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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

es, wenn sie seine Liebe duldete, seinem Geplauder lächelte und auf seinen Arm gestützt in die Gesellschaftssäle trat. Er war eine oberflächliche Natur, der auch oberflächlich über die Frauen dachte. Sie waren ihm nur ein liebreizendes Spielzeug für müßige Stunden, die dem Hause des Gatten den prächtigsten Glanz verleihen.

„Weißt Du schon, Conchita,“ sagte Tante Pepita eines Abends, als sie mit ihr oben auf dem flachen Dache des Hauses spazieren ging und ihre Nichte gedankenlos hinüber auf den Schnee der Berge schaute, welche eben in den letzten Strahlen der Sonne erglühten. „Weißt Du schon, daß der schöne, blonde Adjutant, welcher im Stab des Generals Bazaine war, seit Wochen krank darnieder liegt und wahrscheinlich in den nächsten Tagen mit den andern kranken Officieren nach Frankreich transportirt werden wird?“

„Was fehlt ihm?“ fragte Conchita tonlos.

„Er soll noch von den Gefechten von Puebla her eine Kugel zwischen den Rippen haben, die nicht herauszubringen ist. Er liegt im französischen Lazareth, und Schwester Brigita pflegt ihn – sie hat mir von ihm erzählt. War es nicht derselbe, mein Kind, mit welchem Dich Rosita neckte, weil er die Rose aufgenommen, die Dir damals beim Einzüge der Franzosen entfallen war?“

„Vielleicht! Du weißt, mich interessiren die Franzosen nicht.“ „Ist Dir nicht wohl, Kind?“ fragte die alte Dame nach einer Weile, während welcher sich das junge Mädchen auf einen kleinen Sessel niedergelassen und kein Wort gesprochen hatte.

„Ich bin sterbensmüde, Tante; sonst fehlt mir nichts. Sage Miguel, daß ich ihn heute unmöglich in die Oper begleiten kann – und gehe Du mit ihm – ich bitte Dich.“

„Aber Kind, wenn Du krank bist?“

„Ich bin nicht krank, Tante, nur müde von all’ den Gesellschaften, in denen ich mich langweilen mußte. Ich will allein sein und schlafen – sonst nichts mehr.“

Die Tante schüttelte den Kopf; sie verstand sie nicht, aber Conchita setzte es durch, daß sie Abends statt ihrer mit Miguel in die Oper ging.

Conchita war mit ihren Gedanken allein. Er, dessen Bild sie nicht aus dem Herzen bannen konnte, krank – er, der sie so sehr liebte! Und diesen Strahl der Liebe, den ein Gott in all das Elend des Menschenseins gegeben, sie hatte ihn verschmähet; sie hatte sich von ihm gewendet. Sie fühlte sich schuldbeladen und elend – sie mußte sühnen, wenn sie weiter leben sollte – sühnen, ehe es zu spät war.

Mit raschen Schritten ging sie zurück in ihr Zimmer, und als sie nach kurzer Zeit mit einem einfachen Shawl über dem Kopf und von ihrem Mädchen begleitet energisch durch die langen Straßen schritt, da fühlte sie, wie der tobende Sturm sich legte und es stiller wurde in ihr.

Es war damals, wo das Lazareth von. Kranken überfüllt war, nichts Seltenes, wenn eine Dame noch spät einen Patienten zu sprechen wünschte; auch Conchita gelangte unbelästigt bis auf den oberen Gang – hier fragte sie nach Schwester Brigita.

Diese, eine ältliche Nonne, mit angenehmem Wesen, sah erstaunt auf das junge, schöne Mädchen mit dem bleichen Gesicht.

„Wie geht es Monsieur Henri de Brunne?“ fragte Concha bittend. „Ich bin mit einem Auftrage für ihn betraut. Glauben Sie, daß ich ihn noch sprechen darf?“

„Monsieur de Brunne? Ah, der kranke Adjutant des Monsieur Bazaine? Er ist sehr elend, Sennorita, sehr. Ich bezweifle, ob er die Reise wird mitmachen können, die schon in wenigen Tagen vor sich gehen wird.“

„Aber der Auftrag ist wichtig; ich möchte –“

„O, gehen Sie immerhin zu ihm, Sennorita! Er ist noch mit dem Ordnen seiner Sachen beschäftigt, weil er unter allen Umständen nach Frankreich zurück will zu seiner Mutter.“

Eine Thräne drängte sich in Conchita’s Augen.

Es war ein großes, luftiges Gemach, in welchem Henri de Brunne bleich in einem Sessel neben dem Tische lag und in Papieren kramte. Das junge Mädchen war leise in das Gemach bis dicht vor ihn hingetreten.

Er hatte sie nicht bemerkt.

