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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

schwerbedrängtes Leben. Allein schon zu jener Zeit mochte wohl, wie einer seiner Biographen meint, Mancher, der den strebsamen, mit unerschütterlicher Ausdauer und Willenskraft sich emporringenden Jüngling näher kannte, zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß in dem eigenthümlich gearteten, pflichttreuen jungen Manne Kräfte schlummerten, die ihn dereinst einem höhern, von dem gewöhnlichen Lebensweg weit abliegenden Ziele entgegenzuführen im Stande wären.

Die äussere Erscheinung, namentlich die Gesichtsbildung, Garfield’s ließ vielleicht ein deutsch-amerikanisches Blatt, das in St. Louis im Staate Missouri erscheint, zu der Annahme gelangen, daß er deutscher Abkunft sei und sein Name ursprünglich Garfelder oder Gerbefelder lautete. Allein dem ist nicht so; Garfield’s Familie stammt aus Neu-England. Der erste seiner Vorfahren in Amerika, welcher Edward hieß, kam um’s Jahr 1630 aus Chester in England nach Massachusetts und ließ sich dort in dem Städtchen Watertown nieder.

Die eigentliche Familiengeschichte unseres Garfield beginnt indessen erst mit dessen Urgroßvater, Solomon Garfield, der im Jahre 1766 die Wittwe Sarah Stimpson heirathete und nach der Stadt Weston in Massachusetts zog. Abraham Garfield, ein Bruder Solomon’s, kämpfte beim Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges in dem ruhmreichen Gefechte bei Concord. Als nach dem Revolutionskriege eine starke Auswanderung aus Massachusetts nach den wilden, noch wenig bewohnten Gegenden der mittleren Theile des Staates New-York stattfand, wanderte auch Solomon Garfield dorthin und kaufte bei Worcester in Otsego County ein Stück Land, auf welchem er mit seiner Frau und fünf Kindern, Thomas, Solomon, Hannah, Rebecca und Lucy, die Farmerei betrieb. Der älteste Sohn Thomas, der Großvater des Generals Garfield, wuchs in Worcester auf, führte ein achtbares Mädchen, Asenath Hill, als Gattin heim und ernährte sich und die Seinigen ebenfalls als Farmer. Sein ältester Sohn Abraham, geboren 1799, war ein hochgewachsener, kräftiger, auch höheren Bestrebungen nicht abgeneigter Mann, der, etwas unruhiger Natur, längere Zeit eine Art Wanderleben in den noch wenig bebauten Gegenden seiner Heimath führte, schließlich aber doch die ebenso liebenswürdige, wie fleißige, einer Hugenottenfamilie entsprossene Eliza Ballon heirathete und in Cuyahoga County, im Staate Ohio, wo die ihm verwandte Familie der Boyntons wohnte, in der Nähe von Orange eine Farm erwarb. Hier nun wurde James A. Garfield am 19. November 1831 als das jüngste von vier Kindern geboren. Sein Vater, der sich bei einer Feuersbrunst zu sehr angestrengt hatte und in Folge dessen schwer krank geworden war, starb leider schon im Mai 1833 und ließ seine Familie in sehr bedrängten Verhältnissen zurück. Kurz vor seinem Tode sprach er, auf seine Kinder zeigend, zu seiner Frau:

„Eliza, ich habe vier Schößlinge in diese Wälder gepflanzt; ich muß sie vor der Zeit Deiner Sorge überlassen.“

Und die Wittwe, obschon tief niedergebeugt durch den allzu frühen Verlust ihres Gatten, verlor den Muth nicht; sie arbeitete fleißig im Hause und auf dem Felde, spann Garn und Wolle und wob selbst die Kleider für sich und ihre vier Kinder. Ihr ältester Sohn Thomas, der jetzt in Michigan lebt, stand ihr lange Zeit treu zur Seite, ebenso ihre beiden Töchter, Mehetabel und Mary, die gegenwärtig verheirathet sind und zu Salem in Ohio wohnen. Auch der kleine James mußte, sobald es seine Kräfte erlaubten, die Hände mit anlegen und bei der Bebauung der kleinen Farm helfen; er lernte schon früh den Acker’ pflügen und besäen, das Getreide und das Gras mähen, den Hammer und das Beil schwingen und die Säge führen.

Die Farm der Garfield’s lag sehr einsam; Besuch kam selten, nur die Boynton’s ließen sich öfters sehen und halfen der Wittwe mit ihren Kindern durch Rath und That. Garfield’s Mutter war, ohne einer orthodoxen Richtung anzugehören, eine wahrhaft religiöse Frau; es verging kein Tag, wo sie nicht ihren Kindern passende Stellen aus der Bibel vorlas. Auch der Oheim Boynton, der seine Unterhaltung gern mit Bibelsprüchen schmückte, war ein starker Bibelheld; er trug dieses Buch überall mit sich, auch bei der Arbeit auf dem Felde, und wenn er ermüdet auf der Pflugschar ausruhte, so las er nicht selten zur Stärkung ein Capitel aus der Bibel. Im Norden von Ohio herrschte überhaupt nur diese Zeit ein sehr religiöser Sinn; es gab dort die verschiedensten Secten, worunter die Campbelliten, Anhänger des Schotten Campbell, zahlreich vertreten waren. Diese Seele, der sich auch die Garfield’s anschlossen, verwarf alle Dogmen und Glaubensbekenntnisse; die Bibel war ihre einzige Richtschnur; Gastfreundschaft, Bruderliebe und Wohlwollen gegen Alle, ohne Unterschied des Standes und der Abstammung, erkannten die Campbelliten als ihre leitenden Grundsätze an. Wenn Fremde auf der Garfield’schen Farm vorsprachen, waren es meistens Reiseprediger.

