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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

im Rücken habe, die,“ setzte er halblaut hinzu, „mich sobald nicht wiedersehen wird.“

Damit schritt er zum Zimmer hinaus und überließ Regina ihrem Erstaunen und ihrem Nachdenken über das sonderbare Wesen ihres Bruders, der ihr plötzlich ganz fremd geworden. Nach einer Weile erhob sie sich seufzend und begab sich in ihr Zimmer, um an Lanken zu schreiben und ihm brieflich zu sagen, was Ludwig ihm mündlich auszurichten sich so energisch geweigert hatte.




4.


Es war ein malerischer alter Bau mit Giebeln und Thürmen aus der Renaissancezeit in welchem der dirigirende Minister seine Amtswohnung hatte. Einst hatten die Fürsten des Landes dort gewohnt, aber seit diese in einem neueren hellen Rococoschloß am Westende der Stadt ihre Residenz aufgeschlagen, war das alte Schloß mit seinen theilweise noch burgartigen Räumen der Sitz der obersten Landesbehörden geworden. Ein mächtiges wappengekröntes Portal mit gewölbter Durchgangshalle führte hinein, und zunächst auf einen großen länglichen Hof, in dessen Mitte eine Gruppe alter Platanen stand, die einen gewaltigen von kunstreichem Schmiedewerk gekrönten Brunnen beschatteten. Das ganze untere Geschoß zeigte niedrige Rundbogenfenster mit schweren Eisengittern davor; in den zwei obern Stockwerken deutete die Unregelmäßigkeit, mit der die bald hohen, große Spiegelscheiben zeigenden, bald kleineren, mit Blei verglasten Fenster angebracht waren, aus wunderliche Raumvertheilungen im Innern. Thüren, von denen keine der andern glich, bald ganz schwellenlos, bald mit mannshohen Treppen davor, führten in die verschiedenen Flügel; über ihnen war auf Tafeln mit Inschriften zu lesen, welche Abtheilungen der Staatsmaschinerie sich hinter ihnen befänden: die „herzogliche Kammerverwaltung“, die „Hauptstaatscasse“, die „Militärersatzcommission“. Es war ziemlich belebt auf dem Hofe. Leute in Dienstmützen, Boten mit Acten unter dem Arme, Herren, die wie Beame, und andere, die wie Petenten aussahen, kamen und gingen.

Der alte Thierarzt aus Amerika, der am andern Morgen um acht Uhr aus dem Hofe des Schlosses stand, betrachtete dasselbe, betrachtete die Schilder, betrachtete das ganze Bauwerk mit stillem Lächeln und einem Ausdruck von spöttischem Ueberlegenheitsgefühl, das doch in eine gewisse Miene von Wehmuth überging, als sein Auge auf den dicken Eisenstangen vor den Fenstern des Erdgeschosses haften blieb.

„Die verfluchten Stangen!“ murmelte er. „Ueber diese Stangen ist mein ganzes Lebensschicksal gestolpert. Die Noth bricht Eisen, sagt man, aber dieses Eisen war damals stärker als unsere Noth. Gott verdamme es! Damals hatten sie die Waffen des Landwehrdepots dahinter untergebracht. Wir – alle die unerschrockenen Burschen, die mir folgten, wollten uns der Waffen bemächtigen und damit nach dem deutschen Süden ziehen, um die Truppen der Revolution zu verstärken. Hätten wir’s fertig gebracht, wer weiß, wie es heute in Deutschland stände! So aber waren uns diese Stangen zu stark; wir brachen und feilten daran, aber wir kamen nicht damit zu Stande, und die ‚Heulmeier‘ nahmen unterdeß ihren Muth zusammen und rückten uns als Bürgerwehr auf den Leib. So mußten wir’s aufgeben, und ich, der ich am schlimmsten compromittirt war, mußte machen, daß ich fort kam, und Gott danken, daß ich nicht auf der Flucht noch gefaßt wurde. Ja, diese Stangen!“

Der alte Lanken schüttelte über die Stangen, deren Festigkeit eine so bedeutungsvolle Rolle in seinem Leben gespielt, abermals den Kopf, und dann wandte er sich an einen der Vorübergehenden mit der Frage, wohin er sich wenden müsse, um zu dem Minister Lanken zu gelangen. Der Mann wies ihn unter einen zweiten, in einen kleineren Hof führenden Thorweg, und zeigte auf eine große Glasthür, hinter der sich eine breite teppichbelegte Treppe erhob. Der alte Herr stieg die Stufen empor und gelangte an eine Glaswand mit einer Klingel, die er ziemlich gebieterisch ertönen ließ. Ein Diener in dunkler Livrée öffnete ihm.

„Zu Haus, der Herr Minister?“ fragte der alte Herr mit einem Tone, der dieser „Sclavenseele“ klar machen mußte, daß der alte Lanken nicht der Mann sei, sich von galonnirten Bedienten imponiren zu lassen.

