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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 13.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Schluß.)

Der Amtmann stand in der Wohnstube und öffnete eben ein Fenster, um seine Pfeife auszuklopfen. Er bemerkte das junge Mädchen nicht, wohl aber den schräg herüberkommenden Gutsherrn.

„Herr, da sind Sie ja, und heil und ganz, wie ich sehe,“ rief er hinaus. „Allons, dann schnell herein! Meine Frau hat sich schwer um Ihr Leben gesorgt.“

„Na, Sannchen, bist Du nun zufrieden? Da siehst Du ihn nun selbst, unsern jungen Nachbarn, frisch und gesund, und noch dazu so blitzblank, wie aus dem Ei geschält,“ lachte er, als Herr Markus in die Stube trat. „Dachte mir’s doch; haben richtig noch ,Numero Sicher‘ erreicht und können sich gratuliren! Herr, war das ein Donnerwetter! Und unser Mädel kam nicht heim. Konnten wir denn wissen, daß sie derweil im Forstwärterhause gesteckt hatte? Trotzdem kam sie nachher ohne Hut, mit triefenden Haaren, und zitterte und bebte an allen Gliedern wie Espenlaub. Das ist sonst gar nicht ihre Art, müssen Sie wissen. Sie hat von ihrem Vater her Soldatenblut in den Adern, und an Courage fehlt’s ihr nicht, aber freilich so ein Gewitter im Walde ist kein Spaß.“

„Ich weiß es aus eigener Anschauung – ich war auch im Walde,“ sagte Herr Markus, der an das Bett getreten war, um die alte Frau zu begrüßen.

„Was der Tausend – wirklich? Ja, Herr, hat Sie denn der Satan geritten, daß Sie dem Ungewitter so schnurstracks in den Rachen gelaufen sind?“

„Ich habe Ihnen bei meinem Hiersein gesagt, daß ich eine Spur verfolge,“ antwortete der Gutsherr gelassen, „und da galt es, darauf loszugehen und nicht unter sicherem Dache zu warten, bis mir der Regen die Fußstapfen verwaschen hatte. Sie wissen, daß ich gegangen bin, Ihre entlassene Magd zu suchen.“

Die Hand der alten Frau, die er noch in der seinigen hielt, zuckte heftig zusammen.

„O, seien Sie ruhig!“ sagte er und sah der Kranken liebevoll, mit leuchtenden Augen in das erschrockene Gesicht. „Sie haben keinen Grund, sich zu ängstigen. Es war freilich ein mühevoller Weg für mich, und einen harten Strauß mußte ich auch erst ausfechten – aber ich habe das Mädchen gefunden.“

„,Gefunden‘!“ wiederholte der Amtmann stotternd mit gläsernem Blick und ließ die Rechte mit dem Pfeifenkopf wie gelähmt sinken. „Herr, wollen Sie uns zum Besten haben?“

„Liebster, was für ein Wort!“ klagte die Kranke mit bebender Stimme.

„Lassen Sie doch!“ beruhigte Herr Markus ernst lächelnd. „Die ,Komödie der Irrungen‘, in der ich eine Hauptrolle spielen mußte, ist zu Ende, und ich wäre wohl der Letzte, der sie weiter auszuspinnen wünschte. Es ist, wie ich sagte: ich habe das Mädchen gefunden. Sie kennen sie und haben sie lieb, und wissen doch vielleicht nicht, wie hervorstechend die Schönheit und der Adel ihrer Erscheinung ist: sonst würden Sie nicht der Meinung gewesen sein, die Magd im Arbeitskittel bleibe unbeachtet. Ich habe dem seltsamen Wesen nachgespürt, und da ich Thatkraft und Energie im Frauencharakter den vornehmen Gewohnheiten und Ansichten einer Weltdame bei weitem vorziehe und selbst ein Freund ehrlicher Arbeit bin, so hinderte mich nichts, mein Herz zu verlieren.“

Er wandte sich vom Bett der Kranken weg an den Amtmann, der sich an das eine Fenster zurückgezogen hatte und angelegentlich in den Hof hinaussah.

„Ich war in der That längst einig mit mir selbst, Ihre Magd zu meiner Frau zu machen, Herr Amtmann. Da wurde mir gesagt, sie sei plötzlich entlassen worden, und Sie selbst bestätigten ausdrücklich diese Thatsache. Nun werden Sie sich nicht mehr wundern, daß ich ,dem Ungewitter schnurstracks in den Rachen gelaufen bin‘, denn es galt, mein Lebensglück einzuholen. Und, wie gesagt, ich erhaschte es noch, freilich nicht als das, was ich geglaubt hatte – die Scene spielte sich ab wie im Märchen, wo sich im entscheidenden Augenblick der Held oder die Heldin verwandeln – es stellte sich nämlich heraus, daß auf dem Vorwerk die letzte Instanz ist, an die ich mich zu wenden habe, und deshalb bitte ich Sie hiermit pflichtschuldigst um die Hand meiner Agnes.“

„Das Teufelsmädel! So ein kleiner Sackermenter spielt einen völligen Roman hinter dem Rücken ihrer Alten, ohne daß man eine Ahnung hat,“ rief der Amtmann, seine grenzenlose Verlegenheit mühsam bekämpfend. „Aber Sie sollen sie haben, Herr Markus – Sie sollen sie haben. Du bist doch auch damit einverstanden, Sannchen?“

„Nur einverstanden, Liebster, Bester!“ stammelte die alte Frau tiefbewegt. „Auf den Knieen möchte ich dem lieben Gott danken für das Glück, das er unserem aufopfernden Kind beschert.“

Der Amtmann räusperte sich, öffnete die Stubenthür und rief mit schallender Stimme nach seiner Nichte, und gleich darauf flog sie die Treppe herab und kam herein, bräutlich lieblich im hellen Sommerkleide. Sie glitt am Bett der Kranken auf den Boden nieder und beugte das schöne Haupt unter den zitternden, welken Händen, die sich auf ihren Scheitel legten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_205.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)