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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Einnahmeregister des verarmten Onkels ohne Zaudern vertauscht. – Wie aber reimte sich diese resolute Handlungsweise mit dem Gebühren der jungen Dame zusammen, die sich nach wie vor von der Kammerjungfer wie eine Prinzessin bedienen ließ? –

Er zerknitterte im Unwillen das unschuldige Schreibeheft in seiner Hand, aber er hatte auch alle Ursache, erregt zu sein. In welches Dilemma war sein so ruhiger Kopf gerathen! Er, dem sonst der heitere Lebensgenuß das Dasein ausfüllte, der daheim pünktlich und voll frischen Eifers seinen Obliegenheiten am Comptoirschreibtisch nachkam, um sich dann in den Erholungsstunden voll Lust in den Strom schöner Seelengenüsse zu werfen, dem bis dahin nichts die Wohlthat des süßen Schlafes, den Vorzug eines gesunden Appetites zu rauben vermocht hatte, ihm war jetzt der ursprünglich so anziehende Landaufenthalt verdorben worden durch aufdringliche Grübeleien, die sich absolut nicht abweisen ließen; er schob Frau Griebel’s Delikatessen widerwillig bei Seite und hatte heute Morgen schon schlaflos den Kopf in den heißen Kissen hin- und hergeworfen, noch bevor die Haushähne auf dem Hinterhofe ihre grellen Morgenfanfaren in das dunkelverhangene Schlafzimmer geschickt hatten.

Dieses Vorwerk, dieses alte Wrack mit der mystischen Dame Gouvernante und dem halbtollen Aufschneider, dem Amtmann, das Mädchen mit dem Sphinxgesicht und der edelschönen Gestalt im armseligen Arbeitskittel, das ihn reizte und ärgerte, wie es noch Niemand vermocht, und den „humanen, wißbegierigen“ Forstwärter, den unausstehlichen Menschen, der seine Fangarme begehrlich nach ihr ausstreckte – er wünschte sie sammt und sonders in das Mohrenland, um der Unruhe willen, die ihn peinigte und welche er doch mit aller Zorngewalt nicht abzuschütteln vermochte.

Heute wollte er in die Stadt fahren und mit dem Baumeister, der auch den Neubau der Schneidemühle übernehmen sollte, eingehend berathen. Der Riß des neuen Vorwerkshauses konnte schon in den nächsten Tagen in seinen Händen sein; ebenso der Baucontract, behufs der Abschließung. Alles Andere durfte er getrost in Pachter Griebel’s Hände und die der wackeren Frau Pachter legen – das Engagement des neuen Gesindes, die einstweilige Uebersiedelung der Amtmannsfamilie in das Gutshaus, den späteren Ankauf des Viehstandes. – Zu diesen Anordnungen bedurfte es nur weniger Tage; dann wollte er den Staub von den Füßen schütteln und in Jahr und Tag den Hirschwinkel nicht wiedersehen. … Einstweilen blieb die letztwillige Verfügung im Notizbuche der seligen Frau Oberforstmeisterin sein Geheimniß, bis er wieder ruhig geworden war und es sich im Laufe der Zeit herausgestellt hatte, wessen Obhut die sorgenfreie Existenz der kranken Frau auf dem Vorwerke anvertraut werden durfte. –

Er warf das Schreibeheft auf den Steintisch und verließ den Garten, dessen altes, ausgedientes Gitterthürchen mit schwachem Geseufze hinter ihm zufiel. Mit diesem leisen, lebensmüden Geräusch wähnte er die directe Beziehung zu den Menschen, die er da zurückließ, nunmehr abgeschlossen. Er war weit entfernt davon, sich einzugestehen, daß er sich ja selbst kopfüber in die fremden Verhältnisse gestürzt habe und allein schuld sei, wenn die Webefäden fremden Geschickes sich an ihm festklammerten, wie in diesem Augenblicke die zähen, kriechenden Queckenranken, die ihn auf dem wenig beschrittenen, grasigen Wege als lebendige .Fußangeln umstrickten, und deren er sich nur erwehren konnte, indem er sie zertrat. …


9.

Zwei Tage waren seitdem verstrichen. Gestern war der Baumeister im Hirschwinkel gewesen; er hatte sich mit den Intentionen des Gutsherrn vollkommen einverstanden erklärt und ein möglichst rasches Vorgehen in Aussicht gestellt. Herr Markus hatte ihn bei Besichtigung der Vorwerksgebäude begleitet – selbstverständlich hatte er die Schwelle der Hausthür nicht überschritten, dazu war er ja viel zu standhaft in seinen Beschlüssen, aber er konnte es doch nicht hindern, daß der Amtmann an das Fenster kam, um ihm für den Korb feinen Weines, den er sofort nach seiner Heimkehr auf das Vorwerk geschickt, in feuriger Lobpreisung der edlen Gabe zu danken. Er hatte es auch dankend acceptiren müssen, daß ihm ein Gegenbesuch in Aussicht gestellt wurde – und er war auch gekommen, der alte Herr, einige Stunden darauf, so zwischen „Hell und Dunkel“.

