Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
|
behandelt hat. Nichtige Erkenntniß der Naturgesetze und Pflege und Stärkung des sittlichen Bewußtseins sind das Hauptziel, nach welchem Diercks in seiner Arbeit mit Erfolg gestrebt hat, und schon aus diesem Grunde, wenn aus keinem andern, war es angezeigt, an dieser Stelle auf sein Buch hinzuweisen.
Ein neues Bollwerk gegen die kirchliche Reaction der Gegenwart
verspricht das soeben in’s Leben getretene „Correspondenzblatt für kirchliche
Reform“ zu werden, welches als Organ des schon früher (vergl.
Jahrgang 1879, Nr. 35) von uns auszeichnend hervorgehobenen „Protestantischen
Reformvereins“ zu Berlin sich die nicht genug
anzuerkennende Aufgabe stellt, den Sinn für eine freiheitliche Entwickelung
der christlichen Kirche zu wecken und zu pflegen und ein
Band der Gemeinschaft für die freisinnigen kirchlichen Reformbestrebungen
zu schaffen. Das Blatt wird, wie die Ankündigung sagt, die principiellen
Fragen des religiösen und kirchlichen Lebens vom protestantischen Standpunkte
aus in allgemein verständlicher Weise erörtern, .die wichtigsten
Tagesereignisse, so weit sie auf die religiöse Frage Bezug haben, besprechen,
über bedeutsamere Vorfälle aus dem Leben der protestantischen und
anderer Kirchen berichten und Nachrichten aus der Reformpartei und den
übrigen kirchlichen Richtungen bringen.
Ist das Erscheinen eines auf so echt freiheitlicher und gesunder Basis beruhenden Kampfblattes in unseren Tagen sich täglich steigernder hierarchischer Vergewaltigungen schon an und für sich ein hoffnungerweckendes Zeichen der Zeit, so tritt es in eine noch viel verheißungsvollere Bedeutung durch den Umstand, daß die Redaction des Blattes in keiner geringeren Hand liegt, als in derjenigen des durch sein wiederholtes mannhaftes Eintreten für die Sache der kirchlichen Freiheit bekannten Predigers Dr. Kalthoff in Steglitz bei Berlin. (Vergleiche unsern Artikel: „Die religiöse Ueberzeugung vor dem Kirchengericht“, (Jahrgang 1878, Nr. 19.)
Wir begleiten die Entwickelung des „Correspondenzblattes“ und des durch dasselbe vertretenen protestantischen Reformvereins mit den lebhaftesten Wünschen kräftigsten Gedeihens und beschränken uns zur Unterstützung der Idee, welcher das Blatt dient, für heute darauf, im Folgenden das daselbst abgedruckte Programm der kirchlichen Reformpartei (angenommen vom protestantischen Reformverein am Reformationsfeste 1880) hier wiederzugeben. Es lautet:
Die protestantische Reformpartei erstrebt den Ausbau der evangelischen Landeskirche im Geiste des protestantischen Christenthums. Sie leitet ihr Programm aus folgenden, innerhalb des freisinnigen Protestantismus allgemein anerkannten Grundsätzen ab:
I. Die protestantisch-unirte Kirche hat ihre höchste Norm an dem in den biblischen Schriften enthaltenen Evangelium Jesu und hat dasselbe zu immer reinerer und vollkommenerer Darstellung zu bringen. Da dieses Evangelium die Stellung des Menschen zu Gott lediglich von der Gesinnung abhängig macht, so steht jeder Versuch, äußere Cultushandlungen zum Gegenstände gesetzlicher Zwangsmaßregeln zu machen, mit dem Wesen des Evangeliums in Widerspruch.
II. Die protestantisch-unirte Kirche ist in ihrer Lehre weder an die Beschlüsse der katholischen Concilien, noch an einseitig-confessionelle Darstellungen der christlichen Religion als an unveränderliche Normen gebunden. Jeder Versuch, die Glaubenssätze früherer Jahrhunderte als unveränderliche Normen für alle Zeiten festzuhalten, lenkt deshalb unvermeidlicher Weise entweder in’s Lager des Katholicismus zurück oder muß zur Sprengung der Union und zur Sectenbildung führen.
