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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

ihrer Hülfe dann durch dickere Taue eine Brücke hergestellt, auf der die Schiffbrüchiger in einem Rettungskorbe an das Land befördert werden. Die im Spandauer Laboratorium gefertigter Raketen sind die bisher vollkommensten ihrer Art. Aber auch auf andere Weise, und zwar auf literarischem Gebiete, ist die Gesellschaft beständig bemüht, ihre segensreiche Thätigkeit zu erweitern.

Es ist leider häufig vorgekommen, daß Schiffsmannschaften, die sehr wohl gerettet werden konnten, lediglich aus dem Grunde umgekommen sind, weil sie – man sollte wohl sagen unbegreiflicher Weise – absolut nichts mit der ihnen vom Lande zugebrachten Hülfe anzufangen wußten und keine Kenntniß davon hatten, was sie z. B mit der über das Schiff geschossenen Raketenleine beginnen sollten. Um der Wiederkehr solcher und ähnlicher betrübender Fälle vorzubeugen, hat die Gesellschaft seit mehreren Jahren ein Büchlein zusammenstellen lassen, betitelt. „Seemann in Noth“, das gratis an alle deutsche Schiffe vertheilt wird. Dasselbe enthält in Kürze das Wissenswerthe über Rettungsgeräthe und die Rettung Ertrinkender, ferner ein Verzeichniß der deutschen Rettungstationen, sowie weitere Anweisungen über zweckmäßige Maßregeln in Fällen von Seenoth. Die in fünfter verbesserter Auflage erschienene Schrift ging in 20,000 Exemplaren in die Welt, und es kann nicht fehlen, daß ihre Verbreitung die besten Früchte tragen wird. Ebenso versendet der Verein in vierteljährlichen Lieferungen sein Organ „Von den Küsten und aus der See“, in dem alles auf das Rettungswesen Bezügliche behandelt wird, soweit es das große Publicum interessiren kann. Diese Hefte sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen und kosten jährlich l Mark 50 Pfennig.

Somit darf man sagen, daß die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger seit der Zeit ihres Bestehens unermüdlich und mit Erfolg bestrebt gewesen ist, dem schönen und hohen Ziele, das sie sich gesteckt, immer näher zu kommen Die von ihr geretteten 1200 Menschen sind ein sprechender Beweis dafür. Wohl ist der Gedanke an die Resultate erhebend, und wohl gebührt tausendfacher Dank Allen, welche ihr Scherflein dazu beigetragen haben, die Stationen in’s Leben zu rufen, aber noch ist lange nicht genug geschehen. Noch sind unsere deutschen Küsten nicht soweit mit Hülfsmitteln ausgerüstet, daß sie keiner weiteren bedürften; noch sind die vorhandenen nicht soweit vervollkommnet, wie dies möglich ist; noch stehen im Rettungswesen andere Länder uns voran – und das ist die Ursache, daß noch so mancher Schiffbrüchige, der gerettet werden konnte, sein Grab in der Tiefe fand.

Die 34.000 Mitglieder der Gesellschaft repräsentiren noch nicht den tausendsten Theil unserer Nation. Wäre die Betheiligung auch nur die doppelte, so würde sie hinreichen, in wenigen Jahren unser Rettungswesen auf die Stufe möglichster Vollkommenheit zu heben. Das menschenfreundliche Werk bedarf deshalb noch regerer Unterstützung als bisher. Das Interesse für dasselbe muß in immer weitere Kreise getragen und in ihnen lebendig erhalten werden – es muß eine wahrhaft volksthümliche, von allen Deutschen gehegte und gepflegte Institution werden.

Glücklicher Weise ist nicht Herzlosigkeit und Gleichgültigkeit der Binnnenländer daran schuld, daß die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger noch nicht in dem gewünschten Sinne eine Sache des gesammten deutschen Volkes geworden, wohl aber ist vielfach die Unbekannntschaft mit den einschlägigen Verhältnissen die Ursache dieses Mangels an allgemeiner Betheiligung an den Aufgaben der Gesellschaft, und die Presse erfüllt deshalb nur eine Pflicht, wenn sie die Kenntniß der letzteren zu verbreiten strebt. So sei auch heute, wie schon zu verschiedenen Malen in diesem Blatte[1], die Aufmerksamkeit der Leser auf eine der edelsten Errungenschaften gelenkt, welche das geeinte Deutschland aufzuweisen hat. Mögen diese Zeilen dazu beitragen, dem humanen Werke neue und werkthätige Sympathien zu erwecken die es in so hohem Grade verdient.

