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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

eintretenden Gutsherrn in die Hände. Sie kam aus der Speisekammer und hatte zwei volle Papierdüten in der Rechten.

„Na, Herr Markus, was sagen Sie nun zu so einem Wetterchen?“ meinte sie, den Arm in die Seite stemmend. „Gelt, das donnert und rumort ein Bischen anders, als auf so einer breiten Kuchenschüssel, wie Ihr ,Zuhause‘ eine ist? Ja, sehen Sie, ohne ein rechtschaffenes Gepolter thun wir’s nun einmal nicht; das ist bei uns so Mode, und das hör’ ich so gern, wie die Orgel in der Kirche. Und das hier sind sie“ – sie zeigte ihm die strotzenden Düten – „die Rosinen nämlich, die ich den Tillröder Kindern extra in den Kuchen backe – es hat gar zu schön geregnet!“

„Recht so – Rosinenkuchen! Und ich gebe den Wein dazu. Und können Sie auch schöne Hochzeitskuchen backen?“ Mit diesen Worten umfaßte der Gutsherr übermüthig die kleine, dicke Frau und wirbelte ein paar Mal mit ihr im Kreise herum.

„Hochzeitskuchen?“ wiederholte sie verschnaufend, mit mißtrauischem Blicke. „Wo haben Sie denn eigentlich gesteckt, Herr Markus, daß Sie gar so fidel heimkommen? Und naß wie ein Pudel sind Sie auch. Ach Herrje, und die Lehmtropfen da auf meinen schönen, frischgescheuerten Flurdielen! Gehen Sie mir weg – tanzen auch noch und haben den halben Hirschwinkel an den Stiefelsohlen! Na ja, Hanne wird schön brummen, daß sie noch einmal mit dem Scheuerwisch anfangen muß. Hochzeitskuchen sagten Sie? O ja, den kann ich schon backen – zwei Hände hoch und locker, daß er Einem auf der Zunge zergeht.… Aber nun frage ich: für wen denn in unserem stillen Hirschwinkel? Wer soll ihn denn essen?“ –

„Wer? Ei, wer Lust hat, wer mein Gast sein will! – Alt und Jung, Reich und Arm – sie sind Alle eingeladen. Wer einen Schatz hebt, der darf auch mit seinem Danke nicht knausern.“ –

Er lachte ihr voll Uebermuth in das verdutzte Gesicht, und die Treppe hinaufsteigend, sang er mit schönem Bariton Georg Brown’s „Komm, o holde Dame!“

„Sag an, wie ist dein Name?“ scholl es noch in die widerhallende Hausflur herab; dann flog droben die Thür zu.

(Fortsetzung folgt.)




Friedrich Oetker.

Blätter der Erinnerung von Karl Braun-Wiesbaden.

Am 17. Februar 1881 morgens in der Frühe ist im Alter von beinahe zweiundsiebenzig Jahren Friedrich Oetker gestorben, bekannt als kurhessischer, preußischer und deutscher Abgeordneter, seit länger als einem Menschenalter im öffentlichen, sowohl im literarischen wie im politischen Leben thätig, vor Allem aber geachtet als kluger, unermüdlicher und erfolgreicher Vertheidiger der hessischen Verfassung gegen den letzten Kurfürsten und seine Leute.

Ich glaube, es ist selten, daß der Geist, der Charakter und die Willenskraft eines einzelnen Mannes in einem deutschen Kleinstaate sogar gegenüber einer in ihren Mitteln nicht sehr wählerischen Regierung, welche an dem Bundestage einen sicheren Rückhalt hatte – solche Erfolge erzielt hat. Denn so weit der Streit sich auf dem Gebiete des hessischen Landes und des hessischen Rechtes bewegte, war Oetker Sieger geblieben gegen den Kurfürsten und gegen Hassenpflug, den thatkräftigsten und rabulistischsten aller kleinstaatlichen Minister.

Erst als der Kurfürst sich entschloß, österreichische und baierische Kriegsvölker in sein Ländchen zu rufen, gelang es, die Verfassung vorübergehend zu Boden zu werfen, aber zugleich auch den kurfürstlichen Thron zu erschüttern. Als im Jahre 1866 preußische Truppen in das Kurfürstenthum einmarschirten, da war es zu Ende mit der hessischen Particular-Verfassung, aber auch mit dem Kurfürsten selber. Er wurde nach Stettin in Kriegsgefangenschaft abgeführt, zwar bald wieder freigegeben, aber er ist nie wieder zurückgekehrt auf kattischen Boden. Er ging nach Prag, weil Einer seiner Ahnen dort auch in der Verbannung gelebt hatte und nach sieben Jahren im Triumph zurückgekehrt war zu seinen biederen Katten, die ihn empfingen mit dem von Dahlmann bezeugten Wahlspruch: „Ein alter Esel ist er zwar, aber wiederhaben müssen wir ihn dennoch.“ Kurfürst Friedrich Wilhelm ist in der Fremde gestorben, ohne thronfolgefähige Nachkommenschaft zu hinterlassen.

