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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Wenn auch sehr viel Uebertriebenes über die Freßbegierde der Vielfraße berichtet worden ist, so können wir nach dem, was wir bis jetzt an den unserigen constatirt haben, nicht umhin zu gestehen, daß jeder Unbefangene sofort von der außergewöhnlichen Gier und Freßlust dieser Thiere überzeugt sein muß, und wenn auch unsere Vielfraße verhältnißmäßig nicht mehr fressen, als andere Raubthiere von gleicher Größe, so geberden sie sich doch stets derart, als wären sie wirklich verhungert oder an Freßsucht leidend. Natürlich können wir aus dem, was ihnen bisher geboten, nicht die Quantität dessen bestimmen, was sie zu fressen vermögen, indessen getrauen wir uns nicht mit ihnen Experimente zu machen, die ihnen zu leicht gefährlich werden könnten. Morgens erhalten sie ein Liter Milch mit Wasser und Brod, gegen elf Uhr jeder ein Viertel Kilogramm Kalbfleisch und Abends ein Kilogramm Pferdefleisch. Wasser trinken sie im allgemeinen wenig; sie spielen und plätschern aber gern damit.

Wir werden später hoffentlich im Stande sein, noch Näheres über das Verhalten dieser interessanten Geschöpfe zu berichten. Hier sei schließlich noch bemerkt, daß der Wärter auf sehr vertrautem Fuße mit ihnen steht. Er spielt mit ihnen, legt sie der Länge nach auf den Rücken, streichelt sie und steckt ihnen die Hand in das Maul, ohne daß ihm jemals ein Leid widerfahren ist.

F.





Wie die Menschen bauen lernten.

Von Paul Wislicenus.

Erst vor wenigen Jahren hat die deutsche Nation das Fest der Einweihung des Hermanns-Denkmals gefeiert, und erst vor wenigen Monaten standen wir bewundernd vor dem vollendeten Kölner Dom. Welch erhabenen Anblick bietet der gewaltige Bau dem Beschauer! Abgesehen von seiner Größe - der Kölner Dom übertrifft an Höhe alle bestehenden Bauwerke der Erde - zeichnet er sich besonders durch die Zartheit seiner Glieder aus. Der gothische Stil, in dessen Spitzbögen, Phialen und Strebepfeilern er ausgeführt ist, hat es dem alten, vor 600 Jahren lebenden Baumeister ermöglicht, hier ein Gebilde zu entwerfen, welches zu den wunderbarsten der Erde gehört. Man denke sich die riesigen Steinmassen in ihrer ganzen Schwere, und man sehe nun mit Erstaunen, wie kunstvoll der Meister sie gefügt hat! Durch die Spitzen der Thürme scheint die Sonne; zwischen dem zierlichen Maßwerk der Pyramiden blickt das Blau des Himmels hindurch. Stehst du in der Kirche, so hast du über dir schwebend in einer Höhe von 150 Fuß ein Dach von Steinen, so sorgsam und klug zusammengesetzt, daß jeder einzelne derselben den andern verhindert, auf dich niederzufallen Und das ganze Gewölbe trägt sich selbst, ohne die Stütze einer Wand; denn wenn du nach den Wänden der Kirche blickst, so kannst du sie nirgends finden. Die Riesenmauern, welche das Gewölbe tragen sollten, sind einfach nicht da. Der ganze Kölner Dom hat überhaupt keine Wände - die Kirche ist statt ihrer von zwei Reihen gewaltiger Glasfenster eingefaßt - das Gewölbe aber ruht nur auf den dünnen, 150 Fuß hohen Pfeilern, welche die Fenster einfassen und von außen durch angemauerte Strebebögen gestützt sind. Wenn man das Glas aus den Fenstern nehmen würde, so wäre das steinerne Gerüste der Kirche in seiner Luftigkeit und zierlichen Leichtigkeit einer aus hölzernen Latten zusammengenagelten Laube zu vergleichen.

Wenn wir vor diesem Dome stehen, rufen wir, von dem Eindruck seiner Größe überwältigt, aus. „Was für Wunder sind das, Wunderwerke von Menschenhand!“ Mit seinem Genie konnte der Mensch derartiges erreichen, ehe er aber Genie dazu besaß – hat er da die ganze Kunst des Bauens nicht erst erlernen müssen? Gewiß – werden wir aus diese Frage erwidern – es ist selbstverständlich, daß die Menschheit nur langsam zu so erhabenen Zielen gelangte; bevor sie gothische Dome bauen konnte, hat sie sich romanischer und byzantinischer Kirchen bedient; vor dem gab es nur Säulentempel und plumpe Königspaläste, und früher hat es gar nur massive Pyramiden, rohe Steinhäuser, Holzhütten und im Anfang sogar lediglich Höhlen gegeben. Ich will es versuchen, die Entstehung der Baukunst im Folgenden zu beleuchten.



