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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

advocatischen Praxis in der Stadt Venedig. Da fiel ihm eines Tages ein Roman der George Sand „Les maîtres mosaïstes“ in die Hand, der von den alten glanzvollen Tagen jener venetianischen Werkstätten der Bildermosaik erzählt, und diese Anregung sollte von ungemeiner Tragweite werden.

Bekanntlich sind die fünf Kuppeln der Marcus-Kirche im Innern mit großartigen Mosaikbildern auf Goldgrund geschmückt.

An sich sind diese Bilder fast unzerstörbar, aber der märchenhafte Bau ist leider nur auf Rost gegründet; sein Flötz gleicht heute einem wogenden Meere, und natürlich haben sich die Gewölbe erst recht gesenkt, wodurch Theile der Mosaiken ausgebröckelt sind. Schon unter den Oesterreichern war die Reparatur angeregt worden, es hatte sich aber keine Hand gefunden, die das Wagniß unternommen.

Um 1859, als Salviati den erwähnten Sand’schen Roman gelesen, erhoben sich die Klagen über den Verfall auf’s Neue, und in der Ueberzeugung, daß auch die Kunstfertigkeit erblich sei, durchblätterte er die goldenen Bücher der alten Republik, in welche man einst, die besten Meister eingetragen. Er hielt Umfrage in Venedig und auf Murano und hatte die Freude, Nachkommen von zwei berühmten Familien, Namens Radi und Bonviero, aufzufinden, die noch immer der Glasbranche angehörten. Salviati schloß sich mit ihnen in die „schwarze Küche“ ein, und das Experimentiren begann. Es galt zunächst die Mischungen, die Farbengeheimnisse der Glaspasten wieder zu entschleiern.

Der Grundstoff dieser Pasten, aus denen die Würfel der Mosaikbilder geschnitten sind, ist stets das Glas, die Farbengebung aber erschöpft so ziemlich die ganze Hexenküche der Chemie, und vor der fabelhaften Menge der jetzt erfundenen Tönungen möchte Einem der Verstand still stehn. Man sieht in den Salviati’schen Niederlagen die sieben Regenbogenfarben in 22,000 Nüancen zerlegt, und die Fleischfarben, die vom Leichengrau bis zur Wangenblüthe einer spanischen Madonna hinüberspielen, beanspruchen allein 200 Fächer.

Schwere Irrwege sind dem chemisch experimentirenden Juristen selbstredend nicht erspart geblieben, aber der Laie hat wieder den Vortheil, daß er im Hergebrachten nicht befangen ist, er stößt leichter auf Neues und Originelles, wie es ja im Allgemeinen die Geschichte der Erfindungen bestätigt. Die Goldpaste, die fast immer den schimmernden Hintergrund darstellt, sollte nach dem Urtheil der Fachleute besonders schwer nachzubilden sein. Salviati löste das Räthsel auf die einfachste Weise. Er legte Goldplättchen auf eine Glasplatte, deckte diese mit einem sehr dünnen Glasplättchen zu und verschmolz die drei Körper zu einem, aber mit dem Silber hat dieses Experiment nicht gelingen wollen, und die Silberpaste ist noch nicht erfunden.

Wenige Jahre nach Beginn der Arbeit konnte die Akademie der schönen Künste in Venedig in einem Erlaß an Salviati erklären, daß er die Alten in Farbenschmelz, Leben und Wärme erreicht, ja zum Theil übertroffen, und daß er die Nüancen um mehr als das Doppelte bereichert habe.

So war das rohe Material geschaffen, aus welchem nun die schimmernden Kunstwerke hergestellt werden konnten. Aber das Zusammensetzen der Bilder bot ungeahnte Schwierigkeiten. Die alten Meister hatten die nachzubildenden Cartons neben sich und setzten Würfel um Würfel direct in die Wand ein, die das Bildwerk schmücken sollte; es war das eine Art Handzeichnen nach Vorlagen, ein freies Copiren mit farbigen Steinen statt mit dem Pinsel. Dieses Verfahren beanspruchte wirkliche Künstler mit eminenter Uebung, und diese lassen sich nicht aus der Erde stampfen, auch in Italien nicht, wo die Kunst im Blute liegen soll.

In seiner Noth erfand Salviati eine Methode, die unendliche Vorzüge vor der alten hat; sie garantirt die genaueste Nachbildung des Originals, da die Arbeit nicht an Ort und Stelle auf schwankendem Gerüste zu geschehen braucht, erfordert nur technische Fertigkeit, ist viel billiger und ermöglicht dadurch dem schönen Kunstgewerbe eine größere Popularität; auch der unnatürliche Umstand ist gefallen, daß der Reproducent fast ein größerer Künstler, sein mußte, als der Maler, der die Vorlage geschaffen.

Der moderne Mosaikarbeiter legt den Carton flach auf eine Tafel mit dem Bilde nach oben. Mit scharfem Hammer auf scharfkantigem Ambos zerschneidet er nun die eierkuchenförmigen Glaspasten in kleine Würfel von der Größe eines Cubikcentimeters und umgiebt sich mit den Tausenden von Nüancen, die auf dem Carton vorkommen. Jetzt reiht er Würfel an Würfel und deckt jede Stelle des Bildes genau mit der betreffenden Farbe; ist es völlig mit Würfeln überdeckt, dann gießt er eine feine Cementmasse von großer Bindekraft darüber aus, welche in die engen Zwischenräume eindringt und das Mosaikgefüge zu einem Körper zusammenkittet.

