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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Wo is er denn hingangen?

„In’s Pendlwaldl, nachschau’n, wie sich der neue Knecht anstellt.“

„Habt’s ein’ neuen Knecht?“

„Ja, statt’n Hiesl. Kennst ’n ah … den Teichbauer-Toni.“

Der Bachschneider-Loisl blies eine dicke Wolke aus seiner Pfeife. „Is der wieder da?“ fragte er dann gedehnt.

„Seit gestern auf d’ Nacht.“

„Und bei Euch in Dienst?“

„Seit heut in der Fruh.“

Wieder hüllte sich der junge Bauer in eine Rauchwolke.

Die alte Frau hustete.

„Wie Du wieder dampfst!“ brummte sie und wehrte ärgerlich dem Rauche. Der Bachschneider-Loisl schien sie nicht zu hören. Er paffte weiter und sagte dann langsam:

„Und – d’ Feuerliesl, was sagt denn die zu dem neuen Knecht?“

„Meinst leicht z’weg’n den Nam’, den er ihr aufbracht hat? Geh, das san Kinderg’schichten; sie denkt nimmer d’ran. Der Toni is recht zum bedauern, daß er in Dienst geh’n muß. Wär’ wohl a lieber a Bauer wie Du, als a armer Knecht.“

„Glaub’s wohl!“ lachte Loisl plump und betrachtete wohlgefällig die schwere silberne Kette, die an seiner Weste baumelte.

„’S kann halt net Jeder a Bauer sein,“ meinte er dann.

„Und wann Dir Dei Vater selig statt’n Bachschneiderhof nur Schuld’n z’ruckg’lass’n hätt’, wärst Du halt a Kauer,“ erwiderte die Alte ungeduldig, stand auf und ging in’s Haus.

Als sie zurückkam, war die Bank leer, der Loisl verschwunden.

Sie schüttelte den Kopf.

„Der eifert a mit an Jed’n,“ brummte sie, lugte noch einmal nach allen Richtungen scharf aus und ging dann wieder in’s Haus zurück, um mit den Mägden zu zanken.

Der junge Bauer schritt unterdessen den schmalen Weg hinan, der dem Bösenbachufer entlang zum Pendlwalde führt. Wollte er dem Himmelbauer begegnen? Oder der Liest? Oder dem Toni? Er hatte die Richtung eingeschlagen, ohne recht zu wissen weshalb. Der Weg führt zuerst sachte bergan, dann eine Weile eben fort und zuletzt, immer dem hurtig herabschießenden Bache entgegen, ziemlich steil über Steine und Geröll in den hochgelegenen Wald hinauf. Dort am Saume des Gehölzes begegnete Loisl dem Himmelbauer, der vom Pendlwalde in’s Dorf niederstieg.

„No, wo steigst denn Du heut no hin?“ fragte dieser erstaunt, als ihn der Gruß Loisl’s aus seinen Gedanken aufscheuchte.

„I – i will a Bissel ausschau’n, wie d’ Witterung morg’n wird,“ erwiderte Loisl stockend und wollte weiter steigen.

Der Alte aber hielt ihn zurück. „Was is denn?“ fragte er überrascht, „kommst heut gar net zu uns?“

„War schon bei Euch,“ war die lakonische Antwort.

„Aha! Habt’s Euch g’stritten, Du und d’ Liesl?“

„O na. D’ Liest is gar net daham.“

„Net daham? Und wo wär’s denn nachher?“

„I waß net. Bist ja Du der Vater,“ erwiderte der junge Bauer trocken und schritt weiter.

Der Himmelbauer sah ihm verdutzt nach und schüttelte mißmuthig den grauen Kopf.

„He! Du, Loisl!“ rief er dem rasch Hinansteigenden nach. „Schaust beim Hamgeh’n no amal ’nein bei uns?“

Der junge Bauer hörte ihn aber nicht mehr oder wollte ihn nicht hören; er hatte eben die Höhe erreicht und trat in den Schatten des dichteren Waldes.

Der Himmelbauer wartete noch eine Weile vergeblich auf Antwort; dann brummte er ärgerlich: „Lauf zu, Grasteufel!“ und setzte langsam den Abstieg in’s Dorf fort.

Der Bachschneider-Loisl verfolgte unterdessen, weit ausschreitend, den stillen Waldweg. Der Abend war vollends hereingebrochen und hatte das Dunkel des Waldes schier undurchdringlich gemacht. Nur aus der Ferne schimmerte dem einsamen Wanderer ein Heller Punkt entgegen; das war die Lichtung, die den tiefer gelegenen Gemeindewald vom Gipfel der Anhöhe, dem Pendlwalde, trennte. Nach einer Weile kamen dein Loisl schwere Tritte entgegen; der rothe Peter kehrte mit zwei anderen Knechten des Himmelbauers von der Arbeit heim. Loisl hielt sie an – der Teichbauer-Toni war nicht unter ihnen. Der junge Bauer wollte fragen, wo der Toni geblieben sei, aber ehe er sich noch recht zu der Frage entschlossen hatte, waren die Leute, welche sich nach der schweren Arbeit des Tages heimsehnten, längst seinen Blicken entschwunden.