Wenn der Orkan durch die Gassen heult und die Gebäude in ihren Grundfesten erschüttert, wenn die Wolken am düstern Himmel dahinjagen und Regen und Schloßen herniederpeitschen - dann fühlt sich der Landbewohner behaglich und glücklich im warmen Zimmer und empfindet wohlthuend den Gegensatz zwischen dem Sturme da draußen und dem Frieden des Hauses. Möge er dann nicht vergessen, wie der Orkan die Meereswogen zu gigantischer Höhe thürmt, Schiffe entmastet und sie steuerlos der Küste zutreibt, über deren Riffe die Brandung sich brüllend wälzt und ihren Gischt himmelan sprüht! Möge er sich dann erinnern, für wie Viele seiner Mitmenschen sich in solchen Stürmen ein nasses Grab öffnet! Möge er aus dem Brausen des Windes stets die Mahnung heraus hören. „Gedenket Eurer Brüder zur See!“




Alexander der Zweite, der „Czar-Befreier“.

Das furchtbare Ereigniß der Ermordung des Kaisers von Rußland, Alexander’s des Zweiten, am 13. März d. J. hat in dem ganzen civilisirten Europa einen Schrei des Entsetzens und des Abscheus hervorgerufen. Alles, mit einziger Ausnahme jener Partei, welche die Anwendung von Gift und Dolch, von Petroleum und Dynamitbomben zu den unveräußerlichen Menschenrechten zählt und daher jede That der Zerstörung, wenn sie gelingt, verherrlicht, Alles wendet sich schaudernd ab von einer Denk- und Handlungsweise, deren verbrecherische Verruchtheit den ganzen Bestand der Gesellschaft untergräbt und nur von ihrer widerlichen, im Dunkel schleichenden Feigheit überboten wird.

Durch Meuchelmord ist noch niemals ein Volk wirklich frei, groß oder glücklich geworden. Die Dolchstöße, die Cäsar's Brust durchbohrten, haben die Freiheit Roms nicht gerettet. Der berühmte Tellschuß in die Brust des Tyrannen Geßler[2] hat die Waldstädte nicht von dem Joche der Vögte erlöst. das that das Rütli, das mannhafte Zusammenstehen einer ganzen Bevölkerung für ihre Freiheit; das thaten die Kämpfe bei Morgarten und Sempach und Arnold von Winkelried's opfermuthiger Heldentod. Sands blutige Verirrung hat an Deutschland, des Herzogs von Berry Ermordung durch Louvel’s Dolch an Frankreich der Reaction unschätzbare Dienste geleistet. Die Sache der Freiheit war in Italien 1848 von dem Augenblicke an verloren, wo der päpstliche Minister Rossi auf der Freitreppe des Palastes Cancellaria meuchlings getroffen hinsank.

Die Erhebung eines ganzen Volkes oder doch des größeren Theiles eines solchen, selbst wo sie zur gewaltsamen Revolution ausschlägt und „zum letzten Mittel, zum Schwerte“, greift, wird immer auf bestimmte Ziele gerichtet sein, über deren Berechtigung, auch wenn man das Mittel verwirft, sich mindestens streiten läßt: bei dem politischen Meuchelmorde ist in der Regel der Zweck ebenso verwerflich wie das Mittel, oft ist es ein Einzelner, höchstens ist es eine kleine Minorität, die ihren schlechten Leidenschaften, der Rache, dem Fanatismus oder einer maßlosen Verblendung, auf diesem Wege Befriedigung schaffen will.

Eine gute und gerechte Sache wendet sich an die öffentliche Meinung und sucht diese für sich zur gewinnen um so, wenn auch langsam, zu siegen eine schlechte flieht in das Dunkel des Geheimnisses, des Complots und greift zum Dolch oder zur Orsinibombe. Neben einzelnen politischen Meuchelmorden die im mißverstandenen Interesse der Freiheit vollzogen wurden, zählt die Geschichte ebenso viele oder noch mehrere auf, wo der Dolch des Mörders nicht blos gegen die Moral, sondern auch gegen den Fortschritt des Menschengeschlechts und der Cultur sich richtete. Der edle Befreier der Niederlande, Wilhelm von Oranien, fiel durch die Kugel eines fanatischen Mönchs; der gute und freisinnige Körnig Heinrich der Vierte vorn Frankreich verblutete unter Ravaillac’s Dolch, denn die Jesuiten geschliffen; Gustav der Dritte von Schweden ward das Opfer einer Verschwörung des Adels, dessen Uebermacht und Uebermuth er im Interesse des Landes gebrochen hatte.

Und Alexander der Zweite? Es heißt, er sei von den Nihilisten. ermordet worden, weil er seinem Reiche eine Verfassung vorenthalten. Aber war es wohl für ihn eine Ermuthigung, in seinem mit Eifer begonnenen Reformwerk fortzufahren, wenn eine der freisinnigsten und – in Anbetracht des Bildungsstandes Rußlands – vielleicht kühnsten seiner Reformen, die Einrichtung öffentlicher Gerichte mit Geschworenen, unter dem Drucke des Nihilismus zu solchen Ergebnissen führte, wie die Freisprechung der ihrer That offen geständigen Meuchelmörderin Sassulitsch?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_235.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)