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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Nachdem er 1867 bereits das Vierteljahrhundert-Jubiläum seiner Dienstzeit als Capellmeister begangen und in demselben Jahre das fünfundzwanzigjährige Bestehen der Symphonie-Concerte durch seine trefflichen fünfundzwanzig Orchestervariationen über ein Originalthema gefeiert hat, ist es ihm vergönnt, in diesem Jahre nunmehr auch dem Gedenktage seiner fünfzigjährigen Wirksamkeit als Leiter der Hofconcerte entgegenzusehen.

Seit dem Jahre 1875 bekleidet Taubert die Stellung eines Vorsitzenden der musikalischen Section des Senats der Akademie der Künste, welcher er überdies als Lehrer der Composition angehört. Für das Jahr 1880 bis 1881 hat ihn die Akademie zu ihrem Vicepräsidenten erwählt, ein Amt, das vor ihm noch kein Musiker verwaltet hat.

Unter den Werken Taubert’s, die seit 1869 entstanden, ist neben vielen neuen Compositionen für Clavier und zahlreichen Lieder- und andern Schöpfungen besonders die Musik zu dem Drama „Phädra“ des Prinzen Georg, vor Allem aber des Meisters reifste und gediegenste Schöpfung, seine Oper „Cesario“, zu erwähnen, welche am 13. November 1874 ihre erste Aufführung erlebte. Der Text, den der Sohn des Componisten verfaßt hat, ist frei nach dem Shakespeare’schen Stücke „Was ihr wollt“ gedichtet.

In diesem Werke strömt der Quell der melodischen Erfindung Taubert’s noch einmal in voller, jugendlicher Kraft, und die Fehler des Werkes sind nicht die der Armuth, sondern die des Reichthums. Festhaltend an den geschlossenen Formen der classischen Oper, die er mit neuem, warmblütigem Leben durchdringt, hat der Meister hier eine Tondichtung geschaffen, welche ebenso durch die feinsinnige Charakteristik der Träger der Handlung, wie durch die Innigkeit und Leidenschaftlichkeit der Empfindung einen bleibenden Werth beanspruchen darf. Träumerische Anmuth der Liebesweisen, verbunden mit einer zauberischen Melancholie der Sehnsucht, liebenswürdiger Humor und anmuthige Heiterkeit wechseln in den Melodieen mit einander, und das mit reifster Kunst behandelte Orchester wird mit seinen vielfachen, seinen Wendungen gleichsam zu einem geistvoll erläuternden Mitspieler auf der Bühne. Die Finale des ersten und dritten Actes sind von hinreißender Wirkung.

So blickt der verehrte Meister auf ein langes, an Erfolgen reiches Leben zurück. Zweihundert im Druck erschienene Werke verschiedener Gattung sind das Denkmal seines echt künstlerischen Strebens. Wem das Spiel der Töne so heiliger Ernst gewesen, wie ihm, der hat nicht umsonst gelebt und gestrebt.




Drei Großthaten der Humanität.
Ein Blick in die Technik der heutigen Chirurgie.

Im Laufe der Zeit vollziehen sich Aenderungen nicht allein in Bezug auf die gegenseitige Rangstellung der Völker und der einzelnen Menschen, sondern auch in Bezug auf die Theile und Zweige der Wissenschaft. Stand z. B. im Mittelalter, ja bis in’s vorige Jahrhundert hinein die Theologie noch überall an der Spitze der Wissenschaften, so nimmt sie heute nur höchstens noch in den Vorlesungsverzeichnissen der Hochschulen diesen Rang ein, in Wirklichkeit aber stehen die Naturwissenschaften, obwohl ihr wissenschaftliches Dasein erst zwei Jahrhunderte zurückreicht, gegenwärtig an erster Stelle, gleichwie im achtzehnten die Philosophie und die schönen Wissenschaften.

In Folge solchen Wechsels der Werthschätzung galt in der Arzneiwissenschaft noch vor hundert, ja vor siebenzig Jahren die Chirurgie als der inneren Medicin nicht ebenbürtig, und auch die Vertreter der letzteren dünkten sich über die Wundärzte weit erhaben. Hatte doch der Freiburger Professor Mederer noch gegen Emde des vorigen Jahrhunderts einen Studentencrawall, bei dem er fast in Lebensgefahr gerathen, hervorgerufen einfach deshalb, weil er in seinen Vorlesungen die Gleichwerthigkeit der Chirurgie und inneren Medicin verteidigte und für deren Vereinigung sprach. Heute verkündet der oberste Reichsbeamte vom Bundesrathstische aus:

„Unsere Chirurgie hat seit 2000 Jahren glänzende Fortschritte gemacht; die eigentliche Wissenschaft in Bezug auf die inneren Verhältnisse des Körpers, in die das menschliche Auge nicht hineinsehen kann, hat keine gemacht – wir stehen noch denselben Räthseln gegenüber, wie früher.“

Ein derartiges Zeugniß für die Ueberlegenheit der Chirurgie, deren Vertreter noch im sechszehnten Jahrhundert durch Papst- und Kaisergesetz für „unehrlich“ erklärt wurden, wäre bis vor achtzig Jahren wahrscheinlich belacht und verketzert worden – heute müssen Alle dessen Berechtigung im Großen und Ganzen zugestehen: die Letzte ist nunmehr zur Ersten geworden.

