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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Arnold Ruge.
Von Wilhelm Goldbaum.

Die Kunde von dem Tode unseres Arnold Ruge ist sicherlich für Viele eine überraschende gewesen; die Wenigsten wußten, daß der wackere achtundsiebenzigjährige Landsmann in der Fremde am Alter kranke. Mir kam sie nicht unerwartet. Zwei Tage, bevor er starb, gelangte ein Brief von ihm in meine Hände, der in gewissem Sinne einem literarischen Vermächtnisse glich. Ruge hatte ihn nicht selbst geschrieben, sondern seiner Tochter Agnes Franziska in die Feder dictirt; von ihm war nur der Namenszug in zitterigen, unbestimmten, verschwommenen Lettern. Und in dem Briefe eröffnete er mir, es gereiche ihm zu großer Freude, daß er in seiner Tochter Agnes Franziska eine vortreffliche literarische Gehülfin gefunden.

Arnold Ruge.
Nach einer Photographie auf Holz von Adolf Neumann

Die Freude währte nicht lange. Nun ist Arnold Ruge todt, in fremder Erde begraben, und er bedarf keiner Gehülfin mehr. Er hat das Sterben rasch besorgt, wie Alles, was er angriff oder zu überwinden hatte. Und wenn volle vier Tage darüber vergehen mußten, bis Deutschland den Tod eines seiner besten Söhne erfuhr, wenn die Kunde nicht gleich einige Stunden nach seinem Tode, am Sylvesterabend, sondern erst am Vorabende des Dreikönigstages vom Crescent Park in Brighton herüberdrang zu den Freunden und Verehrern des braven Mannes diesseits des Canals, so ist zu bedenken, daß Ruge kein Fürst oder Fürstensohn, kein Minister und überhaupt keiner von jenen Würdenträgern war, von denen, wenn sie nur in ein Eisenbahncoupé steigen, der elektrische Draht nicht genug zu erzählen vermag.

Was war denn nun aber Arnold Ruge? Man hieß ihn lange den „Vater der deutschen Demokratie“; er selbst nannte sich im Hinblick auf seine Insulaner-Abkunft bis in sein Greisenalter hinein mit Vorliebe einen „rügenschen Bauernjungen“. In dem Titel, den ihm die Leute gaben, lag die Geschichte seiner Thaten und Leiden; in dem Prädicat, das er sich selbst beilegte, der Hinweis auf die Kraft und Zähigkeit, womit er alle Schickungen und Wendungen, alle Schläge und Enttäuschungen seines vielbewegten Lebens überwand.

Und er hat gestritten und gelitten, gerungen und geduldet, wie Alle, welche unabwendbar großen Idealen nachstreben und der Freiheit ihre Liebe weihen. Sechs Jahre Gefängniß, die er rechtschaffen abbüßte, wurden ihm schon auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_129.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)