Seite:Die Gartenlaube (1881) 171.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Was kann es schaden, wenn die verwöhnten, faulen Damenhände, die sich mit ihren gemalten Feldblumensträußen und Fingerübungen aufdringlich machen, auch einmal vom Gewitterregen gewaschen werden?“ fragte sie leichthin.

Der Gutsherr biß sich auf die Lippen und blickte hinaus in die niederstürzende Regenfluth.

„Der Meinung bin ich auch,“ versetzte er, sich nach einem augenblicklichen Schweigen gelassen umwendend; „aber ich sehe nicht ein, mit welchem Recht Sie Ihre Bemerkung auf die sonnenverbrannten Hände da beziehen mögen“ – er zeigte nach ihren Händen, die noch den Thürgriff umschlossen hielten.

„Ja, schön sind sie nicht,“ sagte sie mit Humor und ließ die Finger der Rechten vor ihren Augen spielen. „Der Onkel sieht auch seit heute Mittag streng darauf, daß ich mich dem lieben alten Walde nicht mehr ohne Handschuhe zeige.“

„Er hält auf die Dehors, der alte Herr, auf seinen Namen.“

Sie lachte hart auf.

„Er weiß und bedenkt nicht, wie schlimm es um diesen Namen steht. Die Franzens haben ja einen mit all seinen Hoffnungen Gescheiterten und – eine Gouvernante in der Familie –“

„Und – was ich für viel, viel schlimmer halte – ein häßlich rachsüchtiges, unversöhnliches Element in ihrem Blute,“ ergänzte er mit hervorbrechendem Unwillen. Er griff nach seinem Hut, den er auf den nächsten Tisch gelegt hatte.

„Sie wollen doch nicht in das Unwetter hinausgehen?“ fragte sie verschüchtert.

„Ei warum denn nicht? – Es kann auch ,dem Reichen, wie er in der Bibel steht’ nicht schaden, wenn ihm der Regen auf den Hut fällt. Die Luft hier im Hause regt mir das Blut auf. Ich will doch tausendmal lieber den Kampf mit Sturm und Gewitter aufnehmen, als hier der Engherzigkeit und Verbitterung Stand halten. Und haben Sie denn vergessen, daß ich einzig und allein hierhergekommen bin, mein Mädchen – Pardon, meinen lieben Heilgehülfen, wollte ich sagen – zu suchen? Nun, hier ist sie nicht, die Tapfere, Großherzige, die Edle, die es nicht ertragen konnte, mir einen Schmerz verursacht zu haben, und, sich verleugnend, zu mir gekommen ist –“

„Sie that nur ihre Pflicht,“ unterbrach sie ihn mit zuckenden Lippen schroff und trotzig und dabei hocherröthend. „Sie haben Recht, das Mädchen im Kopftuch und Arbeitsrock finden Sie hier nicht – sie wird sich überhaupt nicht wieder finden lasten. Hat sie Ihnen nicht gesagt, daß sie mit mir ein Herz und eine Seele sei? Muß sie dann nicht zürnen wie ich, nicht mit mir fühlen, daß eine Mädchenseele, die auf ihre Selbstachtung hält, es nicht verwinden kann, wenn ihr das Häßlichste nachgesagt wird: das Angeln nach Männerherzen? … Ich weiß am besten, wie sie am Fuß der Treppe, die zu Ihnen führt, mit sich gekämpft hat –“

„Aber sie ist trotz alledem hinaufgegangen und hat gehandelt, wie das echte Weib handeln soll, mit dem mitleidigen Herzen, und nicht mit dem egoistischen Verstand, mit dem starren Princip, das da sagt: ,Zahn um Zahn!’ … An diesem Herzen zweifeln, wäre eine Sünde, die ich mir selbst nicht verzeihen könnte, und deshalb sage ich – mögen Sie die Gütevolle, Selbstlose auch hier in diesen fremden vier Wänden vor mir verleugnen – ich sage: Sie wird wiederkommen, weil ihre Samariterpflicht sie noch einmal mit mir zusammenführen muß –“ er zeigte auf die verbundene Hand.

„Sie werden sich erinnern, daß ich mich erboten habe –“

„Und Sie wissen, daß ich diese Hülfe entschieden zurückweise. … Ich werde warten, geduldig warten, bis mein lieber Heilgehülfe sich seines Patienten erinnert. … Und nun will ich im Gottes Namen hinausgehen – vielleicht finde ich draußen im Walde seine Spur eher wieder.“

„Sie können jetzt das Haus unmöglich verlassen.“

„Bah, des Gewitters wegen? Sehen Sie doch hinaus Im Augenblick fällt kein Tropfen mehr.“

Das Getöse des niederrauschenden Regens war in der That jäh abgerissen, aber es war ein Innehalten, wie ein Ringender mit einem tiefen, langsamen Athemholen neue Kraft schöpft. Als bräche die Nacht herein, so dunkel wurde es plötzlich im Zimmer – die schwarze Wolkenwucht senkte sich so tief, als wolle sie das Dach des Hauses und die Waldwipfel zusammendrücken.

