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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 16.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Bruderpflicht.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Regina“ sagte Graf Gollheim, mühsam an sich haltend und seine Stimme zu einer erzwungenen Milde dämpfend, „Du bist ja heute bewunderungswürdig – offen gegen mich. Doch ich kann ruhig sein; Du bist meine Tochter und wirst nicht die Schwiegertochter eines Republikaners werden wollen, der …“

„Ich kenne ihn nicht – mag er sein, wie er will! Seine Eigenschaften entbinden mich nicht von dem, was ich Aurel Lanken versprochen habe,“ unterbrach ihn Regina mit Festigkeit.

„Versprochen? Du sagst: versprochen?“

„Ja, so sagte ich. Versprochen!“

„Du hast Lanken Deine Hand versprochen?“

„Nicht mit Worten – aber durch mein Benehmen.“

„Benehmen?“ rief Gollheim, den Ton möglichst großer Verachtung in das Wort legend.

„Das ist,“ fiel Regina ein, „für ein ehrliches Mädchen gerade so bindend, wie es klar ausgesprochene Worte sind.“

„Sodaß Du Dich weigerst, das Verhältniß abzubrechen, völlig und gründlich abzubrechen und morgen abzureisen?“

„Ich bin Dir als Deine Tochter Gehorsam schuldig. Wenn Du befiehlst, daß ich reisen soll, so reise ich. Das ist selbstverständlich. Aber über meine Gefühle, meine Neigung, mein Gewissen hast Du zu herrschen und zu schalten kein Recht, und ich erkläre es Dir ohne Hehl. Ich denke, es ist besser so, als wenn ich hinter Deinem Rücken heimlich ein Verhältniß fortsetzte, von dem Du nichts ahnst.“

„Ich soll Dir für Deinen unerhörten Trotz, Deinen bösen Eigensinn wohl noch dankbar sein?“ höhnte Graf Gollheim, indem er sich langsam abwandte, die Arme über die Brust verschlang und nun mit gesenktem Haupte, die Augen auf den Boden heftend, schweigend eine Weile auf und ab ging.

Dann blieb er plötzlich stehen, stampfte zornig mit dem Fuße auf den Boden und sagte laut und herrisch:

„Du reisest also. Morgen schon! Und was das Uebrige betrifft – ‚le Roi avisera‘.“

Damit wandte er seinen Kindern den Rücken und ging mit sehr festem, entschlossenem Schritte davon.

„Was mag er vorhaben?“ flüsterte nach einer Pause Ludwig, der sich mit keinem Worte in die Debatte gemischt hatte. „Er hielt mit seinem Zorne, seiner Wuth beinahe unheimlich an sich. Ich fürchte üble Dinge für Dich und Lanken.“

„Er hielt wohl am meisten an sich,“ entgegnete achselzuckend Regina, „weil das, was ich ihm sagte, ihn vermuthlich weniger unvorbereitet traf als er vorgab.“

Sie ließ sich jetzt in einem unfern der offnen Fensterthür stehenden Sessel nieder und blickte, die Hände im Schooße faltend, in die grüne Laubwelt des kleinen Parkes hinaus. Das letzte Licht des Tages fiel voll auf ihre Züge. Jetzt zeigte sich, wie fein Regina’s Antlitz geschnitten war; die Weihe des Gedankens lag auf ihrer Stirn, und groß und aufrichtig sprach der Ausdruck der Wahrhaftigkeit aus ihren Augen. Aber die volle Frische rosig blühender Jugend war nicht mehr in diesen Zügen; es lebte in ihnen ein Gedankenernst, eine geistige Reife, die, auch wenn die leise gezogenen Fältchen an den Mundwinkeln und den Schläfen nicht gewesen wären, hinreichend verrathen hätten, daß Regina Gollheim über die Mitte der Zwanziger hinaus sei.

„Für’s erste,“ fuhr Regina fort, „wird der Vater nun wohl eine Gelegenheit suchen, offen mit Lanken zu brechen, und bis dahin zu verhindern wissen, daß ich ihn sehe und spreche. Morgen schon soll ich reisen – von Dir geleitet. Da bleibt denn nichts übrig, Ludwig, als daß Du mir brüderlich beistehst. Du mußt noch heute Abend zu Lanken gehen und mit ihm reden, Du mußt ihm ganz offen Alles mittheilen, was vorgefallen ist, und ihm sagen, daß ich nur gehe, weil der Vater befiehlt, daß meine Gefühle … aber was hast Du, Ludwig?“

Ludwig war in heftigster Bewegung aufgesprungen; er machte, wie von irgend einem Gedanken gepeinigt oder geängstigt, einige rasche Schritte in das Zimmer hinein.

„Ich zu Lanken?“ rief er. „O mein Gott, wie kann ich … heute … zu ihm gehen!“

Er sagte das in einem so verzweifelten Tone, als ob er lieber in den Tod gehen wolle als zu Lanken.

„Aber ich bitte Dich – weshalb nicht?“

Ludwig antwortete nicht.

„Du mußt mir in dieser Sache nichts, gar nichts zu thun zumuthen,“ sagte er endlich, „ich – ich darf und kann nicht hinter dem Rücken meines Vaters und wider seinen Willen handeln.“

Regina sah ihn scharf und forschend an.

„Du bist nicht immer ein so gehorsamer Sohn, so gewissenhaft gewesen.“

„Mag sein!“ versetzte er. „Aber ich kann jetzt nicht anders.“

„Als mir vollständig Deine brüderliche Hülfe versagen?“

„Als Dich bitten, mich in dieser Angelegenheit nicht zu quälen.“

„Wunderlich! So bleibt mir nichts übrig als mir selbst zu helfen.“

„Ja, hilf Dir selbst! Ich kann nichts thun als Dich morgen zur Tante zu begleiten und Gott zu danken, wenn ich die Stadt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_257.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)