III. In der protestantischen Kirche sind alle mündigen Glieder gleichberechtigt, unbeschadet der amtlichen Stellung, die sie in derselben einnehmen. Eine Kirchenverfassung, welche dem geistlichen Stande eine bevorrechtete Stellung in den kirchlichen Körperschaften gesetzlich zuerkennt, unter den Geistlichen selber hierarchische Rangunterschiede macht, oder welche eine Bevormundung der Gemeinden in ihren inneren religiösen Angelegenheiten durch Synoden und Behörden zuläßt, beruht deshalb auf unprotestantischer Grundlage. –
Hieraus ergeben sich unter den gegenwärtigen Zuständen der preußischen Landeskirche für unser Reformprogramm zunächst folgende Hauptforderungen:
1) Aufhebung des durch die Beschlüsse der Generalsynode vom Jahre 1879 eingeführten Tauf- und Trauzwanges.
2) Aufhebung des Bekenntnißzwanges für die Geistlichen und Verpflichtung derselben zur Verkündigung der christlichen Religion nach der Norm des Evangeliums Jesu und im Geiste der evangelisch-unirten Kirche.
3) Einführung von Parallelformularen für die Cultusacte, insbesondere solcher Formulare, welche aus der Liturgie die Anklänge an den katholischen Meßcanon entfernen und ermöglichen, daß bei der Liturgie und der Taufe die Verlesung des sogenannten apostolischen Glaubensbekenntnisses weggelassen, sowie daß der Abendmahlsfeier die historische Auffassung zu Grunde gelegt und die Beichthandlung freigegeben werden kann.
4) Unabhängigkeit der theologischen Facultäten von dem Einflüsse des Kirchenregiments.
5) Gleichstellung der evangelischen Landeskirche und der übrigen Religionsgemeinschaften den Landesgesetzen gegenüber.
6) Kräftigung der Einzelgemeinden gegenüber den centralisirenden Tendenzen kirchlicher Synoden und Behörden, insbesondere:
a. Verleihung des freien Pfarrwahlrechts an die Gemeinden,
b. Directe Wahlen der Gemeinden zu allen Synoden, unter Gleichstellung der Laien und der Geistlichen in Bezug auf die Wählbarkeit,
c. Gewährung des Rechts der freien Präsidentenwahl an die kirchlichen Organe und Synoden.
7) Befestigung des geistigen Bandes, welches die Einzelgemeinden auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung zur christlichen Kirchengemeinschaft und zur gemeinsamen Förderung der sittlich-religiösen Aufgaben des Christenthums verbindet.
8) Aufhebung des kirchlichen Pfründewesens und Besoldung der Prediger nach einem für alle gleichmäßig festzusetzenden Maßstabe.
Der künstliche Indigo. Schon vor zwei Jahren brachte die „Gartenlaube“
(1878, S. 869) eine kleine Notiz über das Gelingen der lange
angestrebten künstlichen Herstellung des Indigofarbstoffs. Allein die damals
entdeckte Methode gab nur so winzige Spuren des geschätzten Farbstoffes,
daß sie für die Industrie nicht verwerthbar erschien. Der um die
Chemie der Indigofarbstoffe hochverdiente deutsche Chemiker Adolf Baeyer
hat inzwischen seine seit fünfzehn Jahren begonnenen Versuche, den Indigo
künstlich zu erzeugen, fortgesetzt und ist neuerdings zu einem ergiebigeren
Verfahren gelangt, welches, wenn es erst durch die Praxis vervollkommnet
sein wird, in der That verspricht, den theuren indischen Farbstoff zu verdrängen.
Die neue Methode geht von der Zimmtsäure aus, einer im
Benzoeharz, Perubalsam und anderen mehr oder minder kostbaren
Specereien enthaltenen Substanz. Die Zimmtsäure wird zunächst durch
Behandlung mit Salpetersäure in Nitrozimmtsäure verwandelt, und letztere
durch Einwirkung von Brom in das Dibromid derselben. Man hat in dem
letzteren Stoffe eine Verbindung, welche in Berührung mit Alkalien schon ein
wenig Indigoblau giebt, aber viel vortheilhafter ist es, das Dibromid zunächst
in eine Verbindung zu verwandeln, welche Orthonitrophenylpropiolsäure
heißt. Dieser langnamige Körper giebt durch Behandlung mit Alkalien
und Traubenzucker sofort Indigoblau und bietet den außerordentlichen
Vortheil, daß man ihn in beliebigen Mustern direct auf die Gewebe drucken
kann, um das Indigoblau auf der Faser selbst zu erzeugen, ein Umstand,
der für die Praxis so wichtig ist, daß man diesem Stoffe seinen langen
Namen verzeihen wird und schon jetzt in einer unserer größten Anilinfabriken
drauf und dran ist, ihn in größerer Menge künstlich zu bereiten.
