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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

machte ihm noch viel weniger die Freude, den zahlungsunfähigen Pachter schleunigst aus dem Hause zu werfen, auf daß die Hochzeit mit Amtmanns Magd – mit diesem merkwürdigen Mädchen, bei welchem man oft plötzlich denken mußte, nicht die Manieren seien geborgt, sondern der Arbeitskittel – um so rascher in Scene gesetzt werden konnte. Darin irrte sich der Herr Forstwärter denn doch gewaltig! …

Mit einem elastischen Sprung in das Dickicht kehrte Herr Markus dem stillen Hause den Rücken und ging den Weg zurück, den er gekommen.

Inzwischen war das goldgrüne Wald-Abendlicht nahezu erloschen und mit ihm der sänftigende Zauber der durchleuchteten Einsamkeit. Der unter dem Gebüsch hinkriechende tiefe Schatten verdunkelte auch die Menschenseele – Herr Markus konnte seiner heutigen tiefen Verstimmung noch weit weniger Herr werden, als vorher, und wehe der naseweisen Haselgerte, oder den herabhängenden Baumzweigen, die es wagten, sein finsteres Gesicht zu streifen – sie wurden zornig abgeknickt und weithin geschleudert.


6.

Da machte er es nun wie tausend andere Egoisten auch. Nach den Anforderungen der Religion und vielleicht auch einer Art von allgemeiner schläfriger Menschenliebe sind sie geneigt, Almosen von dem Ihren zu geben – aber nur ja keine Berührung mit den Leuten selbst, denen geholfen werden soll! Sie machen einen weiten Bogen um die unangenehmen Verhältnisse, auf daß keiner der fremden Schicksalsfäden an ihren Kleidern hängen bleibe, und schieben die unbequeme Aufgabe sacht und beharrlich aus dem Wege, um – plötzlich mitten in die Situation hineinzuspringen, wenn ihre Eigenliebe in’s Spiel gezogen wird. Oder war es nicht die aufgestachelte Eigenliebe, die ihn trieb, dem widerwärtigen Forstmann mit seinen humanen Absichten um jeden Preis zuvorzukommen? Wäre er nicht am liebsten jetzt gleich, stehenden Fußes, nach dem bisher gemiedenen Vorwerk gegangen, um sich „dem alten Verschwender, dem Prahlhans, dem notorischen Spieler und Schlemmer“ und den Seinen vorzustellen, und sie Alle zu bitten, doch ja um Gotteswillen nichts Schlimmes von ihm zu denken? Nichts, als die liebe Eitelkeit und das Zorngefühl gegen den Grünrock, der so treu wie Gold sein sollte – hatte das Mädchen nicht so gesagt? – und sich doch nur auf den Opferungsvollen spielte, um dabei zu fischen, was er sich wünschte. …

In ärgerlicher Hast bahnte er sich weit rascher als vorher einen Weg durch das Unterholz und schritt bald auf einem der gebahnten, schmalen Stege, welche auf die nach dem Gute laufende Fahrstraße mündeten, und als er heraustrat, da sah er Frau Griebel von der Schneidemühle herkommen.

Sie trug auch ein Fischnetz am Arm. An dieser Stelle sah es nun freilich nicht so poetisch aus, wie es neulich der schlanken Prüden angestanden; auch zerrte sichtlich eine weit größere Last an den Maschen, als das schmale, für die Kranke bestimmte Fischlein gethan.

„Ja, da kommen Sie mir nun ein wenig in die Quere, Herr Markus!“ rief sie ihm in unverhehltem Verdruß entgegen. „Konnten Sie sich denn nicht noch ein Bischen im Walde aufhalten, bis ich glücklich zu Hause war und meine Forellen ausgeweidet hatte? – Nun müssen Sie warten und sich am gedeckten Tisch langweilen; ich kann Ihnen nicht helfen. – Na ja, gucken Sie nur her! Gesehen haben Sie’s ja doch nun einmal – es giebt richtig Forellchen heute Abend, die schönsten, die der Sägemüller in seinem Fischkasten hatte. Luischen hatte frische Butter geschlagen, und vor einer halben Stunde kamen sie an – neue Kartoffeln nämlich. Ein guter Freund von uns, der Schloßgärtner, wo mein Mann bis vor drei Jahren Verwalter war, hat mir aus alter Liebe und Freundschaft ein Gerichtchen für Sie abgelassen. … Herr Markus, neue Kartöffelchen um die Zeit!“ – Sie unterbrach sich plötzlich und blieb stehen.

