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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

und jetzt sagte es auch Herr Markus, indem er heftig den Kopf schüttelte und mit dem Fuße einen Stein aus dem Wege schlenderte. Dummes Zeug! – Dieses züchtig verhüllte, stolze, tapfere Mädchen, unter der halbnackten Zigeunerjugend, unter wüsten Spitzbuben- und Hexenphysiognomien, durch die Welt ziehend! – Wie war es nur möglich, daß sich diese verrückte Vorstellung immer wieder einschleichen konnte in einen Kopf mit gesundem Menschenverstande!

In verdoppelter Eile schritt er weiter. Im Forstwärterhause mußte ihm Aufklärung werden, und war das Mädchen fort, nun – so schüttelte er den Staub von den Füßen und ging ihr unverweilt nach, bis er sie fand.…

Das grüne Leuchten der sonnenheißen Buchenwipfel war wie weggelöscht – dunkel und reglos stand der Wald unter dem tiefziehenden Gewitter, als hielte er mit Allem, was in ihm lebte und webte, bang den Athem an. Bis in sein Herz hinein war die sengende Gluth der letzten Tage gekrochen. Der schmale, sonst immer feuchte Weg sah gebleicht aus, dürres, knisterndes Gras stand an seinen Rändern, und die Farrenwedel hingen schlaff und saftlos darüber her. Und das Büchlein, das ihn quer durchschnitt, war nahezu versickert – das lose über das Uferbett gedeckte Bret lag wie zum Hohne da.

Herr Markus schritt darüber hin. Zur Rechten lief das Dickicht schnurgerade auf ebenem Boden weiter, links aber that sich der schmale, an die Berglehne geschmiegte Wiesengrund auf, in welchem das Waldhüterhaus lag. Ziemlich entfernt durchschnitt ihn die Fahrstraße in sanfter Krümmung, und weiterhin kamen die rothen Ziegelwände des einsamen Hauses in Sicht.

Bei diesem Anblicke blieb der Gutsherr überrascht stehen. Dort trat eben der nächtliche Reiter auf die Thürstufen und bestieg sein Pferd, das der Forstwärter hielt. Der stattliche, alte Herr im Sommerpaletot, mit seinem kurzgeschorenen grauen Haar und den Wildledernen über den Händen, würde sich wohl schönstens bedankt haben für die Rolle eines Zigeunerhauptmanns. – In ziemlich scharfem Trabe ritt er vom Hause weg; Mosje Dachs lief voraus, und der Forstwärter marschirte nebenher – nach wenigen Augenblicken waren sie im Walde verschwunden.

Was nun? – Im ersten Momente stürmte Herr Markus vorwärts – der Grünrock war der Einzige, der ihm Auskunft geben konnte, aber allmählich verlangsamte sich sein Eilschritt – er konnte doch unmöglich den Mann, der in sichtlicher Eile das Haus verließ, wie ein Wegelagerer stellen und ihm auf offener Straße eine Erklärung abzwingen. –

In diesem Augenblick sah er, wie eine Katze die Thürstufen herabschlich und quer über den Fahrweg in das Dickicht spazierte – die Thür mußte offen sein, und da waren auch Leute im Hause.…

Er ging unter den Eckfenstern hin; die blauen Rouleaux hingen noch hinter den Scheiben, aber die Thür klaffte in der That, und Herr Markus zögerte nicht, sie geräuschlos weiter zu öffnen und einzutreten.

Die Hausflur hatte keine Fenster, sie war kühl und dunkel, aber da zu seiner Rechten stand die Thür des Eßzimmers – wahrscheinlich der einströmenden Kühle wegen – weit offen, und ein bläuliches Licht floß heraus in den dämmernden Raum.

Nun überschlich ihn doch ein widerwärtiges Gefühl – er stand ja selbst wie ein eingedrungener Dieb in dem beargwohnten Hause; wie sollte er wildfremden Menschen sein Hiersein beim ersten Entgegentreten genügend motiviren? – Nichtsdestoweniger schloß er die Hausthür leise hinter sich und verharrte einen Moment beobachtend auf seinem Platze.

Im ganzen Hause herrschte Todtenstille, und zuerst ließ das ungewisse Licht alle Gegenstände vor dem Auge des Eingetretenen verschwimmen, aber auch nur für einen Augenblick; im nächsten machte er eine überraschende Entdeckung – Fräulein Gouvernante war da, sie war hier im Hause. Da auf einem Tische, nahe der Thür, lagen der graue Schleierhut und die Handschuhe, welche das friedfertige Gemüth der guten Griebel in Wallung gebracht hatten.… Ah, der Vogel war gefangen! Eine Art Triumph, ein rachsüchtiges Gefühl quoll heiß in ihm auf. Jetzt wollte er dem „Bild von Sais“ den Schleier vom Gesichte ziehen. Die grausame Egoistin sollte beichten und büßen; sie selbst sollte und mußte ihm dazu verhelfen, das Mädchen wiederzusehen, das sie in Noth und Entbehrung mit sich geschleppt hatte, um es dann erbarmungslos seinem Schicksal zu überlassen.

