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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

600 Thaler. Nach Seren. gndst. Rescripto vom 29. Dec, 1780 die wieder Bezahlung gesichert 1/4 Jährig mit 50 Thaler.“ Von diesen vierteljährigen Ratenzahlungen ist aber nur die erste, „den 1. Maji. 1781“ wirklich geleistet worden, als den Erben Lessing’s der Gehaltsbetrag für das sogenannte Gnadenquartal ausgezahlt wurde.

So oft Lessing von Wolfenbüttel nach Braunschweig kam und bei Hofe erschien, wurde er, wie es seiner Stellung zukam, mit Auszeichnung aufgenommen, und alle Mitglieder des herzoglichen Hauses zeigten, daß sie die hohe Bedeutung ihres Gastes zu würdigen wußten; an Einladungen zur Tafel fehlte es niemals, selbst zu der Zeit nicht, wo bereits die Wolfenbüttler Fragmente[1] in den Kreisen des Hofes und der obersten Behörden so viel böses Blut gemacht hatten.

Noch am 12. Februar 1781 speiste Lessing an der Tafel des regierenden Herzogs, und den Abend des 13. Februars brachte er bei der verwittweten Herzogin zu, und schon zwei Tage darauf erlag er hier in Braunschweig einem plötzlichen Anfalle eines Brustleidens, an dem er schon seit einiger Zeit gelitten hatte. In dieser seiner letzten Krankheit waren die Erkundigungen nach seinem Befinden von Seiten des Hofes unablässig, besondere Theilnahme aber zeigte Herzog Ferdinand, der berühmte Feldherr des siebenjährigen Krieges.

In fürstlicher Weise wurde Lessing auch noch im Tode geehrt. Karl Wilhelm Ferdinand gab sofort Befehl, die Hofstaatscasse solle die Kosten der Beerdigung trugen. Diese Kosten aber sind in den Kammerrechnungen mit 154 Thalern 30 Mariengroschen = 466,50 Mark angegeben, eine Summe, die damals ein sogenanntes „Begräbniß erster Classe“ erforderte, wie es ja einem Manne von Lessing’s Bedeutung ohne Zweifel zukam. Der Tag der Bestattung war der 20. Februar. Im Sterbehause wurde der eichene Sarg, von Wachskerzen umgeben, feierlich aufgestellt, und unter dem Geläute sämmtlicher Glocken von St. Magni setzte der Zug sich in Bewegung. Vorauf schritt der Cantor der Magni-Schule mit sämmtlichen Schülern; den Leichenwagen zogen vier Pferde, von vier Dienern geführt, und der Sarg war während der Fahrt mit schwarzem Tuch behangen. Im Trauergefolge befanden sich der Vertreter des Hofes und viele der angesehensten Personen der Stadt. Ein eigenes Grab – wie es sich geziemte – nahm die Leiche auf. Diese ehrenvolle Bestattung Lessing’s fordert in unabweisbarer Gedankenverbindung zu einem Vergleiche mit der unwürdigen Beisetzung Schiller’s auf, den man mit vielen Anderen in eine gemeinsame Todtengruft einsenkte, und zwar ohne Sang und Klang.

Wie ist nun aber die Bedrängniß zu erklären, in welcher Lessing sich nach seinem eigenen Zeugnisse in Wolfenbüttel so oft befand? Sie hatte drei triftige Gründe. Lessing war mit einer – bedeutenden Schuldenlast von Hamburg herübergekommen; er mußte diese von Wolfenbüttel aus tilgen, und er hat sie getilgt. Der zweite Grund war der Umstand, daß er von seiner Familie, besonders von seiner ältesten Schwester, deren Charakter nicht im hellsten Lichte erscheint, stark in Anspruch genommen wurde. Endlich kommt noch hinzu, daß Lessing selber nicht das kleinste wirthschaftliche Talent besaß. Bettlern gab er zuweilen einen Louisd’or, und Fremde, die sein Interesse zu erregen wußten, behielt er monatelang in seinem Hause und versah sie sogar mit Taschengeld; in seinem Nachlasse fanden sich mehr als ein Dutzend vollständige, zum Theil sehr kostbare Anzüge, 41 feine Oberhemden, 69 Paar Strümpfe, darunter 28 Paar seidene, und die übrigen Sachen in gleichem Verhältniß.

Bei diesen wenigen Angaben, denen sich ähnliche leicht hinzufügen ließen, lasse ich es bewenden. Sie ergeben zur Genüge, daß Lessing in Wolfenbüttel nicht hat zu darben brauchen.