Die Unterhaltung mit den Nachbarn drehte sich in der Regel um Farmarbeiten und religiöse Dinge, während, politische Fragen in zweiter Reihe standen. Der Sinn des jungen James wurde auf diese Weise schon früh auf die Lehren Campbell’s hingelenkt, obschon er der Politik seine Aufmerksamkeit nicht ganz versagte. Als er in seinem siebenten oder achten Lebensjahre einmal gefragt wurde, ob er der Partei der Whigs oder derjenigen der Demokraten angehörte, antwortete er nach einigem Zögern:

„Ich bin ein Whig, aber ich bin noch nicht getauft.“ Der Knabe setzte voraus, daß die politischen Parteinamen mit den religiösen Fragen, von denen er so oft sprechen gehört, in Verbindung ständen.

Den ersten Unterricht genoß James A. Garfield in einer Districtschule. Der kleine James war in der Schule sehr unruhig, lernte aber doch das Lesen sehr schnell, sodass er ein Neues Testament als Belohnung für seinen Fleiß erhielt. Es werden verschiedene Geschichten aus der ersten Schulzeit des späteren Generals und Congreßrepräsentanten erzählt; so soll er ohne Veranlassung selten mit seinen Mitschülern in Streit gerathen sein, durch Neckereien und Beleidigungen wurde er aber leicht in hellen Zorn versetzt, und dann kam es zu harten Kämpfen, aus denen James, der für sein Alter ungewöhnliche Kräfte besaß, meistens als Sieger hervorging.

Zeitungen und Tagesblätter gab es in dem Garfield’schen Haushalte lange Zeit nicht; das erste Blatt dieser Art, auf welches, wie der General sich entsinnt, seine Mutter abonnirte, war die religiöse Wochenschrift „Der Protestantische Unionist“, der in Pittsburg erschien. Die wenigen Bücher, welche er zu Hause fand oder von den Nachbarn erhalten konnte, las James mit dem größten Eifer und wußte sie fast auswendig, da er mit einem sehr guten Gedächtniß begabt war. Den kleinen „Robinson Crusoe“ las er so oft, bis das Buch in Stücke zerfiel. Außerdem studirte er, so weit seine Feld- und häuslichen Arbeiten es zuließen, Kirkhain’s Grammatik, die Rechenbücher von Pike und Adam und Woodbridge’s Geographiebuch. Spielsachen und Bilder fand man in der Familie Garfield’s nicht; seine Mutter war zu arm, um solche Dinge zu kaufen. Im Uebrigen würde man mit der Annahme irren, daß die Garfield’s viel ärmer gewesen seien als die meisten ihrer Landsleute. Zu der Zeit, von welcher hier die Rede ist, befanden sich fast alle Farmerfamilien im nördlichen Ohio in mehr oder weniger ärmlichen Verhältnissen; bei den Garfield’s war dies nur in etwas höherem Grade der Fall, weil das Haupt der Familie so frühzeitig gestorben war. Auch besserte sich die Lage der Mutter, als die Söhne erwachsen waren. Im Uebrigen galt Armuth für keine Schande, und der Reichere sah nicht stolz und übermüthig auf den Aermeren herab, wie dies dort vielleicht in der Gegenwart der Fall sein mag. In Garfield’s Jugend entehrten, wie er selbst bestätigt, wohl Faulheit, Unmüßigkeit und unsittlicher Lebenswandel in seiner Heimath den Menschen; jegliche Art von ehrlicher Arbeit stand dagegen in hoher Achtung und fand überall die vollste Anerkennung.

Als Garfield das sechszehnte Lebensjahr erreicht hatte, ging er in benachbarte Landbezirke und verdiente sich durch Farmarbeit und Holzfällen eine runde Summe Geldes, mit der er seine Mutter unterstützte. Der lebhafte Schiffsverkehr auf dem Eriesee weckte in ihm die Lust, Seemann zu werden, und so brach er denn nach Cleveland auf und arbeitete um’s Jahr 1848 als Bootsmann auf einem Canalboote, welches Kohlen und Eisen nach Pittsburg brachte. Allein dieses Leben konnte er trotz seiner kräftigen Körperconstitution nicht recht vertragen; was er im Sommer verdient hatte, ging während des Winters für Medicin und ärztlichen Beistand wieder hin. Seine Mutter, welche niemals seine Neigung zum Schiffs- und Seeleben gebilligt hatte, bekämpfte diese Leidenschaft ihres Sohnes durch eine andere, und zwar durch den Trieb nach Wissen. Hier kam ihr ein ausgezeichneter Districtslehrer, Namens Samuel D. Bates, zu Hülfe. Man stellte dem lernbegierigen Jünglinge vor, wie es viel lohnender sei, durch

wissenschaftliche Kenntnisse zu Ehre und Ansehen zu gelangen, als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_099.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)