Die Sclavenseele faßte, ruhig prüfend, den alten Herrn in’s Auge, nickte dann mit dem Kopfe und antwortete:

„Excellenz haben mir befohlen, Sie sofort zu ihm zu führen. Haben Sie die Güte, mir zu folgen!“

Sie schien doch wenigstens höflich, diese Sclavenseele. Wäre auch schön angekommen, wenn sie dem alten Herrn den Zutritt zu seinem Sohne hätte erschweren wollen. Aber sie war weit entfernt davon. Sie glitt lautlos, wie einer richtigen Sclavenseele zukommt, durch ein paar mit einem bescheidenen Luxus eingerichtete, große, aber niedrige Empfangssäle voran, auf eine Flügelthür zu, an der sie klopfte: dann öffnete sie dieselbe, schob eine im Inneren befindliche Portiere zurück, und Lanken trat in das Arbeitszimmer seines Sohnes. Mit einem moquanten Lächeln schaute er sich darin um. Und dann nickte er, als sei hier Alles just so, wie er sich gedacht, daß es in der Wohnung eines Ministers sein müsse. Das Zimmer hatte eine kostbare alte Gobelintapete, die wohl noch aus den alten Zeiten der fürstlichen Hofhaltung herrührte. Im Uebrigen war Alles einfach; kein Gold, keine schreienden Farben, keine Löwen- und Tigerfelle, keine kostbaren Gemälde mit üppigen Darstellungen oder dergleichen.

„Bist ja ganz hübsch untergebracht, Aurel,“ sagte er, die beiden Hände, welche ihm sein Sohn bewegt entgegengestreckt hatte, nur flüchtig berührend; dann trat er an das nächste Fenster, um zu prüfen wie denn die Aussicht von da sei – sie ging auf einen leidlich hübschen, aber nicht großen Garten hinaus, der von Mauern umgeben war. „Bist ja ganz hübsch untergebracht,“ wiederholte der alte Herr, „obwohl man sieht, wie weit Ihr hier noch im guten Geschmack zurück seid; bei einem Governor drüben in Amerika oder auch nur bei einem Redacteur eines unserer großen Journale sieht es im Empfangszimmer ganz anders aus, als hier bei Dir – na, ich bin nicht der Mann, der sich um so etwas kümmert – nicht einen Pfifferling – sehe mehr auf substantiellere Dinge, zum Beispiel auf ein gutes Frühstück und wenn Du Deiner guillotinirten Levkoie befehlen willst, für eines Sorge zu tragen, so will ich ihm gern Ehre anthun; bei Schallmeyer hat man mir Gerichte aufgetischt, vor denen ich die Flucht ergriffen habe.“

Aurel drückte auf eine Klingel; der eintretende Diener erhielt einen kurzen Befehl und verschwand wieder.

„Nun,“ sagte der alte Herr, indem er auf einem Ecksopha neben dem Fenster Platz nahm, „kann denn der Bursche nicht antworten, ob er thun wird, was Du wünschest oder nicht?“

„Das wäre überflüssig, lieber Vater; zu thun, was ihm befohlen wird – dazu ist er da.“

„Scheut Ihr hier so die überflüssigen Worte? Weshalb denn nicht lieber die überflüssigen Schreibereien?“

„Wie kommst Du darauf?“

„Durch das überflüssige Schreibervolk, das ich unten in den Höfen umherlaufen sah – Eure ganze alte Burg hier ist ja wie eine Fabrik zur Erzeugung unnützen Schreibwerkes.“

„Glaubst Du?“ fragte Aurel lächelnd.

„Nun sicherlich! Eure Bureaukratie kennt man ja. Die reine Tauschlägerei zur Herstellung der Seile und Stricke, welche die freie Entwickelung der öffentlichen Wohlfahrt unterbinden. Wenn Du auf mich hören wolltest, ich würde Dir den Rath geben, alle diese Beamten und Schreiber, die Euch jahraus jahrein ein Heidengeld kosten müssen, fortzujagen und Eure ganze Staatsverwaltung in General-Entreprise zu geben.“

„In was?“

„In General-Entreprise Eure ganze Staatsverwaltung! Was die wirklich dabei nöthige Arbeit ist, setzt für zehn- oder zwanzigtausend Dollars jährlich aus – für ein Zehntel dessen, was sie Euch heute kostet, und es werden sich genug praktische Leute melden, die sie Euch dafür accordmäßig zu liefern bereit sind.“

„Ich werde diesen Vorschlag beim Herzog befürworten“ antwortete scherzend Aurel.

Im Hintergrunde des Zimmers öffnete sich eine Thür; der Diener erschien wieder, warf beide Flügel der Thür auf und trug einen mit dem Frühstück besetzten Tisch herein. Aurel ließ diesen vor das Ecksopha stellen und nahm seinen Vater gegenüber Platz, um, nachdem er den Diener wieder hinausgesandt, jenem zur serviren.

„Das vollständige Tischlein, decke dich,“ sagte der alte Herr, sich zu einem Ei verhelfend, das er mit großer Geschicklichkeit abblätterte. „Du nimmst nichts, Aurel?“

„Ich habe das bereits vor ein paar Stunden abgemacht,“ versetzte dieser, „bevor ich meine Tagesarbeit begann.“

„So früh? Ein Minister? Drängt’s denn so?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_258.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)