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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Schon vorher hörte ich unruhige Schritte vor der Thür, die zu den anderen Zimmern führte. Jetzt wurde dieselbe leise ein wenig geöffnet ein Frauenkopf wurde sichtbar. „Wir wollen essen, Dessoir,“ sagte die Dame und verschwand nach kurzer bejahender Antwort des Angeredeten. Sobald sich die Thür geöffnet hatten war ich von meinem Platze aufgestanden. Wir verließen das Trittbrett und standen wieder in der Mitte des anheimelnden Salons. Stehend besprachen wir das Weitere schnell. Mit sich steigernder Theilnahme redete der Meister.

Ich sollte, meinte er, durch seine Empfehlung in nächster Zeit auf dem Liebhabertheater „Urania“ auftreten, und nachdem er mich dort werde gesehen haben, wollte er, so weit dies möglich, ein Urtheil abgeben und mir auch sonst behülflich sein. Mit einem warmen Händedruck erwiderte der berühmte Schauspieler meine stammelnde Danksagung, gab mir das Geleite bis zur Thür, die auf den Treppenflur führte, öffnete und schloß dieselbe – und wie aus einem Traume erwachend, fand ich mich vor dem bereits erwähnten Hausthor wieder, die helle Mittagssonne und das frische Grün der Anpflanzungen des Leipziger Platzes freudig begrüßend und tief Athem holend.

Am Nachmittag desselben Tages ließ es mir keine Ruhe, nun auch Meister Döring’s Meinung zu hören. In einem dunkelgrau angestrichenen Hause der Charlottenstraße, gegenüber dem königlichen Schauspielhause, befand sich damals des Altmeisters Wohnung. Bald hatte ich die Treppen erklommen und läutete. Eine Dame öffnete, fragte nach meinem Namen und meinem Begehren, ersuchte mich zu warten, schloß die Thür und überließ mich eine Minute lang auf dem Corridor meinen Gedanken. Bald öffnete die Dame wieder und forderte mich auf, ihr zu folgen. Ein dunkler, länglicher Gang führte zu zwei hellen Zimmern, von denen das zweite anscheinend das Arbeitszimmer des großen Mimen war; denn geschäftig kam er nur aus demselben entgegen, eine Feder in der Hand, in langem grauem Schlafrock, sonst aber sorgfältig frisirt und völlig toilettirt.

„Sie sehen, wie viel ich zu thun habe,“ sagte der lebhafte Herr, mich mit seinen leuchtenden Augen musternd. „Ich konnte Ihnen nicht schreiben, habe zu viel der Arbeitslast. Auch wußte ich, daß Sie ohnedies kommen würden. Da! Nehmen Sie vor Allem Ihr Dings da zurück!

Und dabei überreichte er mir, es mit dem Daumen und Zeigefinger von der Oberfläche seines Schreibsecretärs nehmend, das kleine Couvert, das mit meiner Adresse versehen war.

„Kostet ja Geld, das Zeugs! Die Marke können Sie noch mal benutzen. Stecken Sie’s ein! So! Und nun, was soll ich für Sie thun? Was thu’ ich mit dem Declamiren“ fuhr er fort, als er meinen Wunsch hörte, ihm Etwas Vorsprechen zu dürfen. „Wenn Sie reden können, können Sie noch lange keine Komödie spielen; es ist zweierlei reden und spielen. – Und wie stehen Sie da!“ eiferte er in komischer Hast weiter; „wenn Sie zum Theater gehen wollen, dürfen Sie nicht so bucklig dastehen. Ist das ’ne Haltung! Sehen Sie mich an!“ rief er, sich kerzengerade dicht an meine rechte Seite stehend, „ich bin ein alter, Sie sind ein junger Mensch. Nun sehen Sie selbst! Sie sind ja jetzt schon hin. Wo wollen Sie die Kraft zu den Strapazen der Komödie hernehmen? Glauben Sie, das ist so leicht? Da! Sehen Sie her! Das Repertoire! Vorgestern hatt’ ich zu thun, gestern, heute, morgen. Das greift an. Sie sind ja nur so ein schwächliches Männchen – keine Figur! Kein Mark! Gehen ja zu Grunde, bevor Sie was geworden.“

Dabei wandte er sich schnell, nahm vom Schreibtisch eine goldene Dose und führte seiner scharfgeschnittenen Charakternase eine gehörige Prise zu. Ich wagte auf meine Entbehrungen während der langen Fußreise hinzudeuten und hinzuzufügen, daß ich mich gegenwärtig beinahe krank fühle.

Des Meisters Züge veränderten sich zusehends, seine angenommene Strenge wich dem Mitgefühl.

„Nun ja! Will’s glauben!“ sagte er mit einigermaßen gerührtem Tone. „Aber ich kann Ihnen keine Empfehlung geben, wenn ich keine Komödie von Ihnen gesehen,“ setzte er strenger hinzu „Auf die Rhetorik allein geb’ ich nichts,“ vollendete er, mit einer kurzen Bewegung sich wieder umwendend und die Dose mit hörbarem Schlag aus ihren früheren Platz stellend.