Ein flacher Zinkkasten nimmt das Bildwerk auf; man wäscht den Carton herunter und das Bild selber tritt, festgehalten in einem unvergänglichen Stoff, mit größerer Wärme als das Original dem Beschauer entgegen.

Der lebendige, echt künstlerische Effect dieser Mosaiken und ihre Dauer und Unverwüstlichkeit haben ihnen schnell die Anerkennung der Welt verschafft. Noch hat dieses Kunstgewerbe kaum seine zwanzigjährige Auferstehungsfeier hinter sich und schon prangen Werke davon an vielen der größten öffentlichen Gebäude der civilisirten Welt. Genannt seien hier die neue Oper zu Paris, das Parlamentsgebäude zu Washington, das Kensington-Museum, die Windsorcapelle, die Kathedralen zu Aachen und Torcello, die Berliner Siegessäule, die Rotunde der Wiener Weltausstellung. Privatpaläste mit neuvenetianischen Mosaiken sind zu finden in Paris, London, Berlin, Wien, Petersburg, Rom, Alexandrien, Cairo und in den Riesenstädten der neuen Welt.

Der überraschende Erfolg brachte Salviati 1862 auf den glücklichen Gedanken, auch die Glasbläsereien auf Murano in ihrer künstlerischen Hoheit wieder von den Todten auferstehen zu lassen, und so fahndete er vor Allem in Schlössern, Kirchen, Museen, Trödelbuden etc. auf classische und altvenetianische Muster. Die erste Bedingung war, die Augen der Glasbläser wieder an schöne Formen zu gewöhnen; die Kunstfertigkeit mußte sich dann von selbst wiederfinden – so rechnete Salviati. Die Glasmasse selber hatte sich in den Jahrhunderten nicht geändert; sie war noch immer so zähflüssig, harzartig und äußerst bildsam in glühendem Zustande, wie sie es zur Zeit des Dogen Dandolo gewesen.

Es ist hier zu bemerken, daß die venetianische Glasindustrie völlig anders geartet ist, als die böhmische und englische; das Glasschleifen, mit welchem in Böhmen und England die Hauptdecoration der Glaswaaren hergestellt wird, ist auf Murano unbekannt, auch das Glasmalen und Vergolden kennt man dort nicht. Der venetianische Glasbläser modellirt sein Stück in feuerflüssigem Zustande völlig aus, und nach dem Erkalten hat er nichts mehr damit zu schaffen. Die Farben trägt er niemals auf; er verschmilzt sie stets mit der Glasmasse und muß die schwierigsten Stücke in wenigen Minuten gebildet haben; jede Secunde ist kostbar; die Glasmasse würde sonst spröde werden, wenn man sie zu lange dem Kühlofen vorenthält. Ferner muß er sein Augenmaß und seine Hand zu einer maschinellen Präcision heranbilden. Es ist nicht sonderlich schwer, ein Dutzend Kelche von gleicher Höhe und gleichem Durchmesser nach dem Augenmaß herzustellen, aber die zarten geschwungenen Linien gleichmäßig und schnell hervorzubringen, dazu bedarf es neben dem Kunstinstinct einer außerordentlichen Fertigkeit.

Böhmen und England wählen für ihr Krystallglas entschiedene Färbungen. Diese verträgt das venetianische Glas gar nicht; denn seine papierene Leichtigkeit, seine Zartheit und Eleganz erfordert auch größeren Duft in den Farbentönen; Form und Farbe wollen vermählt sein, wie Form und Seele in der Dichtkunst. Jeder Glasofen auf Murano steht inmitten eines förmlichen Laboratoriums. Die Farbenästhetik ist hier eine tadellose, und man ist betroffen über diese unerschöpfliche gläserne Blüthenpracht, wenn man die Salviati’schen Lager im Palazzo Swift durchschreitet. Unendlicher Prunk und doch so wohlthuend! Ueberall leuchtet es, aber nirgends schreit es, und selbst das Rubinglas, das dem Goldzusatze eine seltene Brillanz verdankt, schimmert in abgemilderter Gluth. Einzelne Nüancen haben freilich unendliche Experimente veranlaßt, so das Opalglas der alten Venetianer, das nur dann geschätzt wird, wenn es mit einem Schein – nein, das ist zu viel gesagt – mit einer Ahnung in’s Roth hinüberspielt. Natürlich muß auch die Stärke des Glases genau abgemessen sein, denn sie regulirt die Lichtwirkung, die Seele der Farbe, die uns oft mit völlig fremden selbst der Blume nicht eigenen Zaubern überrascht.

In der Formengebung schießt Salviati dann und wann noch über das Ziel hinaus. Besonders macht sich in einigen Trinkglasformen unseres Meisters eine gewisse Hyperdelicatesse bemerkbar –

die Zerbrechlichkeit wird zum Gebrechen; man fühlt sich beunruhigt in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_086.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)