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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

seine Weise, untertags müßig in der Stube zu stehen. Was beschäftigte ihn?

Liesl ging auf ihn zu und sagte ihm gerade heraus, wie es ihre Art war, von wo sie komme und was sie gethan habe. Zu ihrem freudigen Erstaunen war der Vater weniger aufgebracht, als sie erwartet hatte. Er schalt sie zwar, weil sie den Schritt vorschnell und ohne seine Einwilligung gethan hatte, allein er nahm das Geschehene doch hin, ohne darüber sonderlich erzürnt zu sein.

„Wir hätten ewig net zu einand’ g’paßt,“ sagte Liesl und sah ihm treuherzig in die Augen.

Der Himmelbauer schwieg eine Weile, dann meinte er: „So hat’s do was Ernstlich’s geben zwischen Euch?“

„Ja, Vater, i – i hab’ an Andern gern.“

„An Andern?!“

„Ja, Vater. Und so gern, so närrisch gern, daß i den kriegen muß, oder ...“

„Oder? He he! Was wär’ denn das wieder für a neue Red’? An Andern! Und das so g’schwind, wie ’s D’ an Krug leerst und wieder anfüllst! Geh, Du dumm’s Dirndl! Du weißt ja selber net, was D’ willst.“

„I man’, Vater, jetzt waß i’s.“ Sie schmiegte sich zärtlich an ihn, ergriff seine Hand und drückte sie an ihr Herz. „G’spürst Du ’s schlag’n, Vater?“ fragte sie. Dann hing sie sich an seinen Hals und küßte ihn trotz seiner verdrießlichen Abwehr.

„Er is zwar nur a armer Bub’ – er!“ flüsterte sie, „aber ...“

„So! Das a no!“ grämelte der Alte. „A armer Bub, dem mei Hof und mei Dirn’ g’rad recht wär’n – ’so zum Mitnehmen!“

„Seid’s Ihr net der reiche Himmelbauer,“ redete Liesl drein, „der sein’ anziges Kind dem Mann geb’n kann, der ’s glückli macht? Und ward’s Ihr nit selber a armer Knecht, wie Ihr d’ Mutter selig g’heirath’ habt’s, die do a das anzige Kind vom Himmelbauerhof war, grad als wie i?“

Der Himmelbauer zuckte bei diesen Worten zusammen.

„Red’ net davon!“ sagte er barsch und wandte sein Gesicht ab. „Das g’hört net daher.“

„Das g’hört doch daher,“ meinte Liesl. „O, die Veronika hat mir’s oft g’nug verzählt, wie selig Ihr mit der Mutter ward’s und die Mutter mit Euch, weil Ihr Euch gern g’habt habt’s, und weil nur die wahre, die echte Lieb’ die Menschen glücklich und herzensgut mach’n kann.“

Der Himmelbauer schwieg und sah wieder zu der Hügelhöhe empor, von welcher die Tannenwipfel des Pendlwaldes herabgrüßten. Dann sagte er milder: „Und wer is denn der ,Andere‘, der Di so völli närrisch g’macht hat?“

Liesl trat zu ihm in’s Fenster und wollte eben den Namen des Geliebten aussprechen; da bog dieser selbst, den Waldweg herabhastend, in die Dorfstraße ein. Sein jüngster Bruder, der Sepp, sprang athemlos hinter ihm her.

„Verzeiht’s, Bauer,“ keuchte der Toni, „daß i von der Arbeit wegg’laufen bin, aber d’Mutter liegt z’Haus – sie is von der Himmelsleiterwand ’runter g’stürzt...“

„ .. und is todt,“ heulte der kleine Sepp im Weiterlaufen dazwischen. „Und der Pfarrer is kommen und der Bader .... aber sie is todt - sie is todt.“

Und fort waren die Beiden.

Der Himmelbauer stand wie betäubt. Er war bleich geworden bis in die Lippen und murmelte tonlos: „Todt! ... todt! ...“

Er streckte die Hände tastend nach seiner Tochter aus, aber auch diese war verschwunden – dort flog sie um die Ecke der Dorfstraße, dem Teichbauerhause zu.

Der Himmelbauer war allein. Er starrte stier vor sich hin, wischte die schweren Schweißperlen von der Stirn und wiederholte dabei sein tonloses: „Todt! ... todt! ...“

Die Veronika kam herein und erzählte ihm, daß die Teichbäuerin am Morgen auf die Himmelsleiterwand gestiegen sei, um Kräuter zu suchen für einen Brustthee, weil ihr in der Nacht gar so schwer und ängstlich gewesen war. Oben war sie dann wahrscheinlich ausgeglitten und tief hinab in den Bösengraben gestürzt, aus dem die Leute sie erst vor einer Stunde todt herausgebracht hatten. Nun liege sie im Teichbäuerhause auf ihrem Bette, und der Toni sei schier wahnsinnig vor Schmerz. Es sei ein Anblick zum Erbarmen, fügte sie hinzu – und schluchzte laut auf.

Der Himmelbauer antwortete nichts; er hörte sie wohl kaum.

