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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

weder auf, noch machte sie die geringste Bewegung, die bewiesen hätte, daß sie den Zuruf beachte.

„Bemühen Sie sich nicht, Klein-Luischen!“ sagte der Gutsherr, der auch herausgetreten war, laut und anzüglich, „das macht Ihre kindliche Bitte nicht wieder gut. Der Unschuldige muß mit dem Schuldigen leiden – das ist so Frauenart. Ich bin auch in Acht und Bann gethan, weil ich meinte, jedes vertheidigende Wort sei, solchen Anschuldigungen gegenüber, eigentlich eine Beleidigung.“

„Geh’ herein, Luise, und mache keine dummen Streiche!“ gebot Frau Griebel kurz und trocken vom Tische herüber. „Lasse sie doch laufen, die Aparte! Da soll man wohl auch noch, wie bei Hofe, die Worte auf die Goldwage legen, wo doch ein Blinder sieht, daß die Geschichte mit dem Henkelducaten faul ist. – Herr Markus, das ist eine Magd, wie andere Mägde auch, und weil sie sich so ein Air zu geben weiß, da brauchen Sie nicht gleich zu thun, als wär’ sie womöglich die Amtmannsnichte selbst. Damit verdirbt man nur die Leute, und es ist nachher gar kein Aushalten mehr mit dem Gesinde.“

Mit diesen Worten kam sie auch näher an die Altanthür, wobei sie an dem Trinkglase, welches die Mischung von Himbeer und Selterswasser aufnehmen sollte, wischte und putzte. „Wissen möchte ich eigentlich, wo die Junge auf dem Vorwerke das Mädchen aufgelesen hat. Mir kommt sie immer vor, als müßte sie von einer Zigeunergesellschaft weggelaufen sein. Sie kann so allerhand Künste, wie man an dem Verbande da sieht; sie spricht so fremd und närrisch, und sehen Sie doch hin, wie sie dort am Hölzchen geht! Das Tuch fällt ihr vom Kopfe, und sie merkt es nicht einmal – richtig! dort bleibt’s am Wege liegen. Na ja, da haben wir’s, das richtige leichtsinnige Zigeunerblut! Und hat sie nicht so brandschwarze, dicke Haare, wie die Tatern?[1] Sie funkeln ordentlich in der Sonne. Ja, schlank und blank und geschmeidig wie die Eidechse ist das Taternvolk; die alten Hexen stehlen den Weibern das Portemonnaie aus der Tasche, und die jungen den Männern gar oft das Herz aus dem Leibe. Passen Sie nur auf, Herr Markus: die Geschichte mit dem Henkelducaten ist noch nicht zu Ende – wir werden noch ’was erleben.“

„Warten wir’s ab!“ schnitt er ihr die Rede kurz und barsch ab und griff nach den Büchern auf dem Tische, welche das Mädchen gebracht hatte.

„Na ja – etwas Anderes wird uns auch nicht übrig bleiben aber viel Geduld werden wir nicht brauchen,“ sagte sie trocken und sah ihm kopfschüttelnd nach, wie er mit den Büchern das Gartentreppchen hinab nach dem Gutshause ging und sie mit all ihren herbeigeschleppten Herrlichkeiten allein im Pavillon stehen ließ. Später aber wurde sie ernstlich böse; denn der Gutsherr war direct aus dem oberen Stocke in den Wald hineingegangen, wie die Mägde sagten.

Und Herr Peter Griebel schmunzelte – er setzte sich eben zum Vesperbrod unter den Birnbaum im Hofe nieder – und drehte gemüthlich die Daumen um einander, wie sie vor ihn hintrat und in etwas beschleunigtem Tempo sagte: „Der gute Mann denkt wohl, die Griebel sei expreß für ihn auf die Welt gekommen? Ja, Prosit! Da hab’ ich nun bei der Hitze und Gluth den Kaffee fertig gemacht, bin in den Keller nach Selterswasser gerannt, hab’ ein selbstgesponnenes, noch ganz schönes Betttuch seinetwegen zerschnitten – das wurmt mich am allermeisten! – und in allen Kasten und Schränken nach der Arnika gesucht, und das Alles – für die Katze! Er soll mir nur wiederkommen!“

