Seite:Die Gartenlaube (1881) 089.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 6.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Herr Markus trat wieder in die Hausflur, auf den knirschenden weißen Sand, der feingesiebt den Estrichboden bestäubte. Die Thür der Küche stand offen; man konnte den backsteingepflasterten Raum übersehen, dessen Fenster nach dem Fichtengehölz hinausgingen. Frau Griebel’s blitzblanke Küche konnte sich kaum mit dieser messen, in welcher die letzten aus der großen Gelsunger Kücheneinrichtung herübergeretteten Reste von Zinn- und Kupfergeschirr tadellos funkelten und alles Holzgeräth schneeweiß an den Wänden stand. Die Frau Amtmann mochte wohl Recht gehabt haben von wegen des unzulänglichen Mittagsessens; ein homöopathisch kleiner Suppentopf dampfte auf dem Herde, und zwei hergerichtete schmächtige Tauben warteten auf den Moment, wo sie eine Hand in die Pfanne legen sollte, aber diese Hand war nicht da – es war so still in der Küche, daß man das Summen einer versprengten Hummel, ihre schwachen Stöße gegen die Fensterscheiben hören konnte. Nun ja, es war selbstverständlich, daß die vielgetreue Zofe, die ja „ein Herz und eine Seele“ mit ihrer Dame war, dem mißliebigen Besuch ebenso aus dem Wege ging, wie die gereizte Bewohnerin der Mansarde. – –

Als er in die Wohnstube zurückkehrte, bemerkte er Thränenspuren auf dem sanften Frauengesicht hinter den Bettvorhängen, der Amtmann aber war bemüht, drei bis vier Stück Havanas – jedenfalls der Rest der Cigarren, um deren willen der Forstwärter heute mit den Spitzen in der Tasche zum Juden wandern mußte – auf einem Cigarrenständer zu ordnen.

„Nun, wo steckt denn der Mosje Langbart?“ rief er Herrn Markus entgegen.

Der Eingetretene berichtete, daß der junge Mann seinen Weg fortgesetzt haben müsse, und nahm seinen Sitz am Bett der Kranken wieder ein.

„Wußte sie denn nicht zu sagen, wohin er gegangen sei?“ fragte der Amtmann, ganz hingenommen von seiner Beschäftigung, die Cigarren zu placiren; denn er sah nicht auf.

„Ach, Sie meinen die Magd? Ich sah sie nicht.“

„So, so – wird mit dem Mittagessen zu thun haben.“ – Er bot dem Gutsherrn die Cigarren hin, die jedoch dankend abgelehnt wurden.

Herr Markus sah, wie die alte Dame sich verstohlen abermals eine Thräne von den Wimpern wischte. Vielleicht wußte sie um den Spitzenhandel. Die Kante war möglicher Weise das letzte Familien-Erbstück, dessen Ertrag der lüsterne Herr Ehegemahl im vorhinein in die Luft verpafft hatte – ein Zorngefühl gegen den unverbesserlichen alten Mann stieg in ihm auf; er hätte um keinen Preis eine der Cigarren angerührt.

„Ein malerischer Waldblumenstrauß!“ bemerkte er, mitleidig die Gedanken der Kranken von dem unerquicklichen Thema ablenkend, indem er auf das Bouquet im Krystallkelch zeigte.

„Das will ich meinen,“ sagte der Amtmann. „Es sind aber auch Künstlerhände gewesen, die den Strauß gebunden haben. Meine Nichte, die gegenwärtig bei mir lebt, ist eine Blumenmalerin, die ihres Gleichen sucht. Wir erleben viel Freude an ihr, und das Capital, das ich an ihre Ausbildung gewandt habe, ist kein verlorenes, wie so mancher schöne Thaler Geld, den ich für vermeintliche Talente zum Fenster hinausgeworfen habe –“

„Ach ja – mein guter Mann hat immer geglaubt, er müsse Jedem forthelfen, der von der Kunst sein Heil erwartete, und diese Großmuth ist allzu sehr ausgebeutet worden,“ warf die Kranke mit einem schwachen Lächeln ein, und ein Blick voll unvergänglicher Liebe streifte den alten Herrn.

„Jugendeseleien sind’s gewesen, Sannchen, dumme Streiche, die ich aber, weiß Gott, heute noch gerade so machen würde, wenn ich – na, wenn ich noch mitten im Welttreiben draußen mitschwämme. Der Tausend ja, schön wär’s, das Mitschwimmen – schön, trotz der steifen Beine, die mir das infame Zugloch, der Hirschwinkel, angeblasen hat. Na, ’s ist noch nicht aller Tage Abend, und wenn erst mein californischer Goldjunge wiederkömmt –“

Er unterbrach sich bei der hastigen Bewegung, mit welcher die alte Frau ihr weggewendetes Gesicht tief in die Kissen drückte. „Aber was ich vorhin sagen wollte“ – hob er, das Kinn verlegen reibend, rasch wieder an – „I nun ja, da starb eines Tages mein guter Bruder; er war schon mit dreißig Jahren Wittwer geworden und hinterließ mir das arme kleine Ding, die Agnes. Ein Glückspilz war er nie gewesen, und als Vormund seiner kleinen Waise brauchte ich der Hinterlassenschaft wegen keinen Finger zu rühren – es blieb nichts übrig. Da haben wir das herzige Mädel an unser Herz genommen, mein Sannchen und ich, wie wenn’s uns der Storch eben frisch aus dem Teich gebracht hätte – und nicht zu unserem Schaden. In dem verhängnißvollen Moment, wo mein armes Frauchen unter ihrem bösen Nervenleiden buchstäblich zusammenbrach, da zeigte es sich, was wir an unserer Agnes hatten: sie ließ ihre prächtige Stellung in Frankfurt im Stich und kam hierher in die Einsamkeit, um die kranke Tante zu pflegen.“

„Agnes ist ein Engel – sie opfert sich für uns auf,“ sagte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_089.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)