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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Interesse haben. Bei der Aufstellung und dem Arrangement aller dieser Waffen wird ebenso wie die größtmögliche Bequemlichkeit für das Studium auch die decorativ bedeutende Wirkung berücksichtigt.

Das ganze Waffenmuseum verspricht eins der schönsten unter denen der europäischen Hauptstädte zu werden, wenn auch gegen das Unternehmen von Beginn an öffentlich und heimlich viel Widerspruch erhoben worden ist. Manches im Einzelnen mag auch heute noch mit Grund getadelt werden. Angesichts des Ganzen aber, das in diesem Werk durch das einmüthige Zusammenwirken so vieler tüchtiger künstlerischer und technischer Kräfte und nach eines ebenso einsichtigen wie genialen Meisters Plänen geschaffen ist, wird jeder Widerspruch verstummen müssen. Durch die Umwandlung des alten Zeughauses ist Berlin um eine der merkwürdigsten und großartigsten Leistungen der modernen monumentalen Architektur und der ihr dienenden Künste und damit um einen echten, würdigen Tempel des vaterländischen Waffenruhmes reicher geworden.

Ludwig Pietsch.




Der „heilige“ Vogt von Sinzig.
Die Geschichte eines Leichnams.

„Wissen Sie, welches der wunderlichste Heilige im ganzen Rheinlande ist?“ fragte der Capitain des Salondampfers, auf welchem wir in heiterer Gesellschaft an einem wunderwollen Herbsttage von Mainz nach Bonn den Rhein hinabführen.

Der Fragesteller, einer von den auch am Rheine immer seltener werdenden Typen, welche mit den weißen Haaren des Greises den Frohsinn des Jünglings und das Gemüth des Kindes vereinigen, hatte während der mehrstündigen Fahrt nach und nach einen Kreis von Zuhörern um sich gesammelt, deren er, einer lebendigen Rheinchronik gleichend, in einem wunderbaren Gemisch von Dichtung und Wahrheit, theils Sagen und Legenden, theils Geschichtliches und Selbsterlebtes in buntester Aufeinanderfolge vorführte, stets anknüpfend an die Landschaften und Uferorte, an denen wir vorbeidampften.

Mit besonderer Vorliebe und köstlichem Humor schilderte er die verschiedenen Heiligen, die sich durch irgend welche hervorragende Thaten am Rheinstrome einen Namen gemacht haben; wie den heiligen Werner und den wunderthätigen Apollinaris.

„Sehen Sie dort auf jenem rebenbewachsenen Hügel das Städtchen Sinzig?“ fragte unser freundlicher Schiffsführer. „Dieses hat das Glück, den sogenannten heiligen Vogt zu besitzen, und der ist der wunderlichste Heilige im Rheinlande. Hat einen gar ascetischen Lebenswandel geführt, sodaß zuletzt nichts mehr an ihm war, als Haut und Knochen. Die Würmer bissen sich an seiner Leiche die Zähne aus und mußten nach langem, vergeblichem Bemühen auf dieselbe verzichten. So ist sie bis auf den heutigen Tag unverwest geblieben.“

Die Erzählung des wackeren Capitains veranlaßte mich später, dem Städtchen Sinzig und seinem todten Vogte meinen Besuch abzustatten.

Sinzig, das römische Seniacum, hat eine reizende Lage auf einer kleinen Anhöhe, welche, an der Mündung der Ahr in den Rhein sich erhebend, die fruchtbare Ebene der „Goldenen Meile“ beherrscht. Wenn der Rhein, der nachweisbar in früheren Zeiten dicht an Sinzig vorbeifloß, sich nicht von letzterem unfreundlich ab- und dem über eine halbe Stunde entfernten entgegengesetzten Thalabhange zugewendet hätte, so wäre unser Städtchen sicherlich einer der schönsten Punkte im ganzen Rheinthale. Das Panorama, das sich dem Beschauer von der aus dem höchsten Punkte der Anhöhe gelegenen Kirche aus bietet und das außer dem Rhein- auch einen Theil des Ahrthales mit dem mächtigen Basaltkegel der Landskrone umfaßt, ist besonders in herbstlicher Beleuchtung geradezu unvergleichlich, nicht überwältigend, wie die Aussichtspunkte der Hochalpen, aber unendlich lieblich durch die reiche Mannigfaltigkeit und die satten, harmonisch abgestuften Farbentöne des bergigen Hintergrundes. Diese schöne Lage mag wohl dazu beigetragen haben, daß die Frankenkönige mit besonderer Vorliebe das Palatium in Sinzig als Absteigequartier wählten und daß auch Friedrich Barbarossa, sowie mehrere seiner Nachfolger, öfters hier residirten.