Eine Zigeunerin sollte sie sein, die Räthselvolle? Im wilden Lagerleben wäre sie erblüht? Mit dieser kühnen Hypothese hatte die gute Griebel gleichsam einen Ball hingeworfen, den der Gutsherr fast wider Willen aufgefangen und seit gestern und heute halb belachte, halb mit stutzigem Auge prüfte. Er lachte, wenn er sich die geistige Grazie, die fest hervortretenden Charakterzüge des Mädchens vergegenwärtigte, welche unleugbar auf Schulbildung und gesitteten Umgang hinwiesen; er lachte, daß die braunen Augen – Frau Griebel hatte sie im Zorn für schwarz erklärt – ihren ernsten Mädchenblick, die weiße Haut den Schmelz bewahrt haben sollte im wüsten Hordenleben von Kindesbeinen an – nein, eine wilde Blume war sie nicht. Und doch drängten sich ihm dunkle Vermuthungen auf: waren die räthselhaften Besucher des Forstwärterhauses vielleicht Elemente eines Lebenskreises, dem sie entflohen? Hatten sie ihr nachgespürt und machten ihr Anrecht geltend, und der Forstwärter, der „goldtreue“ Camerad, beschützte die lichtscheuen Zusammenkünfte des Nomadenvolkes in seinem Hause möglicher Weise nur, um die Stammgenossen allmählich zu beschwichtigen und das Mädchen mit der Zeit loszuketten? Das war abenteuerlich, und wenn er an sie dachte, an ihre Menge Arbeit, an die beispiellose Hingebung und Pflichttreue ihrer Herrschaft gegenüber, so verwarf er jenen Gedanken als absurd, als absolut lächerlich. Aber er hatte sie gestern Abend wieder im Waldhüterhaus gesehen. Nach langem Umherirren im Walde hatte er sich – ganz gegen seinen Willen natürlich – doch auf der alten Fährte wiedergefunden; sie war für ihn der gefeite Ring, den die Seelen verstorbener Bräute, die Willis, nächtlicherweile um ein Opfer ziehen, sie war wie das Wildgatter, an welches der Hirsch vergebens sein Geweih bohrt – über den Bann hinaus, der den Hirschwinkel und das Stückchen Grafenholz mit dem Forstwärterhaus umkreiste, kam auch er nicht mehr.

Nun, er hatte sie belauscht, und zwar in später Abendstunde. Ehe er sich dessen selbst versehen, hatte er auf der Bank unter den zwei mit blauen Rouleaux verhangenen Eckfenstern gestanden, von diesen Fenstern war aber auch ein bläulich blasses Licht ausgegangen, ein magischer Schein, ebenso verlockend und anziehend für ihn, wie für die aus Busch und Sumpf herbeitaumelnden Motten- und Mückenschaaren. Das eine leicht verschobene Rouleau hatte ihm einen schmalen Einblick in die geheimnißvolle Eckstube gewährt, und weil es so still rings im tiefdunkelnden Walde gewesen war, so todtenstill, als sei Leben und Athem unter der lastenden Schwüle erstickt, so hatte er deutlich das Murmeln einer männlichen Stimme hinter den geschlossenen Scheiben hören können. Es hatte eintönig, fast wie die Beichte eines bedrückten Gemüthes geklungen und war öfter durch schweres Athemholen oder einen schmerzlichen Seufzer unterbrochen worden.

Das Lampenlicht hatte die geräumige Stube nicht zu durchdringen vermocht, die größere Hälfte derselben war in düsterem Halbschatten verblieben, und da hatte das Mädchen gesessen, still, den Kopf an die hohe Stuhllehne gedrückt und den linken Arm hingestreckt – es hatte ausgesehen, als halte Jemand ihre Hand in der seinen; manchmal war ein leichtes Schütteln durch den Arm gegangen. Herr Markus hatte sich nach Kräften bemüht, zu erforschen, welcher Mensch da seitwärts in der dunklen Ecke sitze, so ohne Unterbrechung in das Mädchen hineinrede und ihre Hand in der seinen festhalte, als sei sie sein unbestrittenes Eigenthum, aber der unausstehliche Fensterrahmen hatte sich gerade da breit gemacht, und der Unsichtbare war durchaus nicht so gefällig gewesen, sich auch nur ein einziges Mal vorzubiegen.

(Fortsetzung folgt.)
  1. Zigeuner.

Album der Poesien.
Abschied von der Heimath.

Nun ade, du liebes Heimathland!
Es geht jetzt fort zum fremden Strand,
Und so sag’ ich denn mit schwerem Muth,
Wie man wohl sagt, wenn man scheiden thut:
      Lieb Heimathland, ade!

Wie du lachst mit deines Himmels Blau!
Wie du grüßest mich mit Feld und Au!
Gott weiß, zu dir steht treu mein Sinn;
Doch jetzt zur Ferne zieht’s mich hin.
      Lieb Heimathland, ade!

Begleitest mich, du lieber Fluß,
Bist traurig, daß ich wandern muß;
Vom moosigen Stein, über’m waldigen Thal
Laß grüßen dich zum letzten Mal:
      Mein Heimathland, ade!

(Altes Volkslied.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_140.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2016)