Nach einer Weile verließ er langsam die Stube, trat vor das Haus und schritt sachte die Straße hinab, scheinbar ziellos.

So kam er an das Teichbauerhaus. Er biß sich in die Lippen, krampfte die Hände zusammen und ging weiter, hastig, fast als ob er fliehe. Dann – seltsam! – kehrte er wieder um und ging denselben Weg zurück, langsam und mit Widerstreben, wie gegen seinen Willen, aber auch wie von einer stärkeren Hand getrieben. So kam er wieder an das Teichbauerhaus, und wieder wollte er daran vorübergehen, aber er vermochte es nicht – noch wenige Schritte und schon stand er mitten in der Stube, und vor ihm lag, auf ihr ärmliches Lager hingestreckt, die todte Teichbäuerin. Die Arme um ihren Hals geschlungen, das Gesicht an ihrem kalten, stillen Herzen, kniete Toni an ihrem Bette; die jüngeren Brüder standen mit bestürzten Gesichtern umher und wagten kaum zu athmen.

Der Himmelbauer wandte sich schaudernd ab, als er die bleichen finsteren Züge der Teichbäuerin erblickte, deren Ernst der Tod nicht gemildert hatte; da rührte es sich in der dunklen Ecke zu Häupten des Bettes; einem Schatten gleich glitt Liesl daraus hervor, beugte sich über die Todte und drückte einen Kuß auf ihre blassen Lippen.

„Mutter von mein’ Toni!“ sagte sie bebend, „i schwör Dir’s in Dein’ letzten Schlaf, daß i treu bei Dein’ Toni ausharr’n und ihn lieb hab’n will, so lieb – daß Du uns segnen wirst, dort dröb’n im Himmel.“

Toni hob mühselig den Kopf und blickte dankbar in die feuchten Augen Liesl’s. „Vergelt’s Dir Gott, Liesl!“ flüsterte er; ihre Hände fanden sich in einem innigen Drucke, und sein Kopf fiel wieder kraftlos auf die Leiche der Mutter herab. Der Himmelbauer hatte Alles gesehen und gehört.

„Jessas und Maria, Liesl!“ schrie er auf.

Die Dirne erhob sich langsam, und Toni’s Hand festhaltend sagte sie: „Ja, Vater, i hab’ dem Toni Lieb’ und Treu zug’schwor’n an der Leich’ von seiner armen Mutter. Der Toni is der, von dem i Euch heut g’sagt hab’ …“

„Liesl!“ wiederholte der Himmelbauer und wollte auf sie zutreten, aber der Anblick der Todten hemmte seinen Fuß. „Komm’ jetzt z’Haus!!“ sagte erbebend, sich abwendend. – „Komm’!–“




6.

Als der Himmelbauer aus dem Todtenhause wieder in’s Freie trat, athmete er tief auf. Dann schritt er heimwärts, doch vor dem Thore seines Hofes zögerte er einzutreten, schlug sich vor die Stirn und ging hastig, das Dorf auf einem Feldwege umkreisend, auf den Bachschneiderhof zu. Er trat in denselben ein und verweilte dort fast eine Stunde. Als er, von Loisl bis auf die Straße begleitet, wieder heraustrat, war seine Miene erhellt, sein Gang wieder sicher geworden. Mit einem fast fröhlichen „B’hüt Gott!“ verabschiedete er sich und ging nun langsam und würdevoll, wie es sonst stets seine Art war, mitten durch’s Dorf nach Hause.

Wer ihm begegnete, Jung und Alt, grüßte respektvoll; nun wußte er, wie der unheilvollen Verirrung seiner Tochter zu begegnen war. Der Toni mußte fort, weit und auf lange Zeit, mochte es kosten was es wollte. Inzwischen mußte Liesl Bäuerin auf dem Bachschneiderhofe geworden sein und die Narrheit mit dem Toni längst vergessen haben, wenn dieser in’s Dorf zurückkehren sollte. „Und wenn einst –“ sagte er zu sich selbst. Er fuhr sich mit der Hand über die heiße Stirn – die Märzsonne brannte ja recht empfindlich herab.

„Ah bah!“ fuhr er fort, „bis zu diesem Einst is wohl no lange, recht lange hin, und dann is ja immer no Zeit, Alles aufz’klär’n und alt Unrecht wieder gut z’ mach’n. Für den Toni will ja sorgen und ihn g’wiß net vergessen, wenn einst –“ dieses unselige „Einst“ wollte ihm heute durchaus nicht aus dem Kopfe – die Märzsonne stach aber auch wirklich ganz unerträglich.

Den ganzen Tag über kam Liesl nicht heim; der Himmelbauer schien es gar nicht zu bemerken. Eine ängstliche Frage der alten Veronika beantwortete er nur mit einem Achselzucken und meinte dann gleichgültig: „Wird scho hamkommen.“

Gegen Abend kam sie auch wirklich heim, blaß, abgehärmt, zum Tode ermüdet, und doch mit dem feuchtverklärten Blicke der

Glücklichen. Sie wollte ungesehen und unbemerkt in ihre Dachkammer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_202.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)