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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

groß, wie vollkommen ist nun auch dieses Glück! Das Gefühl desselben kann selbst durch die Schmerzen der Trennung nicht vermindert werden; denn auch in der freudelosen Einsamkeit, in der ich jetzt lebe, bleibt mir ja meine Liebe, die Ueberzeugung der seinigen und der Stolz auf seinen Werth.“

Zu Anfang des Jahres 1813 kam Clausewitz mit dem Wittgenstein’schen Corps nach Königsberg und hatte hervorragenden Antheil bei der Organisation der Landwehr, was um so erklärlicher ist, als er seit Jahren in die Ideen Scharnhorst’s über diesen Punkt eingeweiht war und ganz nach dessen Ansichten verfahren konnte. Daß er Zeuge des großartigen Patriotismus sein durfte, wie er in Königsberg während dieser Zeit sich offenbarte, rechnete Clausewitz stets zu den schönsten Erinnerungen seines Lebens. Im April ging er nach Schlesien und schrieb vorher noch aus Rochlitz an seine Gattin: „Uebrigens bin ich sehr heiter; der Augenblick ist fast idealisch schön; ich bin ganz in den alten Verhältnissen, bei meinem alten General, wieder Chef seiner Bureaux, nur daß die Gegenstände etwas gewechselt und an Wichtigkeit zugenommen haben. Blücher, Scharnhorst und Gneisenau behandeln mich mit ausgezeichneter Güte und Freundschaft; ich kann mir kein schöneres Verhältniß denken.“

In der Schlacht bei Großgörschen, wo er im heißesten Kampfgewühle focht, blieb Clausewitz unverletzt.

„Liebe Marie,“ schreibt er, „ich bin ganz wohl, ob mir gleich ein kleiner Franzose mit dem Bajonette hinter dem rechten Ohre gesessen hat.“

Von Scharnhorst sagt er:

„Er war mehrmals mit gezogenem Säbel an der Spitze von Cavallerie und Infanterie in den Feind eingedrungen; er ancouragirte die Leute und rief: ,Es lebe der König!’ indem er den Säbel schwang. Seine Wunde, die er etwa um sechs Uhr erhielt, ist nicht gefährlich, sodaß er schon jetzt eine Reise nach Wien unternehmen kann.“

Aber auf dieser Reise, welche der ausgezeichnete Mann im Interesse des Vaterlandes unternahm, und bei welcher er – selbstlos, wie wenige Menschen – nicht genug an sich selbst dachte, verschlimmerte sich bekanntlich die Wunde, und am 28. Juni starb Scharnhorst in Prag, von Clausewitz und den übrigen Freunden auf’s Tiefste betrauert.

Die Saat jedoch, welche Scharnhorst gesäet, sollte bald herrliche Früchte tragen; am 26. August gewannen Blücher und Gneisenau die Schlacht an der Katzbach; „entscheidend,“ schreibt Gneisenau an Clausewitz, „wie die Franzosen noch nie eine Schlacht verloren haben.“ Er unterzeichnet: „bleiben Sie gewogen Ihrem überglücklichen Freunde.“

Frau von Clausewitz aber schrieb dem siegreichen Gneisenau: „Es ist der erste entscheidende folgenreiche Sieg auf deutschem Boden. Jahre von Schmach und Leiden sind verwischt, und in neuem Glänze stehen wir da, der großen Vorfahren nicht mehr unwürdig. – - Nur ein wehmüthiges Gefühl trübt diese Freude, es ist die Erinnerung an unsern theuren und unvergeßlichen Freund (Scharnhorst), der dieses Glückes auch so würdig gewesen wäre; doch wenn er aus einer besseren Welt auf uns herabsieht, muß ja auch er sich freuen, daß seine treuesten Freunde der schöne Siegeskranz schmückt, der ihm auf Erden nicht zu Theil werden sollte.“

Clausewitz war leider nicht in der Nähe der Freunde, als der Sieg errungen ward. Vergebens hatte Gneisenau, als er zum Generalstabsschef des Blücher’schen Heeres und zugleich zum Generalgouverneur von Schlesien, Befehlshaber aller Landwehren und Leiter aller Vertheidigungsanstalten der Provinz ernannt wurde, gebeten, ihm Clausewitz als Gehülfen zu geben. Der König konnte es Clausewitz nicht vergessen, daß er den preußischen Dienst verlassen und sich nach Rußland gewendet hatte. So ward er russischerseits als Generalquartiermeister zum Corps Wallmoden commandirt, und seinen Anordnungen ist das glückliche Treffen an der Göhrde zu verdanken. In stetem Briefwechsel mit Gneisenau verfolgte er die Siegeslaufbahn der schlesischen Armee mit unaussprechlicher Freude und Genugthuung. Wie er schon vor Jahren Gneisenau für seinen jetzigen Posten ausersehen, so schreibt er am 14. December 1813 an den Freund: „Ihre Armee kommt mir vor wie die Spitze von Stahl in dem schwerfälligen Keil, womit man den Koloß spaltet.“ Ein treffendes Wort, da der Marschall „Vorwärts“ während des ganzen Krieges muthig und siegreich voranschritt.