1. Die Urzeit.


Jedes Volk der Erde hat seine Urzeit gehabt, und noch heute können wir das Wesen der Urmenschen an den Völkern studiren, welche wir als die „wilden“ bezeichnen: sie bieten uns noch gegenwärtig Urzustände und Urfähigkeiten dar, die uns lebhaft an die vorgeschichtlichen Menschengeschlechter erinnern.

So finden wir z. B. bei den Völkerstämmen, welche das Festland von Neu-Holland bewohnen, die wunderlichsten Zustände und Sitten. In Melbourne haben diese Wilden sich an der Weltausstellung betheiligt. Sie haben jedoch nichts ausgestellt, als – hölzerne Waffen. Außer diesen lieferten sie nur noch ein Erzeugniß: aus Gras geflochtene Beutel, in denen sie ihre Fourage unterbringen. Sonst brachten sie nichts herbei; denn außer hölzernen Waffen (die sie mit Hülfe von scharfen Steinen schnitzen) und den erwähnten Beuteln besitzen sie nichts. Vollständig nackt, nur mit elenden Holzwaffen versehen, schweifen sie in Rudeln in der Wildniß umher, und des Nachts schlafen sie unter freiem Himmel auf dem Haideboden. Thierisch sind ihre Bewegungen; thierisch scheint uns ihre ganze Existenz. Es soll wunderbar genug aussehen wenn sie am Feuer hocken und sich die glühenden Kohlen nicht mit den Händen, sondern mit den Fußzehen herauslangen. Und doch sind die Austral-Neger Menschen; sie sind es nicht nur körperlich, sondern auch geistig; denn sie kennen das Feuer und verfertigen sich Waffen.

Die Kunst zu bauen kennen sie jedoch nicht; sie ahnen kaum die schüchternsten Anfänge derselben. Dies gilt besonders von den im Süden des Erdtheils hausenden Horden; weiter im Norden fängt der Trieb zum Bauen doch schon an. Das nördliche Neu-Holland nämlich gehört bereits zur heißen Zone; es giebt dort also keinen Winter, sondern statt seiner herrscht monatelang die berüchtigte tropische Regenzeit. Unaufhörlich strömt das Wasser vom Himmel herunter, und gegen dieses Wasser verschafft sich der Austral-Neger eine Art Schutz. Er gräbt sich eine Grube und deckt dieselbe mit starkem Reisig zu. Nun könnte man denken, er krieche unter das Reisig, in die Grube hinein. Aber nein, so unpraktisch ist er gar nicht. er setzt sich hübsch mitten auf das Reisig, schmiert sich die bloße Haut tüchtig mit Fett ein und läßt den Regen von seinem Körper hinunter in die Grube laufen. Die Grube hat er nur gegraben, um nicht auf der bloßen Erde in einer Schlammpfütze zu sitzen. Man möchte diese geniale Erfindung beinahe unseren bivouakirenden Soldaten empfehlen.

In unseren nordischen Klimaten, bei Schneegestöber und Winterkälte, reichten jedoch derartige Schlammkellerbauten schon den Urmenschen zu ihrer Existenz nicht aus. Auch sie hatten keine Häuser und verstanden sich keine zu bauen. Da half ihnen gütig die Natur; sie bot ihnen in den deutschen Mittelgebirgen eine Menge Felsenhöhlen, aus denen sie wohl oft genug den Höhlenbär erst vertreiben mußten. Hier wohnten sie nun mit ihren Familien unter einem schützenden Dache, und vielleicht verhängten sie mit einem Fell nothdürftig den Eingang.

Allein die Höhlen, welche die Natur gebildet hatte, reichten auf die Dauer nicht aus, und man war genöthigt, sich solche künstlich zu bilden. Man schweifte also in der Umgegend umher und suchte einen passenden Felsen. Eine denselben durchklaffende Spalte wurde der Einwirkung des Feuers ausgesetzt und gegen den heißen Stein Wasser gegossen, sodaß er barst und Stücke herunterbrachen. So wurde der Spalt weit genug, um eine ganze Familie zu beherbergen.

Ein merkwürdiges Exemplar einer derartigen künstlichen Felsenhöhle fand man im südlichen Württemberg. Dort steht irgendwo ein Stein an einem Bergeshange, der künstlich ausgehöhlt ist. Von dem Felsblock sind nur die Außenseiten stehen geblieben, wie die Schale eines hohlen Eies. Im Vordergrunde, nahe am Eingange (welcher vermuthlich mit einem Fell verhängt war), deuten eine Anzahl geschwärzter Steine den Feuerherd an, der hintere Theil des Raumes dagegen ist hoch und schwer zu erklettern Dort hat vermuthlich die Familie, sicher vor wilden Thieren geschlafen.

Derartige Höhlen in natürlichem Fels finden sich nur in den gebirgigen Theilen von Deutschland. Allein auch in jenen Districten, in welchen es weder Berge noch Felsen giebt – also in dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_079.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)