Der Gutsherr verbeugte sich leicht mit einem sprechenden Blick nach den Händen auf dem Thürschloß, aber sie gaben dasselbe nicht frei.

„Gehen Sie nicht!“ sprach die junge Dame. Das klang so sanft und beweglich, wie gestern die Mahnung: „Seien Sie gut!“

Seine Augen strahlten feurig auf. „Ich bleibe, wenn Sie befehlen,“ versetzte er nichtsdestoweniger kühl, und förmlich. „Ich begreife, daß Sie sich, so allein hier, vor dem Gewitter fürchten.“

„So geistesschwach bin ich nicht,“ entgegnete sie gereizt. „Von Kindheit an habe ich das Gewitter weit eher geliebt als gefürchtet.“

„Nun, dann ist mir Ihr Wunsch ein Räthsel. Hätte die barmherzige Schwester ihn ausgesprochen, dann wüßte ich, daß es aus Besorgniß für mich geschehen wäre, wie sie ja gestern auch um meinetwillen zu mir gekommen ist –“

„Sie irren sich. Sie hat Ihnen ausdrücklich erklärt, daß sie den unerhörten Schritt aus Gewissensnoth, im Hinblick auf die Menschenpflicht gethan habe,“ sagte sie fast heftig und warf mit einer unbeschreiblich stolzen, trotzigen Geberde den Kopf auf.

„Ach, so bitterernst ist das gemeint? Und Sie haben wirklich das Herz, mir – weil ich leichtsinnig und oberflächlich über einen Beruf und seine Vertreterinnen geurtheilt habe – meine süße Illusion zu rauben?“

Sie sah auf den Boden, und ihre Hände sanken vom Thürschloß herab.

„Finden Sie nicht ein milderndes Wort, an welchem ich mich aufrichten könnte?“

Man sah, daß ein heftiger Widerstreit der Gefühle in ihr kämpfte; allein ihre Lippen blieben geschlossen, und das blasse Gesicht wurde starr im Ausdruck unbeugsamen Widerstandes, während sie von der Thür wegtrat.

„Nun wohl, dann nehme ich die grausamste Enttäuschung meines Lebens hin und gehe!“ sagte er, indem er die Thür öffnete und durch die Hausflur nach dem Ausgang schritt.

Er hatte völlig vergessen, daß ein Kranker im Hause liege, und deshalb seine kräftigen, raschen Bewegungen in keiner Weise moderirt – so mochte das Geräusch des kreischenden Thürgriffes und der festen Schritte auf dem Backsteinfußboden den Schlafenden aufgeschreckt haben.

„Agnes!“ rief eine matte, verlangende Stimme von der Zimmerecke her.

Herr Markus sah noch, wie die junge Dame über die Schwelle der anderen Stube geflogen kam; er sah auch, wie sie, im heftigsten Zwiespalt mit sich selbst, in der Hausflur ihre Schritte hemmte und mit angstvollen Augen ihn verfolgte, bis es ihm gelang, dem eindringenden Sturme die Hausthür zu entreißen und sie zu schließen.


17.

Er hatte seine ganze bedeutende Körperstärke nöthig, um sich gegen den Gewittersturm zu halten, der ihn beim Verlassen der Thürstufen wüthend anfiel. Es sah schlimm aus über ihm und um ihn her. Das schwarze, kochende Wolkengemenge da oben hatte der Blitze genug und wohl auch Hagel in seinem Schooße, und der fauchende Wütherich, der ihn schüttelte - und wie einen Ball vor sich herstieß, konnte sich jeden Augenblick den Spaß machen, einen der ächzenden Waldriesen wie einen Blumenstengel zu entwurzeln und über den dahintaumelnden, machtlosen Erdenwurm herzuschleudern.

Zwischen den vier rothen Wänden war es freilich sicherer gewesen, und ein Anderer mit kühlem Kopfe und normalem Pulsschlag wäre jedenfalls zurückgekehrt – ah, um keinen Preis that er das. Er hatte jetzt das Heft in der Hand. Einen besseren Bundesgenossen, als dieses erschreckende Wüthen und Toben in den Lüften, konnte er sich nicht wünschen. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, ein ganz verstohlenes, leises, das ihm gleichsam ohne seinen Willen aus der Seele herausglänzte.

So kämpfte er sich ein tüchtiges Stück auf der Fahrstraße weiter, bis plötzlich ein Blitz niederzischte, dem sofort ein anhaltender, so entsetzlich krachender, erderschütternder Donnerschlag folgte, wie er nur im engen Thalgrund, zwischen hohen, versperrenden Bergen dröhnen kann. Einen Augenblick stand Herr Markus betäubt, als habe der Blitz zu seinen Füßen eingeschlagen und ihn gestreift; der Sturm schwieg wie im jähen Schrecken und machte einer secundenlangen Stille Platz, in welcher noch das schwefelgelbe Licht des Blitzes auszuzittern schien. Aber nun

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_171.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2016)