Freilich würde der künstliche Indigo nie mit dem natürlichen concurriren
können, wenn man die Zimmtsäure nur aus den oben erwähnten Specereien
erhalten könnte. Allein dieselbe läßt sich ihrerseits aus einem Bestandtheil
des Steinkohlentheers, dem Toluol, künstlich darstellen, sodaß nunmehr eine
greifbare Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß wir dereinst den Indigofarbstoff
ebenso wie den gleichgeschätzten Krappfarbstoff und die blendenden
Analinfarben aus dem Abfalle der Leuchtgasfabriken gewinnen werden.
Es ist herzerfreuend, daß alle diese wichtigen Entdeckungen von deutschen
Chemikern theils angebahnt, theils wirklich gemacht worden sind.
Die Entdeckung der Anilinfarben dankt man bekanntlich mittelbar Professor
A. W. Hofmann in Berlin, die Darstellung des künstlichen Alizarins,
bei der es sich um viele Millionen Mark handelt, die früher in’s Ausland
gingen, den Berliner Chemikern Gräbe und Liebermann; hoffen wir
nun, daß der dem Professor Baeyer in München gelungene große Wurf
sich volkswirthschaftlich ebenso wichtig erweisen möge, wie die Darstellung
des künstlichen Alizarins! Vorläufig handelt es sich nur um vertrauenerweckende
Aussichten.
Bärentreiber in den Karpathen. (Mit Abbildung, S. 173.) Eine
Dorfscene in den nördlichen Abhängen der Karpathen, in dem Heimathlande
der Rastelbinder und Bärentreiber, wird dem Leser durch unser
heutiges Bild vorgeführt. Das Eintreffen eines Bärenführers bildet in
jener Gegend, wo sonst wenig Neues zu sehen ist, etwa dasselbe „Ereigniß“,
wie der Einzug fahrender Musikanten in einem abgelegenen
deutschen Gebirgsdorfe. Alt und Jung strömt herbei, um die Kunstproductionen
des abgerichteten Petz zu sehen. Der Thierbändiger macht
in kluger Berechnung vor der Dorfschenke Halt, und schmunzelnd erscheint
der Jude in der Thür des Wirthshauses, da auch die Petze für seinen
Schnaps eine gute Kundschaft abgeben. Auch die Zigeunermutter hat sich
mit ihrem Esel, auf dem eines ihrer Kinder die Pfeife raucht, eingefunden.
Abergläubische Mütter führen der Gauklerin ihre Kleinen zu, und das
Geschäft der Prophezeiungen scheint schon im vollen Gange zu sein; denn
die gerührte Bäuerin läßt ihr Kind der Prophetin den Zoll der Dummheit
zahlen. An dem primitiven Brunnen hat sich eine Gruppe von
Mädchen und Kindern gesammelt, während im Hintergründe nach vollbrachtem
Tagewerk die Schnitter Heimkehren und sich um den Bärentreiber
drängen. – Freilich werden auch in den Karpathen solche Scenen immer
seltener; die ehrbaren Zünfte der Rastelbinder und Bärentreiber stehen
auf dem Aussterbe-Etat, da der eiserne Topf das irdene Geschirr aus
unsern Küchen verdrängt und die zoologischen Gärten und Menagerien den
Bärenführern arge Concurrenz machen. Bei diesem Umschwung werden
die Karpathenbewohner nur gewinnen; die am Fuße des Gebirges reichlich
fließenden Petroleumquellen, die neuentstehenden mineralischen Bäder und
klimatischen Curorte und die emporblühende Viehzucht werden auch diesem
Volke zum Wohlstand verhelfen, während jetzt aus seinen Hütten und
Kleidern, wie es der Maler trefflich geschildert, noch Verlassenheit
und Armuth schauen.
Kleiner Briefkasten.
A. B. in Berlin und W. in Nürnberg. Spottmünzen. Wir bedauern sehr, Ihnen den Verkauf der in Ihrem Besitz befindlichen Lutherischen Spottmünzen nicht vermitteln zu können. Wenden Sie sich an einen Antiquitätenhändler!
T., K. in C. Das Wiederimpfen Erwachsener ist ein Schutz gegen die Blattern, und nach deutschem Reichsgesetz müssen alle Kinder im zwölften Lebensjahre revaccinirt werden. Erwachsene thun gut, sich bei jeder ausbrechenden Pocken-Epidemie auf’s Neue impfen zu lassen.
A. L. in London. Wir haben oft genug erklärt, daß die „Allgemeinen Anzeigen zur ,Gartenlaube’“ in einem nur äußerlichen Zusammenhange mit unserem Blatt stehen und daß wir eine Verantwortung für den Inhalt derselben nicht übernehmen können.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_184.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)