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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Liszt-Medaille von H. Wittig.
Auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann



verlas der Richter unter Thränen das Urtheil: O’Connel wurde zu ein Jahr Gefängniß und zweitausend Pfund Sterling Buße verurtheilt und genöthigt, Bürgschaft zu stellen, daß er sieben Jahre Frieden halten wolle. – Wie mit einer souveränen Macht, verhandelte England mit dem einfachen Tribun. Inzwischen wurde in Folge seiner bereits oben erwähnten Einsprache beim Parlamente am 4. September das Urtheil von dem Oberhause aufgehoben, und eine zahllose Menge – man erzählt von einer halben Million – holte O’Connel in einem Triumphwagen von dem Richmond-Gefängnisse ab. Das war ein sonniger Tag in der düsteren Geschichte der Iren, ein glorreicher Tag des moralischen Sieges.

O’Connel starb im Jahre 1847 auf einer Reise nach Italien in dem Bewußtsein, seinen; Volk ein Retter gewesen zu sein; denn er hat für dasselbe nicht allein gewisse Freiheiten errungen, sondern ihm auch den Weg zu religiöser und bürgerlich politischer Gleichberechtigung mit dem englischen Volke gezeigt. Wohl durfte er von sich sagen: „Wir waren die Ersten in der Schule der modernen Politik, welche lehrten, daß die höchsten politischen Vortheile nur durch moralische Mittel, durch friedlichen, aber unablässigen Widerstand gegen Unterdrückung erreicht werden müssen und daß ein einziger Tropfen Menschenbluts die edelste Sache entehre und verderbe; das Blut ist nicht, wie man gesagt, der Kitt für den Altar der Freiheit, es ist nur das zerstörende und auflösende Element in dem dem freien Geiste errichteten Tempel; denn dieser kann nicht lange aufrecht stehen, wenn Blut zu seinem Aufbau nothwendig war.“

Konnten wir im Vorstehenden den Mitteln, welche O’Connel sich zur Realisierung seiner Idee bediente, nur zustimmen und die Klugheit bewundern, welche sie ihm dictirte, so müssen wir doch auch seinen Gegnern, der damaligen englischen Regierung, die vollste Anerkennung zollen. Auch sie hielt sich streng an die verfassungsmäßige Grenze ihrer Gewalten, und wahrlich durch ihre echt liberale Haltung hat sie ungemein viel zur friedlichen Lösung der Frage beigetragen. Denken wir uns diesen Mann mit seinen immer neu gestifteten Vereinen, denken wir uns diese Monstremeetings auf dem alten Continent Europas! Aus einander jagen würde man diese Volkshaufen, und so ein Volkstribun, wäre er nicht in einem Burgverließe vermodert? Darum liegt für uns eine tiefe Lehre in der ersten Entwickelungsphase der irischen Frage. Die freiheitliche Verfassung ist das theuerste Gut der Völker; denn sie schützt nicht allein vor neuem Unrecht, sondern giebt uns auch Mittel an die Hand, das, was unsere Vater verbrochen, auf friedlichem Wege wieder gut zu machen. Nur durch sie ist es möglich geworden, das Unrecht, welches englische Könige und die englische Republik dem irischen Volke zugefügt, auf politischem und religiösem Gebiete durch das englische Parlament zu sühnen.

Wie kommt es aber, daß trotz dieser Reformen heute der Kampf auf’s Neue tobt, daß die Leidenschaften bereits zu verwerflichen Mitteln greifen; und die Nachfolger O’Connel’s mit roher Gewalt England bedrohen? Nun, die irische Frage spielt noch auf einem dritten bisher noch nicht von uns berührten Felde – sie ist noch eine sociale Frage.

O’Connel sollte es noch erleben, daß sich plötzlich die kaum vernarbten Wunden Irlands öffneten und es nun klar zu Tage trat, daß das Uebel viel tiefer liege und zu seiner Aufhebung viel radicalerer Mittel bedürfe. In den Jahren 1846 und 1847 wurde die grüne Insel von einer furchtbaren Hungersnoth heimgesucht, der Tausende von Iren erlagen und während welcher Tausende ihr Vaterland verließen, um in Amerika, England und Frankreich Arbeit und Brod zu finden. Die religiösen und politischen Angelegenheiten traten immer mehr in den Hintergrund, während die sociale Frage die Gemüther zu beschäftigen anfing. In ihrer furchtbaren Noth schrieben die Iren die Schuld alles Unheils den Engländern zu und brachten gegen ihre Herrscher eine lange furchtbare Anklageacte vor.

So lange Irland unter eigenen nationalen Herrschern stand, waren seine Grundbesitzverhältnisse von den englischen verschieden. Das Land war nicht Eigenthum einzelner Personen, sondern Gemeindeland, Eigenthum der Gemeinde, welche es an Einzelne gegen eine Abgabe überließ. Schon der oben erwähnte Heinrich der Zweite nahm nach seinen ersten Erfolgen den Iren große Länderstrecken und verschenkte sie an englische Barone. Hierdurch aber wurden die Rechtsverhältnisse in der Art verändert, daß, während früher die Iren an ihre Häuptlinge einen Tribut entrichteten und dabei auf Grund und Boden Anspruch erheben durften, sie nunmehr nach englischem Rechte von ihren neuen Herren auf dem Grund und Boden nur geduldet wurden und jeden Augenblick von demselben fortgetrieben werden konnten. Diese famosen Confiscationen wurden unter Heinrich denn Achten, Elisabeth, Jacob den Ersten, Cromwell und Anderen wiederholt, und schließlich gehörte alles irische Volk, mochte es früher freies Eigenthum besessen haben oder nicht, zum neuen Lehen. Die englischen Lords, denen das Land geschenkt wurde, blieben größtentheils in London und schickten auf die neuen Besitzungen ihren Agenten, dessen Aufgabe es war, seinem Herrn möglichst viel Geld in die englische Metropole zu senden. Da nun englische Arbeiter in Irland nicht aufzutreiben waren, so sah man sich genöthigt, das Land an die vertriebenen Iren pachtweise abzugeben. Man fand aber auch bald, daß der Ertrag des Gutes desto größer wurde, je mehr Pächter auf demselben saßen, und so wurde Grund und Boden parcellirt und immer zahlreicheren irischen Pächtern zur Bebauung übergeben.

Diese baueten nun auf die von ihnen übernommenen Landstreifen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_113.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)