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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Der war noch vor des Vaters Tod zum Militär genommen und an die hundert Meilen weit, gar in’s Böhmische, geschickt worden. Ob und wann er von dort wiederkehren werde, wußte sie nicht, inzwischen aber häuften sich Schulden auf Schulden; rückständige Steuern kamen dazu, die unbarmherzig eingetrieben wurden, und so fiel allmählich Stück um Stück von dem Besitze ab, heute ein Feld, morgen eine Wiese, endlich sogar ihr Antheil an dem Gemeindewalde, und immer noch drohten Klagen und Pfändungen. Die Bäuerin wußte sich nicht mehr zu helfen. So schmal sie auch die Bissen für sich und die drei unmündigen Buben, die ihr noch geblieben waren, zuschnitt, so inbrünstig sie in der Kirche zur heiligen Jungfrau und zu allen ihr nur halbwegs bekannten Heiligen um Hülfe in ihrer schweren Noth betete, so ingrimmig sie daheim auch fluchte und die Kinder prügelte – nichts wollte helfen. Der letzte Besitz, ein kleiner Rübenacker hinter dem Hofe, ward endlich auch versteigert, und das baufällige Haus selbst blieb ihr vorerst wohl nur deshalb, weil kein Gläubiger den morschen werthlosen Bau hatte nehmen wollen, so lange es noch Besseres zu erhaschen gab.

Nun aber mußte denn wohl auch an diese letzte Zufluchtsstätte die Reihe kommen. In dumpfes Hinbrüten versunken saß die Teichbäuerin vor ihrer Thür auf der Steinbank, die Hände in den Schooß gelegt. Was hätten sie auch schaffen sollen?

Die Buben trieben sich irgendwo im Dorfe umher; sie saß einsam da und starrte trüben Blickes in den klaren Frühlingsabend, der sich allmählich über Dorf und Feld gesenkt hatte. Noch lag die Erde kahl und schmucklos; noch ragten die unbelaubten Zweige der Bäume winterlich dürr in den Abendhimmel, aber hier und dort schimmerte es schon wie sprießendes Grün auf der grauen Fläche, und die Weiden drüben am Ufer des Bösenbaches prangten, wenn auch noch laublos, doch schon im frühen Blüthenschmucke.

Ostern stand vor der Thür. Im Schulhause übte der Lehrer mit den Dorfkindern das Auferstehungslied. Die reinen Kinderstimmen und der klagende Fiedelton klangen hell durch die stille Abendluft herüber. Die Bäuerin hörte sie nicht. Sie saß bewegungslos und brütete über ihre und ihrer Kinder Zukunft.

Da kam bedächtigen Schrittes ein Mann die Dorfstraße herauf, und als er ganz nahe war, so nahe, daß sie sein starkes Athmen hören mußte, sah sie auf. Der Himmelbauer war’s. Sie wandte den Kopf und starrte wieder in den Abend hinein.

„Grüß Gott, Teichbäuerin!“ sagte der Bauer.

„Grüß Gott!“ erwiderte sie, ohne aufzublicken.

Der Bauer sah prüfend zum Himmel empor.

„Wird heuer a schöne Osterzeit geben,“ fuhr er fort.

Sie nickte nur. Nach einer Weile begann er wieder:

„Feierst schon?“

„Muß wohl.“

Der Himmelbauer betrachtete eifrig ein Spatzenpaar, das auf der Straße um ein Körnlein stritt.

„Is jetzt a harte Zeit für Di!“ sagte er plötzlich.

„Mein’s wohl.“

Wieder eine Pause. Der Bauer schickte sich zum Gehen an, that einen Schritt, blieb aber wieder stehen und klimperte mit ein paar Geldstücken in der Tasche.

„Kann i Dir leicht was z’ Nutz sein?“ fragte er und versuchte recht gleichgültig drein zu sehen.

Die Bäuerin hob den Kopf und blickte ihn groß an.

„Du? Der Himmelbauer?!“

„I hab’ nur g’mant,“ murmelte er verlegen.

Die Teichbäuerin ließ ihn nicht zu Ende kommen:

„I brauch’ ka Manung und ka Hülf’ von Dir. Hab’ mir’s a net verlangt, daß i wüßt’ … B’hüt Gott, Himmelbauer!“

Der Himmelbauer wollte noch etwas erwidern, besann sich aber, zuckte die Achseln und setzte mit einem leisen „B’hüt Gott!“ langsam seinen Weg fort.

Von der Schule klangen die hellen Kinderstimmen herüber:

„O du liebliche,
O du herrliche,
O du fröhliche
 Osterzeit!“

Die Bäuerin hatte die Hände in einander gepreßt und nickte von Zeit zu Zeit ingrimmig mit dem Kopfe.