(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 49. Mein erster Hirsch.


Ueber ein Menschenalter ist’s her, als ich zum ersten Mal in meinem Leben den Anstand auf Rothwild betrat, und zwar in einem der herrlichsten Hochwaldsreviere am nördlichen Hange des sächsischen Erzgebirges, das selbst heute noch einen recht guten Wildstand aufzuweisen hat. Damals aber, vor nun vierzig Jahren, wurde dieser noch durch das häufige Herübertreten von Wechselwild aus Böhmen erheblich vermehrt. Waren doch in jener Zeit die drüben liegenden, reichbesetzten Wildbahnen noch frei und nicht, wie jetzt, durch Drahtvergatterungen abgeschlossen. Nach jenem Jäger-Eldorado aber hatte mich zunächst die Einladung einer mir befreundeten, in dortiger Gegend ansässigen Familie geführt, deren Haupt ein anerkannt trefflicher Jäger, wenn auch keiner von Fach, war. Doch nicht etwa zur Jagd war ich eingeladen worden – nein, dazu sah der selbstbewußte und als ganz absonderlich jagdneidisch geltende, sonst aber höchst biedere Nimrod mich, das neunzehnjährige Bürschchen aus der Residenz, noch nicht für voll genug an – er hatte den angehenden Künstler die dortige malerische Natur, für welche er leidenschaftlich schwärmte, nur bewundern lassen wollen.

Doch was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten, und so ließ ich es denn, der ich mich damals in der That viel mehr für alles Jägerliche, als für meinen Künstlerberuf begeisterte, durchaus nicht dabei bewenden, nur alte Baumsturzel und Felsblöcke aufzusuchen und sie abzumalen, sondern bestrebte mich vielmehr, möglichst bald den ästhetischen Banden, in die mich das gastliche Haus zu schlagen gedachte, zu entrinnen, um dafür in den umliegenden Forsten bei den schlichten urwüchsigen Waidleuten Bekanntschaften anzuknüpfen, was mir auch durch die bereitwillige Vermittelung meines bisherigen freundlichen Wirthes recht bald gelang. Führte mich doch gleich dessen erste Empfehlung in eine hoch oben auf dem Gebirgskamm gelegene Oberförsterei, wo ich von dem dort hausenden alten, wackeren Grünrock und seiner trauten Familie so herzlich willkommen geheißen und aufgenommen ward, daß ich mich gern wochenlang an ihr waldeinsames Heim fesseln ließ.

Wie wohlgelitten ich aber in diesem Hause war, bewies mir der greise Oberförster mit dem jugendlichen Herzen am deutlichsten dadurch, daß er trotz seines hohen Alters meiner damals in vollen Flammen stehenden Jagdleidenschaft gern allen Vorschub leistete. Dafür that auch ich Alles, was ihn nur zu erfreuen vermochte, und suchte zu diesem Zwecke vornehmlich sein Wohnzimmer mit den Anfängen meiner Kunstleistungen auf dem Gebiete der Wildmalerei zu schmücken. Damit hatte ich mir denn allerdings sein Herz im Fluge erobert. So kam es, daß der Dankbare mich eines Abends hoch beglückte, indem er mir schmunzelnd die Erlaubniß ertheilte, des andern Morgens auf den von mir längst ersehnten Frühanstand auf Hochwild treten zu dürfen, wobei mich sein Gehülfe, dessen Zuneigung ich mir auch bereits erworben, begleiten sollte. Freilich erhielt ich hierzu auch noch den gemessenen Befehl: höchstens auf einen schwachen Hirsch, einen sogenannten Schneider, lieber aber nur nach einem Schmal- oder gelten (keine Milch gebenden, nicht trächtigen) Altthier zu schießen.

Mit dankbarem Herzen ging ich diesen Abend, nachdem mir mein lieber Gastgeber beim Gute-Nacht-Gruße noch den bekannten glückverheißenden, jägerlichen Hals- und Beinbruch-Wunsch zur morgigen Jagd nachgerufen, zu Bett. Doch kein Schlaf wollte mich hier umfangen; vielmehr hielt mich die freudige Aufregung bis zur Stunde wach, in welcher der Gehülfe zum Aufbruch mich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_156.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2016)