Schlimmer aber drückte ihn ein anderes Uebel. Wolfenbüttel war gesellschaftlich ein für Lessing vollkommen todter Ort. Eine verhältnißmäßig große Anzahl von höchst ehrenwerthen Beamten, deren geistiger Horizont von den Anforderungen ihres Berufes eng umschlossen war, konnte einem Lessing nicht den Verkehr bieten, der ihm Zeit seines Lebens unabweisliches Bedürfniß war. Sein fleißiger Nachfolger, Langer, klagt in einem Briefe an Eschenburg: „Schon im zweiten Jahre seines hiesigen Aufenthaltes war der arme Lessing desselben so überdrüssig. Geschah dies am grünen Holz, was soll am dürren werden?“

An einer andern Stelle. „Vielleicht steckt der Knoten darin, daß der ehrliche Mann (Lessing) die Menschen weder zu brauchen, noch zu entbehren verstand. Das Erstere habe ich vierzig Jahre hindurch leider! wohl lernen müssen, und daß das Letztere für mich Nothwendigkeit sein würde, habe ich sogleich bei meinem Eintritt in Wolfenbüttel bis auf’s Mark gefühlt.“

Was Lessing selber von Wolfenbüttel erwartete, das zeigen die Worte, welche er am Tage seiner Einführung (7. Mai 1770) an Ebert in Braunschweig schrieb. „Ich bin Ihnen unter den Händen weggekommen. Aber es verlohnt auch wohl der Mühe, daß man Abschied nimmt, wenn man stirbt – oder von Braunschweig nach Wolfenbüttel reist!“ – Sich selber erschien Lessing in dem öden Städtchen wie ein lebendig Begrabener, und als später der endlose Verdruß hinzukam, den ihm die Herausgabe der Reimarus’schen Fragmente bereitete, als der bittere Schmerz um den Tod seiner so innig geliebten Gattin ihn traf, da erzeugte sich in ihm jener herbe Lebensüberdruß, der ihm in einem Briefe an Elise Reimarus in Hamburg die leidesschweren Worte erpreßte. „Ich bin zu stolz, mich unglücklich zu denken, knirsche eins mit den Zähnen und lasse den Kahn gehen, wie Wind und Wellen wollen. Genug, daß ich ihn nicht selbst umstürzen will!“ –

Lessing war – um ein Wort Gleim’s zu gebrauchen – wie Friedrich der König, ein Einziger. Heute sind die Früchte seines großen Geistes längst Gemeingut der Welt geworden. Könnte er jetzt, nach einem Jahrhundert, die Stätte seines letzten Wirkens wieder sehen, so würde ein anderes Bild sich ihm zeigen, als in jenen dunklen Tagen. Außer dem herrlichen Denkmale von Rietschel’s Meisterhand, das ihm das deutsche Volk auf dem Lessing-Platze errichtete, würde er ein anderes, mit nicht geringerer Liebe und Verehrung gepflegtes Denkmal in den Herzen Derer finden welche heute die Stätte bewohnen, die ihm damals ein Ort der Anfeindung und des Leides wurde.

Ferdinand Sonnenburg.





Zur Entwickelung der Arbeiterversicherung.

Jedem redlichen Menschen wohnt das Bestreben inne, über den Erwerb des täglichen Brodes hinaus sich und den Seinen für den Lebensabend eine gesicherte Zukunft, frei von Sorge und Plage, zu bereiten. Für seine Beamten hat der Staat nach dieser Richtung durch Zusicherung von Ruhegehalten sorgen müssen, schon um tüchtige Kräfte in seinen Dienst zu ziehen, während die Angehörigen anderer Berufsstände, wie der Landwirtschaft, des Handels, der Gewerbe, auf die Früchte ihrer Thätigkeit angewiesen, in der Regel im Stande sind, Ersparnisse zurück zu legen oder Lebens- und Sterbeversicherungen abzuschließen. Dagegen leidet der sogenannte kleine Mann, hauptsächlich der unbemittelte Arbeiter, allenthalben wo die moderne Productionsweise das industrielle Leben beherrscht, unter einer gewissen Unsicherheit des Daseins.

Seine Bedürfnisse sind gegenwärtig auf ein Maß zurückgedrängt, das vielfach schon unter der Grenze des zum nothwendigen Lebensunterhalte Ausreichenden liegt. Kommen hierzu noch Krankheit oder Unglücksfälle in der Familie des Arbeiters, so muß er mit wachsender Angst jedem neuen Monat und Jahr entgegen sehen, weiß er doch nicht, in welche Ecke ihn das Schicksal einst werfen wird. Der gemeinsame Grund der Unzufriedenheit eines großen Theiles des Arbeiterstandes und der

Verbreitung der socialdemokratischen Anschauungen liegt unstreitig

  1. Die Entstehung dieser Fragmente ist bekannt. Die geistvolle Freundin Lessing’s, Elise Reimarus, übergab ihm bei der Abreise von Hamburg nach Wolfenbüttel das Bruchstück eines Werkes, das ihr Vater, der Professor Samuel Reimarus, unter dem Titel „Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ niedergeschrieben hatte. Lessing gab im Jahre 1774 als einen Theil seiner bibliothekarischen Beiträge dieses Manuscript, betitelt. „Von Duldung der Deisten. Fragment eines Ungenannten“, heraus. In diesem Werke wurden freisinnige religiöse Anschauungen verfochten.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_116.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)