Da kam wieder eine Gestalt die Straße herauf, doch raschen, elastischen Schrittes. Es war ein junger Bursche, der einen grauen Soldatenmantel umgeworfen hatte; auf den krausen, schwarzen Locken saß schief gedrückt eine verblichene Soldatenmütze, und über die Achsel geworfen trug er einen derben Knotenstock, an dem ein kleines Bündel hing. An der Biegung der Dorfstraße, just dort, wo der Bursche des Teichbauerhauses und der davor sitzenden Bäuerin ansichtig wurde, entrang sich ein heller Juchzer seinen Lippen.

Die Bäuerin hörte ihn nicht. Jetzt stand der Bursche vor ihr, nahm die Mütze ab und sagte laut: „Grüß Gott, Mutter!“

Die Bäuerin fuhr sich mit beiden Händen an die Schläfen.

„Jessas!“ stammelte sie.

Sie wollte aufstehen, vermochte es aber nicht; die zitternden Glieder versagten den Dienst. Der Bursche ließ Mütze, Stock und Bündel fallen und wiederholte leise: „Mutter!“

Dann stürzte er der Bäuerin zu Füßen, umklammerte ihre Kniee und verbarg heftig schluchzend den Kopf in ihrem Schooße. Es war der Toni. Sie hatten ihn heimgeschickt, einstweilen nur auf Urlaub, aber da er jetzt nach des Vaters Tode die einzige Stütze seiner Mutter und seiner unmündigen Brüder war, so solle er nur ein Gesuch abfassen, hatte der Hauptmann gemeint, und sie würden ihn gänzlich freilassen.

Bald saßen Mutter und Sohn, Hand in Hand, wie zwei Liebesleute, neben einander auf der Steinbank, und die Mutter erzählte dem heimgekehrten Aeltesten von allem Jammer, den sie seit des Vaters Tod ausgestanden hatte, und der ihr und ihm wohl noch bevorstand. Der Toni war still geworden. Er hörte der Mutter zu und sah ihr dabei innig in die Augen.

Als sie geendet hatte, drückte er fest ihre Hand, die in der seinen ruhte, stand dann auf, hob die Mütze vom Boden auf und sagte ruhig:

„I muß mi a Bissel umschau’n im Dorf, ob no a Jed’s am alten Fleck steht. In aner Stund bin i wieder da. B’hüt Gott derweil, Mutter!“ Und fort war er.

Nach einer Stunde kam er auch wirklich wieder. Die Mutter war indessen in’s Haus gegangen und hantirte am offenen Feuerherde. Er legte ein paar Silberstücke auf den Tisch.

„Woher hast denn das viele Geld?“ fragte die Mutter, bei dem Klange des Geldes erstaunt aufsehend. Der Toni lachte.

„Mei Angeld is’; i hab’ mi verdungen.“

„Verdungen – Du?!“

„Seid’s g’scheidt, Mutter. Von der Luft können wir net leb’n Alle mit einand’; ’s Anwesen is a hin – so muß i halt in Dienst gehn.“

Die Mutter schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Du, der Teichbauer-Toni!“ stieß sie mühselig hervor.

„Na, was is denn weiter dabei?“ beruhigte er sie. „Arbeiten muß i so wie so!“

„Aber daß das so g’schwind kommt!“ klagte sie wieder.

„’S hat si just so g’schickt, daß Aner grad an Knecht braucht hat. Da hab’ i halt zug’schlag’n – und morgen steh’ i ein.“

„Morgen schon! – Und bei wem denn?“

„Beim Himmelbauer. – – Jessas und Josef, Mutter – was habt’s denn?“

Die Mutter tappte unsicher nach der Tischkante, um sich daran festzuhalten, verfehlte sie aber und sank lautlos auf den Boden der Stube hin.


(Fortsetzung folgt.)




Die Winterschwimmbäder sonst und jetzt.


Die in der zweiten Hälfte des Mittelalters in Deutschland allgemein gepflegte Sitte, daß fast jedes Haus, jeder Bauernhof seine Badestube aufzuweisen hatte, daß die Städte große öffentliche Bade-Anstalten schufen, in denen gegen billiges Entgelt beliebig kalt oder warm gebadet werden konnte, ging in Folge des Dreißigjährigen Krieges zu Grunde und erreichte leider bis heute noch nicht wieder den damaligen Umfang. Erst seit den vierziger Jahren wendete man auf’s Neue den öffentlichen Bade-Anstalten größere Aufmerksamkeit zu, indem man die Wannenbäder mehr ausbildete und ihnen später das römische Bad beifügte. Aber nicht in dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_180.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)