„Monsieur de Brünne,“ sagte sie weich. „Wie ich höre, wollen Sie zurück nach Frankreich; ich komme, um – Abschied von Ihnen zu nehmen.“

Henri de Brunne schaute wie im Traume zu ihr auf. Der Shawl war ihr vom Kopfe auf den Boden geglitten, und ihre großen, dunklen Augen blickten so milde und zärtlich, wie er sie noch nie gesehen. Sie war wunderbar schön.

„Sie von mir Abschied nehmen, Sennorita? Wie gut Sie sind! Ich danke Ihnen.“

„Ich habe Ihnen Vieles abzubitten und möchte, daß, wenn Sie wieder in Ihrem Vaterlande sind, Sie milde und gütig an mich denken können. Wollen Sie mir vergeben, Monsieur de Brunne, Alles vergeben, was ich Ihnen gethan?“

„Ich Ihnen vergeben? O, es war nicht Ihre Schuld, daß ich Sie anbeten mußte, und wenn Sie mich einen Augenblick nicht verstanden – es ist Alles, Alles vergessen durch diese Stunde. Ich – nur ich allein bin Ihnen zu unsäglichem Danke verpflichtet.“

Seine Lippen bebten und die abgezehrten Hände zerpflückten krampfhaft das Papier, welches er zwischen seinen Fingern hielt.

O, so – elend hatte sie sich ihn nicht gedacht.

Sie war leise bis dicht zu ihm hinan getreten.

„Ich habe nichts als diese Rose,“ und jetzt war es ihre Stimme, die vibrirte. „Wollen Sie dieselbe annehmen von mir und sie mit sich nehmen in Ihr Heimathland zur Erinnerung an – mich?“

Seine Augen suchten die ihren; er ergriff krampfhaft ihre Hand, und mit fliegendem Athem stieß er die Worte hervor:

„Conchita, mir – mir bringen Sie diese Rose? Träume ich denn? O, allerbarmender Gott, laß mich jetzt nicht sterben! Haben Sie mir denn nicht gesagt, daß Sie diese Rose nur dem Manne geben dürfen, den Sie lieben? Gott, Gott, sprechen Sie, Conchita – vielleicht bin ich ein Sterbender und stehe in ganz kurzer Zeit vor dem Throne des Ewigen. Ist diese Rose wirklich für mich? Darf ich – – ?“

Das stolze, schöne Mädchen war vor ihm in die Kniee gesunken; sie legte den Kopf auf seine zitternden Hände und benetzte sie mit einem Strom brennender Thränen.

„Henri, ich kam ja, um Dir meine Liebe zu bringen – nimm sie mit Dir, wohin Du auch gehen magst! Ich bin Dein mit Allem, was ich bin und habe, todt oder lebendig – hier oder dort.“

Er hatte sie mit hochfliegendem Athem an seine Brust gezogen – still und hingebend, mit namenloser Liebe lag sie an seinem Herzen. Mit den Liebkosungen, die er ihr so verschwenderisch gab, mengten sich die Thränen, die sie nicht zurückzuhalten vermochte. Kein Wort kam über die Lippen Henri’s, der sie selig – überselig in seinen Armen hielt. Nur seine Augen, welche nicht von ihrem Antlitz wichen, sagten ihr – wie tief, tief er sie liebte.

Als sie schied, nahm er von seinem Tisch das Pastellbild einer Frau mit ernsten, unbeschreiblich weichen Zügen.

„Meine liebe Mutter, Conchita – willst Du sie mit Dir nehmen, zur Erinnerung an diese Stunde?“

Sein Kopf war zurückgesunken; seine Augen hatten sich im Uebermaß von Glück geschlossen, und als das schöne Mädchen zum Abschied sich über ihn beugte und ihre lebensfrischen Lippen auf seinen bleichen Mund preßte, fragte er leise, wie in seligstem Träumen: „Wann kommst Du wieder, Geliebte?“

Die Thür glitt geräuschlos in ihren Angeln – Conchita hatte ihren Shawl tief über ihr Gesicht gezogen. Leise, von Niemanden gesehen, huschte sie über die Treppen; an ihrer Brust hielt sie krampfhaft das Bild von Henri’s Mutter.

Es war still und friedlich in ihr geworden; alle Stürme hatten aufgehört zu toben. Der Glorienschein einer wunderbaren Liebe beleuchtete ja für alle Ewigkeit ihren engen einsamen Pfad, der sie am Ziel – das hoffte sie – mit ihm vereinen mußte.

Als sie am andern Morgen erwachte, läuteten die Glocken in der Kathedrale die Sterbegebete. Henri de Brunne’s Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Wenige Wochen später trat Conchita als Novize in den Orden der barmherzigen Schwestern – trotz aller Bitten Don Miguel’s und ihrer Familie. Ein Jahr darauf nahm sie den Schleier. Ihr großes Vermögen aber legte sie in die Hände von Benito Juarez.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_055.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)