Aber auch in anderer Richtung hat sich ein Wechsel vollzogen. In den verflossenen Jahrhunderten waren Lehre und Praxis der Chirurgie noch ganz und gar volksthümlich: war doch sogar die Sprache der Chirurgie seit dem sechszehnten Jahrhundert fast in allen Ländern die des Volkes, im Gegensatze zur inneren Medicin, die überall in der gravitätischen lateinischen Toga einherstolzirte und dadurch vom Volke sich abschloß. Heute scheint die letztere ganz „populär“ zu werden – und als Hygiene hat sie, wie Pettenkofer in diesem Blatte (vergleiche Jahrgang 1878, Nr. 20) darthat, sogar die Pflicht, es zu werden –, wogegen die emporgekommene Chirurgie sich sozusagen aristokratisch gebärdet, das heißt sich der Kenntniß des Volkes entzieht.

Läßt die Chirurgie sich nun auch in der That nicht popularisiren, so lassen sich doch wenigstens die großartigen Leistungen und Errungenschaften, welche sie in unserem Jahrhundert zu verzeichnen hat, dem Verständnisse des Volkes nahe legen; denn es handelt sich in ihr nicht, wie in der inneren Medicin, um allzu häufig wechselnde Theorien und augenblicklich gepriesene Richtungen der Behandlung, sondern hauptsächlich um bleibende wirkliche Fortschritte, die Jedermann begreifen kann.

Diese nun sind neuerdings wesentlich englisch-amerikanischen und deutschen Ursprungs; die Franzosen, denen man früher ganz besonders chirurgische Befähigung zuschrieb, blieben dagegen, wie sie selbst zum Theil zugestehen, seit Jahrzehnten in der Chirurgie zurück. Zu Grundpfeilern dieser Fortschritte, welche vorzugsweise seit dem dritten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts zu Tage treten, sind drei Erfindungen geworden, welche man in Wahrheit als Großthaten der Humanität preisen darf. Diese drei Großthaten haben die Thätigkeit des Chirurgen so wesentlich umgestaltet, daß es uns heute fast mythisch klingt, wenn der berühmte Operateur Dieffenbach noch vor dreißig Jahren schrieb: „Es bebt der fühlende Mensch wohl bei dem Gedanken zusammen, das Messer in eines Menschen Fleisch einzusenken, und das mit kaltem Blute, das Messer hin und her zu bewegen, noch tiefer zu schneiden, mitten unter dem Angstruf des zu Verstümmelnden und dabei zu denken und zu fühlen! Die operative Chirurgie ist ein blutiger Kampf mit der Krankheit um das Leben, ein Kampf auf Leben und Tod.“

Tritt man heute in einen Operationssaal, so sieht man diese geist- und nervenerschütternden Bilder gottlob! nicht mehr: der Angstruf des zu Verstümmelnden ist verstummt; der Blutregen hat aufgehört und auch die Aussichten beim späteren Kampfe um das Leben mit dem Tode sind ganz wesentlich günstigere geworden.

Die drei Erfindungen, welche das zuwege gebracht, sind: die Anästhesirung (Gefühlsberaubung), die künstliche Blutsparung und der antiseptische (fäulnißverhütende) Verband. Mittel und Ausführung der ersteren sind bekannt, nicht so die Geschichte derselben und die Schicksale ihrer Entdecker.

So lange es chirurgische Operationen giebt, war es das Bestreben der Aerzte, Eingriffe mit dem Messer schmerzlos zu vollbringen. Die Chinesen gaben den zu operirenden Kranken Mandragora, die betäubende Alraunwurzel, und auch im Mittelalter ließen europäische Wundärzte Abkochungen aus dieser und Opium, Schierling, Huflattig, Epheu und Essig mittelst eines Schwammes einathmen. Später gab man innerlich Opium allein in großen Gaben, ohne jedoch den Zweck völlig zu erreichen. Im Anfange dieses Jahrhunderts aber entdeckte der große, aus dem Stande der Barbiere, der früher gar manchen berühmten Mann erzeugte, hervorgegangene englische Chemiker Humphry Davy die betäubende Wirkung des Lustgases, und damit begann die Verwirklichung jener uralten Bestrebungen. Vorerst mußten freilich noch mehrere Jahrzehnte vergehen, ehe die Entdeckung fruchtbar ward.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_191.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)