So schritt er denn weiter. Der helle Punkt vor ihm kam immer näher und näher, ward immer größer und größer; nun sah Loisl auch schon die Lichtung vor sich liegen, wo nur hier und dort ein paar vereinzelte Stämme Wache standen und die dürren Aeste wie drohend in den Abendhimmel streckten.

Aus dem Bösenbachthale, über das sich leichte wogende Nebelschleier gelagert hatten, lugte die Kirchthurmspitze des Dorfes herauf. Einige verstreute Gehöfte waren drunten noch sichtbar, drüben die Mühle, die zum Himmelbauerhof gehörte, und am obern Ende des Dorfes der Teichbauerhof.

Loisl sah eine Weile gleichgültigen Blickes in sein Heimaththal hinab; dann schaute er um sich. Lehnte dort an der alten Fichte, die durch ein „Marterl“[1] weithin kenntlich war, nicht der Teichbauer-Toni? Gewiß, er war’s. Die Axt neben ihm und die Soldatenmütze, die er, wie ein Betender in der Kirche, abgenommen hatte, verriethen ihn.

Der Bachschneider-Loisl trat, die Fichte fest im Auge behaltend, vorsichtig in den schützenden Schatten des Waldes zurück; da rührte sich etwas wenige Schritte von ihm entfernt. Er sah hin – die Himmelbauer Liesl saß auf einem Baumstrunk und blickte, gleich dem Toni drüben, nachdenklich in das Thal hinab. Sie hatte den Kopf in die Hand gestützt und schien weder den Toni noch den Loisl zu bemerken. Was wollte sie hier?

„Z’weg’n der Aussicht wird’s net auffa kraxelt (gestiegen) sein,“ dachte Loisl und blieb unschlüssig stehen.

Jetzt setzte der Toni drüben hastig die Mütze auf, warf die Axt über und schritt auf den Waldweg zu. Loisl hatte stehen bleiben und die Begegnung der Beiden belauschen wollen, aber nun überlegte er’s in aller Hast. Der Toni sollte ihn und die Liesl hier beisammen finden – das schien ihm nun besser. Hastig trat er aus dem Schatten hervor und rief die Liesl an. Die Dirne erschrak heftig und sah ihn groß an.

„Du bist’s,“ sagte sie dann gedehnt und stand langsam auf.

„Hast leicht wem Andern d’rwart’?“ meinte er lauernd, indeß er neben ihr her dem Walde zuschritt.

„Wem denn?“ fragte sie abweisend zurück.

Er schwieg. Da kam auch schon der Teichbauer-Toni, der eiliger ausschritt, an ihnen vorüber. Ihr schoß das Blut in die Wangen, als sie einen Augenblick stille stand, um den Toni vorbei zu lassen, der Beide mit einem flüchtigen Blick streifte und mit ruhigem Gruße weiterging. Ehe sie den Gruß noch erwidern konnte, rief ihr Begleiter schon laut:

„Schau, meiner Seel’, das is ja der Teichbauer-Toni. No, kennst mi wohl nimmer? I bin der Bachschneider-Loisl.“

Das klang so freundlich, daß Toni überrascht stehen blieb und sich zurück wandte.

„Grüß Gott, no amal!“ sagte er warm und streckte dem jungen Bauer herzlich die Hand entgegen. Dieser ließ seine Hand langsam in der Tasche verschwinden und sagte plötzlich hochmüthig:

„Scho recht! Schau nur, daß D’ jetzt ham kommst, Toni! Der Himmelbauer wird scho wild sein z’weg’n Dein’ langen Ausbleiben. Jetzt B’hüt Gott!“

Auch der Teichbauer-Toni ließ seine Hand langsam sinken, aber sie hatte sich zur Faust geballt. Er trat hart an Loisl heran – da fiel sein Blick auf das einsame Teichbauerhaus unten im Thale, aus dessen Fenster ein Licht empor schimmerte. Die alte gramgebeugte Mutter, die dort kümmerlich hauste, die hülflosen Brüder, für die er ja sorgen mußte, standen mit einmal vor seiner Seele.

Er sah dem Hochmüthigen ernst in die Augen, so fest und ernst, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurücktrat; dann wandte er sich schweigend ab und schritt langsam seines Weges, bald in den Schatten des Waldes untertauchend.

Auf dem Heimwege wechselten Liesl und ihr Bräutigam kein Wort, und als sie vor dem Himmelbauerhofe angelangt waren, streckte ihr Loisl die Hand zum Abschiede entgegen. „Schlaf g’sund!“ sagte er. Sie fuhr wie aus einem Traume auf, sah erst ihn, dann seine ausgestreckte Hand mit großen Augen schier feindselig an und ging dann langsam, ohne seinen Gruß zu erwidern, in’s Haus.

Loisl stand eine Weile sprachlos vor der schallend in’s Schloß fallenden Thür und glotzte der Dirne verdutzt nach. Dann ballte er die vergeblich ausgestreckte Hand zur Faust, murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen und verschwand endlich langsam im Dunkel der Nacht.

  1. Bild aus der Leidensgeschichte Jesu.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_199.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)