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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 5.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Die Vorwerksgebäude lehnten sich mit der Rückseite an den Rand des Fichtengehölzes; sie waren einstöckig, von sehr geringem Umfange, und so alt und verfallen, daß das vorbeischnaubende Dampfroß sie binnen Kurzem nothwendig über den Haufen werfen mußte. Auf der Südseite lag ein Grasgarten, und die Gitterthür in seinem Weißdornzaune führte nach dem Gehölz. Sie war nicht verschlossen – Herr Markus trat ein und schritt auf dem einzigen schmalen Wege, der das von Wiesenblumen strotzende Gras durchschnitt. Ein paar hochwipfeliger Birnbäume und eine schöne Eberesche warfen kühlen Schatten über ihn. Er kam auch an einer Laube vorüber, einer tiefschattigen, von verschränkten Lindenzweigen gewölbten Laube, die einen Steintisch und zwei kunstlos gezimmerte Holzbänke beherbergte. Es war sehr indiscret und keineswegs zu rechtfertigen, daß der neue Herr des Hirschwinkels an den fremden Tisch trat, auf welchem Scheere, Fingerhut und hingeworfene feine Flickwäsche verriethen, daß eine Dame hier zu hausen pflege. Aber es stand auch ein Tintenzeug da, und daneben lag ein aufgeschlagenes, dickes Schreibeheft, und das war des Pudels Kern – in diesem grünen Versteck bestieg Fräulein Gouvernante ohne Zweifel den Pegasus und machte herzbewegende Verse an Luna und Hesperus. Ihr Geist warf sonach einen Schatten vor sich her; er wehte den Indiskreten an, noch bevor er die Dame selbst sah. Im nächsten Augenblicke lachte er leise auf – poetisch war es nicht, was sein scheuer Seitenblick gestreift hatte. „Zwei Paar Tauben nach Tillroda verkauft, ein Schock Eier desgleichen“ etc. Nun, wenn er heute Fräulein Gouvernante mit Tintenfingern fand, so war nur das Wirthschaftsbuch daran schuld.

Er schritt weiter. Der Graswuchs hörte auf, um einigen Gemüsebeeten in der Gartenecke Platz zu machen, und an die Stelle der Hausmauern zur Rechten trat nunmehr ein Zaun, oder eigentlich ein Gebüsch von Himbeersträuchen, das den Garten vom Hofe schied – da war der Grund und Boden, über welchen die Schienen hinlaufen sollten.

Die paar „übriggebliebenen“ Hühner krakelten drüben, und ein Hund schlug an, und jetzt knarrte auch eine Thür in dem Gebüsch, und etwas Weißes kam durch das Gezweig.

Herr Markus zog unwillkürlich den Handschuh straffer über die Rechte und beschleunigte seine Schritte, um der Dame im weißen Kleide entgegenzutreten, aber es war nur die Magd, deren Erscheinen ihn jedesmal so ärgerte, daß ihm das Blut zu Kopfe stieg. Sie hatte eine breite weiße Kochschürze über ihr armseliges Arbeitscostüm gebunden und die langen Hemdärmel hoch aufgerollt; das unförmliche Busentuch fehlte, ebenso das „Scheuleder“.

Der Gutsherr blieb unbeweglich stehen und sie sah ihn nicht; sie ging geradeswegs auf die Gemüsebeete zu und bückte sich, um eine Handvoll Küchenkräuter abzuschneiden. Erst beim Aufrichten wandte sie den Kopf und erblickte den Dastehenden. Eine brennende Röthe jagte über ihr Gesicht hin, und ihre erste Bewegung war, die langen Leinenärmel über die entblößten Arme herabzustreifen.

Es drängte ihn instinctmäßig, fast unwiderstehlich, vor der hochaufgerichteten, schlanken Gestalt den Hut zu ziehen, wie er der vermeintlichen Dame im weißen Kleide gegenüber beabsichtigt, aber sein Groll war stark genug, eine solche Inkonsequenz zu verhindern – dieses dünkelhafte Mädchen wollte er wenigstens nicht in dem Glauben bestärken, als nehme er ihre geborgte Vornehmheit für baare Münze. Er griff deshalb nur flüchtig grüßend an den Hutrand und fragte in kaltem, geschäftsmäßigem Tone nach dem Herrn Amtmann. Dabei sah er ihr in das Gesicht, in die braunen Augen, die sich sichtlich erschreckt, in unverschleierter Beklommenheit auf ihn hefteten – sie mochte wohl meinen, der verhängnißvolle Moment sei gekommen, wo die unrechtmäßige Bewohnerschaft des Vorwerkes auf „den Bettel“ geschickt werden sollte.

In leisem, demüthigem Tone, wie er sich recht wohl für den dienstbaren Geist des Hauses schickte, sagte sie, daß der Herr Amtmann zu Hause sei und es sich jedenfalls zur Ehre schätzen werde, den neuen Gutsherrn zu empfangen.

„Und Fräulein Agnes Franz?“ fragte er.

Sie fuhr empor, als habe er schon mit dieser einen einfachen Frage ihre junge Dame beleidigt. – Die angenommene Demuth war plötzlich vergessen; mit niedergeschlagenen Augen, aber sehr herb und bestimmt sagte sie:

„Die werden Sie nicht sehen.“

„Ei was – ist die Dame verreist?“

Ein halbes Lächeln schlich um ihre Lippen.

„Das Reisen vergeht ihr, wie dem Vogel im Käfig das Fliegen.“

„Aha – das ist wieder die mystische Redeweise, mit welcher Sie das Sein und Wesen Ihrer jungen Dame zu verschleiern lieben!“ – das „Sie“ kam ihm über die Lippen; er wußte selbst nicht wie. „Uebrigens sind Sie mit Ihrer Sibyllenklugheit am Ende – in wenig Augenblicken werde ich in der That mit eigenen Augen sehen, was hinter diesem ‚Bild von Sais‘ steckt –“

„Ganz sicher nicht.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_073.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)