Clausewitz wurde endlich als Oberst im Jahre 1814 wiederum preußischer Officier und im April 1815 Chef des Generalstabes bei Thielmann, welcher das dritte Armeecorps commandirte. Während beider Feldzüge stand er in ununterbrochenem Briefwechsel mit seiner Gattin, und wir wollen nur eine Stelle aus einem Briefe vom 3. Juli 1815 mittheilen, um das ideale Verhältniß Beider zu kennzeichnen:

„Lebe wohl, theuerste Freundin meiner Seele! Jetzt sehen wir uns hoffentlich bald wieder. Sobald der Friede abgeschlossen ist, schreibe ich Dir und denke jetzt schon auf die Einrichtung Deiner Reise. Glücklich, unaussprechlich glücklich fühle ich mich, nach einer solchen Epoche noch etwas zu besitzen, was mehr werth ist als aller Triumph, noch einem Augenblicke entgegenzueilen, der alles Andere übertrifft. Ich liebe Dich nie mehr als im höchsten Glücke und im höchsten Unglücke, denn Dein Verdienst steht höher als alle Erscheinungen des ersteren und füllt jede Lücke aus, die das letztere in meinem Schicksale hervorbringen konnte.“

Gneisenau kam nach dem Frieden als commandirender General der Rheinprovinz nach Coblenz, und Clausewitz wurde sein Generalstabschef. In dieser Stellung blieb er drei Jahre, und sie gehörten zu den schönsten und genußreichsten seines Lebens. Ein Kreis ausgezeichneter und liebenswürdiger Männer hatte sich um Gneisenau geschaart. Wir nennen hier nur den Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Jagersleben, den Major Wilhelm von Scharnhorst – Sohn des verstorbenen Generals und mit Gneisenau’s ältester Tochter Agnes vermählt –, Obristlieutenant Graf Karl von der Gröben, Obristlieutenant von Stosch – Vater des jetzigen Ministers –, Major von Hellwig, Max von Schenkendorf, Präsident von Meusebach und Consistorialrath Johannes Schulze, später unter Altenstein Leiter des höheren Unterrichtswesens in Preußen. Auch die Gattinnen der genannten Herren waren hochgebildete Frauen und standen mit Clausewitz und seiner Marie in innigster Verbindung. Und ein Band vereinte Alle: die Freude an der endlich gewonnenen Freiheit des Vaterlandes.

Im Jahre 1818 wurde Clausewitz zum Generalmajor und zugleich zum Director der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin ernannt, aber diese ihm übertragene Wirksamkeit befriedigte ihn in keiner Weise, da die wissenschaftliche Leitung der Anstalt sich in anderen Händen befand und er nur der Vorgesetzte der jungen Officiere in Bezug auf dienstliche und ökonomische Angelegenheiten war. Doch einen Vorzug hatte seine Stellung: sie gewährte ihm die Muße, jene Werke zu verfassen, welche seinen Namen mit unvergänglichem Ruhme zieren sollten. Und diese Werke, die erst nach ihres Verfassers Tode der Öffentlichkeit übergeben wurden, sind geschrieben – in dem Zimmer seiner Frau. War er doch gewöhnt, Alles mit ihr zu besprechen, und gab doch ihre Nähe ihm stets das Gefühl wohlthuendster Befriedigung. Frau von Clausewitz sagt darüber in Bezug auf ihren Gatten:

„So frei er auch von jeder kleinlichen Eitelkeit, von jedem unruhigen egoistischen Ehrgeize war, so fühlte er doch das Bedürfniß, wahrhaft nützlich zu sein und die Fähigkeiten, mit welchen Gott ihn begabt hatte, nicht ungebraucht zu lassen. Im thätigen Leben stand er nicht an einer Stelle, wo dieses Bedürfniß Befriedigung finden konnte, und er machte sich wenig Hoffnung, noch einst zu einer solchen zu gelangen; sein ganzes Streben richtete sich also auf das Reich der Wissenschaft, und der Nutzen, den er einst durch sein Werk zu stiften hoffte, wurde der Zweck seines Lebens. Wenn trotzdem der Entschluß, dieses Werk erst nach seinem Tode erscheinen zu lassen, immer fester in ihm wurde, so ist dies Wohl der beste Beweis, daß kein eitles Verlangen nach Lob und Anerkenntniß, keine Spur irgend einer egoistischen Rücksicht diesem edlen Drange nach einer großen und dauernden Wirksamkeit beigemischt war.“

Daß die Ehe dieser beiden Glücklichen kinderlos blieb, hat Clausewitz vornehmlich um der Gattin willen geschmerzt. Ein vorahnendes Gefühl sagte ihm, daß er früher heimgehen würde als sie. Er sprach dies in einem Gedichte „Zum neuen Jahre“ aus, das in den ersten Jahren ihrer Verbindung geschrieben wurde, und dessen letzte Strophen lauten:

Eins doch möcht’ ich uns erflehen:
Dir ein lieblich Kind zu sehen
Spielend an der Mutter Brust.
Trennt uns dann des Schicksals finst’rer Wille,
Füllet um Dich her des Grabes Stille
Deines Kindes heit’re Jugendlust.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_151.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)