Mein erster Gang in Sinzig galt der malerisch gelegenen Pfarrkirche, einer aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden gewölbten Basilika spätromanischen Stils, mit wenig vorspringenden Kreuzarmen, viereckigen Thürmchen zu beiden Seiten des Chores und einem achteckigen Hauptthurme über der Vierung.

Erst nach längeren Verhandlungen und nachdem ich einen entsprechenden Beitrag in den Kirchenbaufonds gespendet, gelang es mir, beim heiligen Vogt Zutritt zu erhalten. Ich fand ihn als wohlerhaltene Mumie in einen eleganten Glassarg gebettet. Der Leib ist theilweise von einem weißen Tuche umhüllt; um die Schläfen windet sich ein Kranz von künstlichen Blumen, und die Füße sind mit weißen Strumpfen und rothen, mit Schleifen geschmückten Schuhen bekleidet. Auf den ersten Anblick glaubt man, einen wenige Tage alten Leichnam vor sich zu haben. Die Haut, welche vollständig erhalten geblieben ist, hat nämlich ihre natürliche Farbe fast ganz bewahrt. Sie fühlt sich pergamentartig, zum Theil lederartig an und umschließt lose die steinhart gewordenen, auf ein Minimum zusammengeschrumpften Muskeln. An den Armen und Beinen treten die einzelnen Muskelbündel so scharf hervor, daß man sie äußerlich leicht unterscheiden kann.

Die genaueste Untersuchung der Mumie hat ergeben, daß sich am ganzen Körper, der sämmtliche in Brust- und Bauchhöhle befindliche Organe vollständig enthält, kein Einschnitt befindet, ein Beweis, daß keinesfalls eine künstliche Einbalsamirung stattgefunden hat, sondern daß es sich in dem vorliegenden Falle um eine natürliche, vom wissentschaftlichen Standpunkte aus äußerst interessante Mumie handelt.

Die Hände, welche nicht gefaltet und auch nicht über der Brust gekreuzt, sondern sonderbarer Weise so gelegt sind, daß sie den Oberarm der anderen Seite über dem Ellenbogengelenke umfassen, weisen noch alle Nägel auf, ebenso die Füße. Die Lippen der Mumie haben sich in Folge der stattgehabten Eintrocknung etwas verkürzt, sodaß das prachtvolle, blendendweiße Gebiß, an welchem kein einziger Zahn fehlt, sichtbar ist. Es verleiht dies dem Gesichte einen mit dem Ernste des Todes in seltsamem Contraste stehenden lachenden Ausdruck.

Die Ohren sind noch ziemlich vollständig vorhanden, dagegen sind die Augen seit einiger Zeit in einem zunehmenden Verwesungsprocesse begriffen, der sich schon durch den dem Beschauer beim Oeffnen des Glassarges entgegenströmenden penetranten Modergeruch verräth. Noch vor zwanzig bis dreißig Jahren sollen nach Angabe verschiedener Personen, die ich über diesen Punkt befragte, die Augen vollständig erhalten gewesen sein, wie auch der Kopf der Mumie früher noch reichlichen Haarwuchs getragen haben soll. Letzterer ist jetzt vollständig verschwunden. Nur mit der Loupe lassen sich noch einzelne Spuren von dunkel gefärbten Kopf- und Barthaaren erkennen. Auch bei der Nase, welche wohl in Folge irgend einer mechanischen Einwirkung plattgedrückt wurde, zeigt sich der beginnende Zersetzungsproceß.

Besonders interessant an unserem Vogte ist die an künstlichen wie natürlichen Mumien bis jetzt noch kaum in diesem Grade beobachtete Beweglichkeit der einzelnen Gelenke. Man kann z. B. das Schulter-, noch mehr das Ellenbogengelenk mit geringer Kraftanwendung bewegen. Ebenso lassen sich auch die Finger hin- und herbewegen. Dagegen ist es nur nicht gelungen, die von der Bevölkerung allgemein behauptete Beweglichkeit der Zunge nachzuweisen. Der Unterkiefer widerstand hartnäckig meinen Bemühungen, ihn abwärts zu drücken und so den Mund zu öffnen. Von Anwendung mechanischer Gewalt mußte aus naheliegenden Gründen abgesehen werden.

Wer ist nun eigentlich der heilige Vogt?

Eine endgültige Antwort wird auf diese Frage wohl nie gegeben werden können, da alle auf die Person des Heiligen bezüglichen Documente bei einem Brande verloren gingen. Wir sind daher außer der Ueberlieferung größtenteils auf die Legende angewiesen, welche in ihrer Art stets da die Lücken ausfüllt, wo der historische Nachweis nicht zu erbringen ist.

Die Heiligengeschichte weist Dutzende von Beispielen auf, in denen der Körper heiliger Personen Jahrhunderte später, „einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_248.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)