Herr Markus hatte in dem Pavillon auf der Mauer gesessen, und da waren zwei Gestalten am Rande des Gehölzes erschienen – eine männliche, die, den Gehstock schwerfällig aufstapfend, mühselig daher gehumpelt war, und ein weibliches Wesen, auf dessen Arm sich der alte Mann gestützt hatte. … Hatte Frau Griebel nicht gesagt, daß das Fräulein Gouvernante genau eine solche Hopfenstange sei, wie die fremde Magd? – Nun ja, das war sie gewesen, eine große, schlanke Dame in elegant sitzender, weichfallender, dunkler Robe – ein grauer Schleier hatte vom kleinen, weißen Strohhut geweht und auch wie ein grauverstaubtes Spinnengewebe über dem Gesichte gelegen.

Geradezu lächerlich aber war es gewesen, zu sehen, wie die erbitterte schöne Dame bei Herrn Markus’ Heraustreten auf das Freitreppchen dem Onkel eilig etwas zugeflüstert hatte, um gleich darauf mit wenigen Schritten in das Gehölz zu fliehen und spurlos zu verschwinden. … Und der alte Herr hatte seinen Stock mitten auf den Weg gestemmt, hatte mit steifgewendetem Nacken der Entflohenen verblüfft nachgestarrt und ein heiliges Donnerwetter hinterdrein geschickt, bis ihm die Erleichterung geworden war, sich auf den Arm des herbeigeeilten Gutsherrn stützen und über die alberne Prüderie der jetzigen jungen Frauenzimmer erbost schimpfen zu können.

Es war ein schweres Stück Arbeit gewesen, ihn das Freitreppchen hinauf zu bringen, droben aber hatte er sich behaglich in den weichen Eckdivan gedrückt und vergnüglich das „allerliebste Junggesellennestchen“ auf der Mauer gemustert. Gleich darauf hatten Cigarren und zwei grünfunkelnde Römer auf dem Tische gestanden, und der köstliche Duft des edlen Rheinweines war der langhalsigen Flasche entquollen. Herr Markus hatte die neue Hängelampe des Pavillonstübchens angezündet, und mit dem Aufflammen des weißen Lichtes war auch die zwischen „Hell und Dunkel“ verlegte Besuchsstunde motivirt worden – es war ein gar zu fadenscheiniger, sorgsam geflickter Rock gewesen, der über den hageren Schultern des alten Herrn wie über einem Kleiderstock gehangen hatte. Aber die Wäsche war bezüglich der Weiße und Sauberkeit tadellos gewesen, und auf dem Oberhemd hatte ein imitirter Stein in altmodischer Fassung als Busennadel geglänzt.

Und das konnte sich Herr Markus nicht verhehlen – es war eine sehr angenehme Stunde gewesen, die er da verlebt. Der alte Mann hatte höchst interessant über Welt und Leben gesprochen und sich als wissenschaftlich gebildet entpuppt, und der seltsame Zug in der Natur dieses leichtlebigen Verschwenders, nach welchem er allezeit und in allen Dingen den besten und wohlbegründetsten Rath für Andere, nie aber für sich selber gehabt haben sollte, war dadurch als vollkommen bewahrheitet hervorgetreten.

Später hatte der Gutsherr seinen Besuch selbst nach Hause geführt – das war nun wieder nicht zu vermeiden gewesen; denn allein konnte der Halbgelähmte nicht so weit gehen, und es war Niemand gekommen, ihn abzuholen. Zwar hatte Herrn Markus’ scharfes Ohr ein verdächtiges Schlüpfen durch die Stämme an der Wegseite hin aufgefangen, aber diejenige, die es so verletzend vermieden, mit ihm in Berührung zu kommen – mochte es nun Fräulein Gouvernante oder die verhaßte Prüde sein – die ignorirte er auch, und so hatte er im Weiterschreiten laut zu dem etwas schwerhörigen Amtmann gesagt, es müsse sich Wild in das kleine Gehölz verirrt haben, er höre es vorbeischlüpfen, und mit einem leisen spöttischen Auflachen war er weiter gegangen, auf dem rechten Arm die ganze Last des weinseligen alten Herrn und im linken ein Paket Bücher, welche sich der Amtmann vom Eckbrett herabgeholt mit dem Bemerken, daß er nach guter Lectüre förmlich lechze; er habe ja aus Mangel an Raum seine ganze kostbare Bibliothek, in die er Tausende gesteckt, verkaufen, respective zu Schandpreisen verschleudern müssen. …

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_092.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)