort. „Versteht sich! Ich werde ihn an die Luft setzen, und zwar sofort, ohne Gnade, den Verschwender, den Prahlhans – darauf verlasse Dich! In Geschäftsangelegenheiten verstehe ich durchaus keinen Spaß. … Weißt Du nun, wen Du vor Dir hast?“

„Ach ja, einen reichen Mann, wie er schon in der Bibel steht.“

„Richtig! Einen Mann, der absolut nicht in’s Himmelreich kömmt, eben weil er ein reicher, ist – der Arme! Ja, ja, hast Recht – einen Tyrannen, einen Blutsauger, einen Menschen, der Geldfragen gegenüber ein steinhartes, oder vielmehr gar kein Herz hat, wie es einem praktischen Geschäftsmann ziemt. … Aber laufe doch nicht so, Mädchen!“

Sie war in der That in förmlichen Sturmschritt verfallen, und diesmal blieb Herr Markus zurück. Er sah ihr mit gespannter Aufmerksamkeit nach. Und wenn auch der häßliche plumpe Anzug das Mädchen entstellte, eine thüringer Edeltanne war sie doch, eine Erscheinung voll Leben und unbewußter Grazie in dem Spiel der schlanken, jugendkräftigen Glieder. … Schade um diese Gestalt, an der Sonnenbrand, Arbeit und Armuth rieben und zehrten, um sie in kurzer Zeit hart und eckig, zum frühgealterten Weibe zu machen! … Es blieb allerdings fraglich, ob nicht der Kopf den Adel, die Anmuth des schönen Leibes sofort verwischte, wenn das verhüllende Tuch fiel. Der lieblich geschwungene Mund verbürgte noch lange nicht, daß das Mädchen nicht schielte, keine gemeinen Züge hatte, und nicht sommersprossig und rothhaarig war – doch nein, unter dem weißen Tuchzipfel stahl sich ein gelöstes, glänzend dunkles Zopfende hervor – rothhaarig war sie nicht.




2.

Das Mädchen hatte sich kaum um zwanzig Schritte entfernt, als eine kleine, dicke Frau in braunem, rundem Strohhut und weiter Jacke aus einem schräg nach dem Fahrweg mündenden Waldpfad trat. Sie schritt direct auf die Eilige zu und hielt sie an der Schürze fest.

„Hör’ mal, Mädel, habt ihr denn wirklich die theuern Speisekartoffeln so in Hülle und Fülle, daß Du Ende Juni, sage Ende Juni, den Betteljungen die ungewaschenen Mäuler damit stopfst?“ fragte sie. Das klang nicht etwa wie Schelten; die Frau sprach sehr langsam und bedächtig, aber nachdrücklich. Man hörte, daß sie gewohnt sei, in aller Gemüthlichkeit den Leuten die Köpfe zurecht zu setzen. „Ich krieche tagtäglich auf allen Vieren durch die Kellerecken, um noch ein paar feine Salatkartoffeln für unseren Tisch zu erwischen, und dort“ – sie zeigte nach der Richtung zurück, in der sie gekommen – „dort braten sie haufenweise in der Asche. Das soll Einen nicht ärgern. Wir bezahlen auf die Minute pünktlich den theuren Pacht für schlechten Boden, und Deine Amtmanns ernten die besten Aecker ab; sie leben in’s Tageslicht hinein und fragen den Kukuk danach, daß auch einmal bezahlt sein muß –“

„Lassen Sie mich gehen, Frau!“ rief das Mädchen halb gebieterisch, halb ängstlich und strebte weiterzukommem.

„Frau! Frau!“ wiederholte die kleine Dicke geärgert und ohne den Schürzenzipfel loszulassen. „Bin ich denn ein Taglöhnerweib? Und hast Du denn gar keine Lebensart, Mädchen? Wenn Du noch gesagt hättest ,Frau Verwalterin’, oder meinetwegen auch nur ,Frau Griebel’, aber schlechtweg ,Frau’! Du bist ja nicht um ein Haar besser als Deine Herrschaft. Verschenkst mir nichts dir nichts gute Sachen, die nicht bezahlt sind, und hast den Hochmuthsteufel und eitle Dinge im Kopfe. Sieht man Dich denn je ohne das Scheuleder da auf dem Acker oder beim Grafen?“ – Sie zeigte nach dem weißen Kopftuch. „Hör ’mal, wenn man dienen muß, da darf man nicht darnach fragen, ob Einem die Sonne ein Paar Sommerfleckchen mehr auf die Haut brennt oder nicht, das paßt nicht, da lachen Dich die Leute nur aus, wie sie sich auch lustig darüber machen, daß Dir der Graskorb nicht nobel genug ist. Hier zu Lande trägt man das Futter nicht auf dem Kopfe heim – das ist nicht Mode bei uns. Und laß doch mal sehen“ – sie bog sich vor – „ach herrje, Forellchen hast Du da im Netz? Guck’ Einer an, Forellchen! Ja, ja, auf dem Vorwerk wissen sie, was gut schmeckt!“

„Der Fisch ist für die Kranke.“

„Ach ja, für die Kranke wird er geholt, und der Herr Amtmann ißt ihn, die alte Naschkatze, die! Gucke, Mädchen, wüßte ich das nicht, ich schickte manchmal ein Rebhuhn, oder sonst was Gutes ’nüber, ich bin ja doch kein Unmensch und hab’ Mitleid –“

„Wir danken!“ kam es kurz und herb unter dem weißen Tuch hervor.

„,Wir danken!“ spottete die kleine Behäbige nach. „Großplatziges Ding Du! Wer ist denn ,wir’? – ’s ist ja wahr, Amtmanns haben schlimm gehaust mit ihrem großen Vermögen; das Hemd auf dem Leibe gehört ihnen kaum noch, aber deswegen sind’s doch immer vornehme Leute und noch lange nicht Deines Gleichen.“

Inzwischen war Herr Markus längst näher gekommen und stand neben der Sprechenden, ohne daß sie es bemerkte. Er verbiß mit Mühe das Lachen. Die drollige Frau hatte sich bei dem nachäffenden „Wir danken!“ ironisch knixend, tief und gravitätisch zu Boden gestaucht, und das war urkomisch gewesen. Sie hielt das Mädchen noch fest; dem Beobachtenden war es, als müsse er einen gefangenen Vogel befreien.

„Wer wird sich denn so ereifern, meine kleine Dame!“ unterbrach er die Standrede.

Die Frau fuhr wohl bei der unvermuteten Einmischung ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_003.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2019)