In seinen „Lebenserinnerungen“ (zweiter Band S. 199) hat Friedrich Oetker, der sein Leben der Vertheidigung der Verfassung gewidmet, sich selbst zum Schutz, denen aber, welche über das Elend solcher Verfassungen sich in Spöttereien ergingen, zum Trutz die treffende Bemerkung niedergelegt:

„Nicht der Constitutionalismus hat sich bei uns unzureichend erwiesen, sondern die Kleinstaaterei war unser Verderben. Hassenpflug und dem Kurfürsten gegenüber wären wir (die Verfassungsstreiter) Sieger geblieben, aber gegen österreichische und baierische Heerschaaren vermochte das kleine Hessenland sich nicht zu wehren.“

Wäre Friedrich Oetker, statt in Kurhessen, in der amerikanischen Union geboren gewesen, vielleicht würde er die Rolle eines Washington gespielt haben. In Ungarn wäre er gleich einem Franz Deák gefeiert worden. In Kurhessen sind es nur die Auserwählten, welche seiner Verdienste stets dankbar gedenken.

Oetker ist, gleich dem Kurfürsten, nicht auf kattischem Boden gestorben, aber – und das verdiente er reichlich – auf deutscher Erde, in der Reichshauptstadt.

„Ist er nicht im Hospital gestorben? Ein solcher Mann im Hospital! So Etwas kann nur in Deutschland vorkommen.“

So schrieb mir gleich nach Oetker’s Tode ein Freund voll sittlicher Entrüstung. Aber der Mann hatte Unrecht, trotz seiner guten Gesinnung; denn es ist wahr: zwar ist es ein Hospital, in welchem Oetker gestorben, aber ein so vortreffliches, daß ich sehr zweifle, ob er, der alte Junggeselle, der so wenig Bedürfnisse hatte und doch so streng auf Ordnung und Reinlichkeit hielt, irgendwo eine seinen Wünschen mehr entsprechende Verpflegung und so vortreffliche Krankenwärterdienste gefunden haben würde, wie dort. Jedenfalls aber hatte er da eine vorzügliche ärztliche Behandlung. Er starb nämlich in dem Augusta-Hospital in Berlin, in der Scharnhorst-Straße, am Invaliden-Park gelegen. Dieses Hospital steht unter der besonderen Protection der Kaiserin und ist so gut eingerichtet und verwaltet, daß 1870 und 1871 die verwundeten und gefangenen französischen Officiere, welche dort lagen, vielfach um ihr Schicksal beneidet wurden und sich nicht beklagen konnten, daß sie hinter die einheimischen Officiere zurückgesetzt wurden. Jedenfalls war es nicht Noth, was ihn in das Spital trieb. Seine Einkünfte reichten hin, um ihm jeden anderen Aufenthalt zu gestatten. Die Dotation freilich, welche ihm seine politischen Freunde um seiner großen Verdienste willen und zum geringen Ersatz für die Unbilden und Verfolgungen, die er durch die kürhessische Regierung erlitten, zugewandt hatten und die eine ziemlich ansehnliche Summe erreichte, hatte er mit gewohnter opferwilliger Uneigennützigkeit gemeinnützigen Zwecken und Stiftungen gewidmet.

Oetker war so recht das Gegentheil von alledem, was sich leider noch so viele Menschen, wenn nicht als das Ideal, so doch wenigstens als den Typus des Volksvertreters vorstellen. Er war nicht der Mann der großen Gesten und der großen, unaufhörlichen, häufigen und unablässig-unermüdlichen Reden.

Wie oft, wenn die Zeitungen melden, in der abgelaufenen Session habe der Abgeordnete Windthorst 427 Mal und der Abgeordnete Lasker 321 Mal gesprochen, fragt nicht mancher Wähler mit gerunzelter Stirn:

„Warum spricht denn nicht auch unser Vertreter? 300 oder 400 Mal, das kann man wohl nicht von Jedem verlangen, aber von Zeit zu Zeit einmal könnte er sich doch auch hören lassen.“

Nun, Friedrich Oetker, der sein Mandat so gewissenhaft ausübte, wie nur Einer, hat während der dreizehn Jahre, die ich mit ihm in dem preußischen Abgeordnetenhause und in dem deutschen Reichstage gesessen, auch nicht eine Silbe öffentlich gesprochen, und doch war er einer der fleißigsten und einflußreichsten Abgeordneten – einflußreich namentlich in Sachen seiner Provinz. Er hatte den Geist und die Gabe, zu sprechen, aber ihm versagte die Stimme. Nur in kleinem Kreise wußte er sich Gehör zu verschaffen, aber da sprach er desto überzeugender.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_174.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)