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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

schließlich auch die der Landwirthe, und so bildete sich eine Macht, welcher die freihändlerische Richtung, in die der Zollverein seit dem Handelsverträge mit Frankreich eingelenkt hatte, mit der Zeit nicht widerstehen, konnte. Die Schutzzöllner und Agrarier boten bereitwillig dem Reichskanzler ihre Unterstützung für seine Finanzpläne an, wogegen sie die Aufnahme von Schutzzöllen auf Industrieproducte und auf Naturprodukte, also auch auf Lebensmittel, in die Reihe der zu erhöhenden Steuern verlangten.

So entstand, da auch das Centrum, theils aus Rücksicht auf seine großentheils industriellen Wählerschaften (in Rheinland, Westfalen, Schlesien), theils in der stillen Hoffnung auf Gegenconcessionen seitens des Reichskanzlers auf kirchenpolitischem Gebiete, in dieser Richtung mitging, eine Coalition zwischen diesem und den Conservativen für diesen bestimmten Zweck, eine vom höheren politischen Standpunkte aus allerdings unnatürliche Majorität, die aber doch, da eben augenblicklich die finanz- und handelspolitischen Fragen die Situation beherrschten, die nationalliberale Partei in die ihr ganz neue Lage einer Minoritätspartei versetzte.

Inzwischen war diese Lage der nationalliberalen Partei auch noch von anderer Seite her, wiederum nicht ohne deren Schuld, verschlimmert worden. Im Jahre 1878 fanden die beiden fluchwürdigen Attentate auf Kaiser Wilhelm statt. Sogleich nach dem ersten derselben legte die Regierung dem Reichstage ein Gesetz gegen die Socialdemokratie vor. Die Vorlage hatte große Mängel und konnte so, wie sie war, wohl kaum angenommen werden. Allein die Nationalliberalen, abweichend von ihrer vieljährigen Praxis, wonach sie immer unvollkommene Gesetze durch Verbesserung annehmbar zu machen wußten, verhielten sich diesmal rein ablehnend, und einzelne ihrer Redner, die man als Wortführer der Partei anzusehen gewohnt war, erklärten sich ziemlich entschieden überhaupt gegen jede Art von Ausnahmegesetzen in dieser Materie. Da erfolgte das zweite Attentat. Die Regierung, statt einen nochmaligen Versuch beim Reichstag zu machen, löste diesen auf und veranstaltete Neuwahlen.

Wie vorauszusehen, ergaben diese ein den Conservativen günstigeres Resultat, als früher; insbesondere erlitt der linke Flügel der Nationalliberalen starke Einbußen, aber auch die Partei im Ganzen sah sich in ihrem numerischen Bestände empfindlich geschwächt. Gleichzeitig dauerten die Schwankungen in ihrem Innern fort, da ein Theil ihrer Mitglieder mehr oder weniger schutzzöllnerischen Ansichten zuneigte, während der andere an den freihändlerischen Principien festhielt. Eine weitere Ursache des Conflictes bildete im preußischen Abgeordnetenhause die Kirchenfrage. Das sogenannte kirchenpolitische Gesetz, durch welches eine factische Milderung der Maigesetze in einzelnen Punkten – unter gewissen Bedingungen – ermöglicht werden sollte, fand bei der Schlußabstimmung die nationalliberale Partei in zwei nahezu gleiche Hälften getheilt. Schon vorher hatte bei Gelegenheit der Finanz- und Steuerfragen im Reichstage der Austritt einer Anzahl von Mitgliedern aus der nationalliberalen Partei nach rechtshin stattgefunden; unter ihnen befanden sich mehrere sehr namhafte Männer, wie Völk, Hölder, von Schauß, von Treitschke und Andere. Jetzt trat eine noch größere Zahl nach linkshin aus, die sogenannten „Secessionisten“ (siehe „Gartenlaube“, 1880, Nr. 48), sodaß die Zahl der Nationalliberalen nunmehr weniger als siebenzig beträgt, weit unter der Hälfte des Bestandes der Fraction in deren bester Zeit. Als ein Vortheil, den die Partei wahrscheinlich um den Preis dieser Trennung des „linken Flügels“ von: „rechten“ erlangt hat und der wenigstens in der letzten Session des preußischen Abgeordnetenhauses bereits sichtbar geworden ist, erscheint das festere Zusammenhalten der nicht mehr durch innere Spaltungen und Schwankungen hin- und hergeworfenen Partei.

Ob und wieweit die nächsten Neuwahlen zum Reichstage auch ihre numerische Stärke wieder erhöhen werden, bleibt abzuwarten. Das Programm, auf dem sie nach wie vor steht und das sie auch nicht fallen lassen darf, wenn sie nicht ihren Ursprung und ihre Vergangenheit verleugnen will, faßt sie dahin zusammen: trotz voller Unabhängigkeit doch die Regierung bei allen den Ausbau des Reiches und die zeitgemäße Entwickelung seiner Einrichtungen fördernden Maßregeln nach Kräften zu unterstützen, die Grundsätze wahrer Freiheit, wo solche in Frage gestellt sind, zu vertheidigen, aber, von planmäßiger Opposition fern, immer eine möglichst positive, praktische, schaffende Politik zu verfolgen.