„I was – da haben wir ja wieder einmal noblen Besuch an der Landstraße!“ sagte sie grimmig und zeigte mit dem ausgestreckten Arm nach einer Gestalt, die, mit dem Rücken an den Stamm einer Buche gelehnt, quer über die Fahrgeleise hingestreckt lag. „’S ist doch eine gräuliche Zeit jetzt! Die betrunkenen Handwerksburschen liegen wie die Fliegen am Wege, und man muß sich nur immer in Acht nehmen, daß man keinen todt tritt. Das war früher nicht so! Und wenn Sie zehnmal selber ein Fabrikant sind, Herr Markus, ich sag’s doch – das Fabrikgetreibe macht’s und das ewige Kriegsgetute in die Welt ’nein. Es müssen deshalb zu Viele spazieren gehen, wenn sie auch nicht wollen, und da haben sie die scheußliche Lasterhaftigkeit an sich, sie wissen nicht wie. Und da wird nachher gegen die Verderbtheit gedonnert und zur Umkehr commandirt – ach ja, mit sattem Magen spricht sich das gar leicht.“

Sie waren inzwischen dem am Boden Liegenden näher gekommen, und Herr Markus bog sich nieder und sah in das blasse Gesicht des Menschen, der mühsam die Lider von den erloschenen Augen hob, um einen scheuen, verstörten Blick auf die Sprechenden zu werfen.

„Aber der Mann ist ja gar nicht betrunken,“ sagte Herr Markus und fühlte rasch an den Puls der schlaff hingesunkenen Hand.

„Meiner Treu, das seh’ ich jetzt auch! … Du lieber Gott, ich spreche von neuen Kartoffeln, und da verhungert Einer! Ja, ja, wie ich immer sage, die Gottesgaben sind wunderlich vertheilt in der Welt.“

Sie fuhr mit der Hand in die Tasche, brachte eine Semmel zum Vorschein und hielt sie dem Mann an den Mund. „Heda, guter Freund, beißen Sie einmal herzhaft da hinein – das wird Ihnen so gut thun, wie wenn man frisches Oel auf eine Lampe schüttet.“

Eine schwache Röthe schoß in die Wangen des Erschöpften, wie schon vorhin bei dem Wort „verhungert“, und seine Hand hob sich matt abwehrend.

„I sperren Sie sich doch nicht wie eine Jungfer!“ schalt Frau Griebel ärgerlich. „Ihnen sieht man den Hunger auf tausend Schritt an, und da wollen Sie Einem wohl auch noch weiß machen, Sie hätten womöglich Lampreten zu Mittag gespeist! … Essen Sie nur von der Semmel da! Das hilft Ihnen einstweilen so weit auf die Beine, daß wir Sie nach Hause bringen können; und da hab’ ich noch vom Mittag eine schöne, kräftige Fleischsuppe stehen, und ein gutes Bett sollen Sie auch haben.“

„Versuchen Sie zu essen!“ sagte Herr Markus mit freundlicher Bitte; darauf hin nahm der Mann das Gebäck, und nun, mit dem ersten Bissen, war er nicht mehr Herr seiner selbst; er aß mit unbeschreiblicher Gier und schien Alles um sich her zu vergessen.

Er war ein hübscher, junger Mann mit einem voll und lang auf die Brust herabfallenden, röthlich blonden Bart. Seine Kleidung war abgetragen, aber man sah, daß er auf Sauberkeit hielt – für den neuen, schneeweißen Papierkragen am Halse hatte er vielleicht seine letzten Pfennige hingegeben.

„Ja ja, wenn das manchmal so eine arme Frau zu Hause wüßte!“ sagte Frau Griebel mit einem bezeichnenden Kopfneigen nach dem Essenden. „So einer Mutter ist manchmal kein Bett weich genug und kein Essen zu kräftig für ihren Jungen, und nachher –“

Sie verstummte unwillkürlich; denn so hastig, wie seine Schwäche es zuließ, griff der junge Mann nach seinem Hute, der ihm beim Niedersinken entfallen sein mußte, und drückte die breite Krempe tief in die Stirn, als wolle er sein Gesicht den Dastehenden entziehen.

„Na, junger Mann, das brauchen Sie nicht gleich krumm zu nehmen,“ meinte Frau Griebel in ihrer unzerstörbar gleichmüthigen Sprechweise. „Es hat schon Mancher draußen bei anderen Leuten gefochten oder mit hungrigem Magen im Chausseegraben campirt und ist nachher doch zu Hause ein gemachter Mann geworden. Das bleibt nicht an Ihnen kleben, wenn Sie sonst ein ordentlicher Mensch sind. … So, nun wollen wir einmal sehen, ob wir Sie auf die Beine bringen können.“

„Ich habe sechs Wochen lang im Spital krank gelegen,“ murmelte er fast unverständlich, „und komme –“

„Ja, das sieht man Ihnen an, daß Sie krank gewesen sind,“ unterbrach ihn die Frau, „und woher Sie kommen, und was Sie weiter vorhaben, das brauchen wir gar nicht zu wissen. Sie bleiben die Nacht auf dem Gute – ein Bischen Schlaf ist Ihnen so nöthig, wie das liebe Brod, und morgen wollen wir weiter sehen. … Also, Courage! Probiren wir’s einmal!“

Sie faßte ihn kräftig unter den Arm, und auf der anderen Seite half Herr Markus; es gelang – der junge Mann kam auf die Füße, aber er war doch noch zu schwach, um ohne Stütze

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_058.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)