Zögernd theilte ich nun dem Altmeister den Plan mit, daß ich in der „Urania“ auftreten möchte. Unrühig hörte er zu.

„Also sind wir fertig,“ begann er plötzlich. „Bevor Sie auftreten, sagen Sie’s mir! Ich komme hin und wenn ich sehe, daß Sie ’was taugen, bin ich immer für Sie da. Dann läßt sich weiter reden – jetzt ist jeder Ton zu viel.“ Und als ob er mich hinauscomplimentiren wollte, ergriff der bewegliche Mann wieder die Feder, mit der Linken hastig einige Papiere auf dem Schreibtische ordnend. Ich empfahl mich also; rasch folgte mir der Meister. „Abgemacht! Ich komme,“ rief er mir noch nach, sich wieder in sein Arbeitszimmer begebend. Im dunklen Gange schien die Dame von vorhin auf Beendigung meiner Audienz schon gewartet zu haben; sie öffnete mir zuvorkommend die Corridorthür und nahm noch von meinen letzten Verlegenheitsbücklingen nachsichtig Notiz. Wie ich später erfuhr, war diese gewissenhafte Pförtnerin Döring’s Schwägerin.

Ich habe die Bühne der „Urania“ nie betreten, da ich in Berlin keine Subsistenzmittel erlangen konnte. Ich fing mit „Chor und kleinen Rollen“ in der Provinz an und arbeitete mich nach und nach aus eigener Kraft empor.

Dessoir sah ich nur noch einmal, und zwar bei Gelegenheit eines Gastspiels in Meiningen, als er zum Geburtstage des kunstsinnigen Herzogs im Winter 1869 den Brutus in „Julius Cäsar“ darstellte. Ich war dort für kleine komische Rollen engagirt, und hatte nicht den Muth, mich dem sinnigen Dessoir in Erinnerung zu bringen. Ich wollte mir diese Freude für spätere Jahre aufsparen. Leider starb Dessoir, ehe ich wieder nach Berlin kam.

Altmeister Döring hatte ich noch oft das Glück zu sehen. Oft, wenn ich ihn in der bekannten Berliner Weinstube bei Lutter und Wegener begrüßte, fixirte er mich scharf; denn trotz der Veränderung, welche die letzten zehn Jahre an mir vollzogen, schien ihm doch mein Gesicht bekannt vorzukommen. Ihn abermals zu sprechen hatte ich nie Gelegenheit. Heute ruhen diese beiden Zierden der deutschen Bühne in kalter Erde eingebettet; sie weilen vereint in jenen Regionen, in denen es nun einmal kein Rollenmonopol giebt.

A. H.




Salviati, der Glaskünstler von Venedig.

Wie mit dem wachsenden Wohlstand eines Volkes die Lust am Schönen allmählich erwacht, so schläft sie auch mit der Verarmung wieder ein, und mit dem Stern der alten glänzenden Republik Venedig mußten auch seine glorreichen Künste und Kunstindustrien verbleichen und untergehen. Die Kunstfertigkeit vererbte sich wohl als köstliches Gut auf spätere Geschlechter, doch es gebrach an ebenbürtigen Nachkommen jener großen Kaufherren, welche die Aecker der Künste mit Gold düngen konnten.

Für die alten Meister der venetianischen Bildermosaik, die so große Werke hinterlassen, war mit dem letzten Palastbau auch die Existenz unmöglich geworden. Sie starben aus und nahmen die technischen Geheimnisse, die Mischung und Färbung ihrer Glaspasten mit in’s Grab, und nicht viel besser erging es den hochberühmten Glasbläsern aus Murano, jener „Glasinsel“ bei Venedig. Ihre ausgedehnten kunstgewerblichen Anlagen waren zusammengeschmolzen bis auf einige kümmerliche Glashütten, und von den edlen altvenetianischen Formen, die sich mit unwiderstehlicher Anmuth in jedes Auge schmeicheln, hatten sich nur noch geringe Spuren erhalten; das Bedürfniß forderte größere Materialfülle, vor Allem einen billigen Markt, und drückte damit das herrliche Kunstgewerbe zum Handwerk herab. Aber auch als solches konnte es nur eine beklagenswerthe Existenz fristen; die überaus betriebsamen böhmischen und englischen Glasindustrien verdrängten mit leichter Mühe die Glashändler aus Murano von den Märkten ihres Vaterlandes. Die Folge davon war Armuth und Hunger unter den 12,000 Seelen der einst so lebensfrohen Insel.

Ein „großer Laie“ sollte als Erlöser dieser Bedrängten als Wiederbeleber dieser verlorenen Künste auferstehen

Dr. Salviati, in Vicenza geboren, studirte in Padua die

Rechte und erfreute sich schon seit zwanzig langen Jahren einer ausgedehnten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_083.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)