Charles Darwin's neue Beobachtungen über das Bewegungsvermögen der Pflanzen.

Von Carus Sterne.

Die meisten unserer Leser werden einmal von dem sogenannten Barometz oder scythischen Lamm vernommen haben, welches der Sage nach ein Pflanzenthier sein sollte, das im Westen der Wolga aus einer Wurzel emporsprosse und dieselbe, am Stengel wie an einer Nabelschnur befestigt, immerwährend umkreise, um das Gras in ihrer Umgebung zu fressen, bis es, nachdem alles Erreichbare abgeweidet, vor Hunger dahinschwinde. Ein auf den Steppen des alten Scythenlandes vorkommendes Farnkraut, dessen Wurzelstock mit einem üppigen und allerdings herrlich anzuschauenden, seidenweichen und seidenglänzenden goldenen Vließe bedeckt ist, hatte den wundersüchtigen Reisenden des Mittelalters Anlaß zu diesem Mythus gegeben, der uns jetzt als ein poetisches Bild dienen kann von dem wirklichen Verhalten der Pflanzen, die uns Darwin als festgewachsene, aber gleich dem scythischen Lamm beständig um ihre Wurzel kreisende und mit den merkwürdigsten, wahrhaft thierisch erscheinenden Instinkten ausgerüstete Wesen schildert.

Schon längst war es bekannt, daß es eine Menge von Pflanzen giebt, die, als ob sie mit Sinnen und Gefühl begabt wären, bei jeder Berührung zusammenzucken, andere, die Fliegen und sonstige kleine Thiere waidgerecht mit Leimruthen und künstlichen Fallen fangen, und noch andere, die sich Tag und Nacht beständig bewegen, also Eigenthümlichkeiten zeigen, die man sonst für Vorrechte der thierischen Natur ansieht. Man wußte, daß sich die jungen Triebe der Schlingpflanzen, ganz ähnlich dem vorgeblichen scythischen Lamm, beständig wie der Zeiger einer Uhr im Kreise herumbewegen, bis sie eine Stütze finden, um die sie sich, zum freieren Luft- und Lichtgenuß, emporwinden können. Nachdem schon früher Hugo von Mohl und andere deutsche Botaniker Untersuchungen über die Bewegungen der Schlingpflanzen veröffentlicht hatten, wandte Charles Darwin im Anfange der sechsziger Jahre diesen merkwürdigen Erscheinungen seine Aufmerksamkeit zu und veröffentlichte im Jahre 1864 eine Arbeit über die Lebensgewohnheiten der kletternden Pflanzen, die uns mit zahlreichen neuen Thatsachen von großer Tragweite bekannt machte. Er zeigte darin, daß die überhängenden jungen Triebe der windenden Pflanzen sich mit ihrer Spitze unaufhörlich und mehr oder weniger schnell im Kreise nach allen Himmelsrichtungen wenden, und zwar je nach der Eigenart der Pflanze, entweder dem Laufe der Sonne folgend, oder in entgegengesetzter Richtung, also ganz gegen die sonstigen Gewohnheiten der Pflanzen von dem augenblicklichen Stande der Sonne wenig oder gar nicht beeinflußt. Bei einer zu den Asklepiadeen gehörigen Schlingpflanze, Ceropegia Gardneri, beschrieb die Spitze des Schößlings eines auf dem Arbeitstische Darwin’s aufgestellten Exemplares in fünf bis sechs Stunden, dem Sonnenlaufe entgegen fortrückend, einen Kreis von über sechszehn Fuß im Umfange, und es war ein interessantes Schauspiel, den langen Schoß zu beobachten, wie er,in der Stunde einen Raum von mehr als dreißig Zoll durchmessend, Tag und Nacht sich durch diesen großen Kreis schwang, vergeblich nach eurem Gegenstände suchend, um den er sich hätte emporwinden können.

Nach diesem Beispiele genügt es zu sagen, daß die Schößlinge anderer Schlingpflanzen sich je nach ihrer Eigenart in engern oder weitern Kreisen, schneller oder langsamer bewegen, um sich, wenn sie auf ihrem Wege einen nicht zu dicken Baumstamm oder eine andere Stütze finden, um dieselbe emporzuwinden, in demselben Sinne etwa, wie sich eine im Kreise geschwungene Peitschenschnur um einen Stamm windet.

Bei den rankentragenden Kletterpflanzen werden diese suchenden, im Kreise herumneigenden Bewegungen, welche Darwin der Kürze wegen mit dem bezeichnenden Fremdworte der Circumnutation bezeichnet, in ihrer die Stützen ergreifenden Thätigkeit noch wirksamer durch die Empfindlichkeit der Ranken gegen die

Berührung harter Körper unterstützt, sofern dieselben sofort beginnen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_228.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)