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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


– wär’ nicht übel. Aber beruhige Dich! Liegen mir zunächst andere Dinge am Herzen. Damit Du sie begreifst, muß ich Dir vorher ein wenig mehr von meinem Leben drüben erzählen, als Du davon bis jetzt vernommen hast. Das Schreiben, weißt Du, war niemals meine Sache.“

„Leider – ich hätte so gern öfter von Dir gehört.“

„Was sollt’ ich Dir lange Episteln schreiben – waren ja einander ganz fremd geworden – konntest auch trotz alles Schreibens von dem Leben drüben keine richtige Vorstellung haben; konnte es Dir eben nicht klar machen, wie ich anfangs dort Gärtnerbursche und dann Pastor einer kleinen Gemeinde in Michigan, darauf Schreiber eines Sheriffs ward. Konnte es nicht. Und als Deine Mutter gestorben – ich hatte damals in einem Eier- und Butterhandel etwas verdient – Dein Vormund sandte mir herüber, was mir aus der Erbschaft Deiner Mutter von ihrem Vermögen zukam – kaufte eine wohlgelegene Farm, sehr vortheilhaft – capitaler Handel – war ein gemachter Mann jetzt – hatte aber zur Bewirthschaftung der Farm eine Frau nöthig – Du wirst das einsehen, Aurel –“

„Ah,“ unterbrach ihn Aurel, „Du gabst mir eine Stiefmutter, und davon weiß ich nichts?“

„Hatte die Frau nöthig, aber Eure Einwilligung nicht,“ entgegnete er mit einer Barschheit, die wohl nur eine gewisse Verlegenheit dem Sohne gegenüber maskiren sollte, „braucht’s also nicht herüberzutelegraphiren und später viel Redens darüber zu machen, war ja auch nicht nöthig, kanntet meine Frau ja nicht – konnte sie Euch auch nicht abmalen. Nun ist sie leider todt – zwei Jahre schon her. War eine hübsche Person, größer, schlanker als Deine Mutter – Yankeefamilie – stammte aus Neu-England – Vater Shopkeeper – wollener Strumpfhändler – früher einmal Goldgräber, und was man denn sonst drüben versucht. War ein braves Weib, und hinterließ mir einen Ausbund von Jungen –“

„Ah, einen Sohn? Einen Bruder habe ich, von dem ich nichts ahnte?“ rief Aurel mit wachsendem Erstaunen.

„Ich kann nicht bestimmt sagen, ob Du ihn hast oder hattest – ist fortgelaufen – auf unsere ‚Navy‘ gegangen, denk’ ich, und seit zwei Jahren habe ich nicht das Mindeste von ihm gehört. Nun, wenn’s nicht mein eigen Fleisch und Blut wäre, würde ich sagen, der Schade, wenn er irgendwo den Hals bräche, wäre nicht allzu groß. War keine Zucht in dem Jungen – kein Gehorsam.“

„Kaum zu verlangen!“ sagte mit einem leisen Anfluge von Ironie Aurel. „Ihr stellt ja drüben die Knaben so früh auf ihre eigenen Füße –“

„Sag’ lieber, sie stellen die Füße auf uns, ihre Alten. Hast Recht! Wenn’s noch Füßchen wie die der Grasmücke sind, läßt man sich’s ja gefallen; die Grasmücke, weißt Du –“

„Die Grasmücke? Wer ist das nun, Vater?“

„Bin ja im Zug, Dir’s zu sagen. Die Grasmücke, das ist Lily, Deine Schwester, ein so reizender kleiner Affe, wie Du ihn Dir nur denken kannst –“

„Und nun auch noch eine Schwester!“ rief Aurel aus, halb erschrocken, halb freudig erregt, „wahrhaftig, Du schenkst mir viel an diesem einen Morgen!“

„Denke so! Wenn Du Lily sehen wirst –“

„Sehen? Ist sie denn hier?“

„Nun freilich – bin ich selber doch ganz allein ihretwegen hier –“

„Du ihretwegen? Du willst sie hier ausbilden, ein tüchtiges Institut besuchen lassen?“

„Das weniger. Sie hat, mußt Du wissen, die Kinderschuhe ausgezogen und die Jahre der Ladies’ Academy hinter sich. War dazu in Boston – hab’ mir’s Geld genug kosten lassen, obwohl’s Unsinn ist. Ist eine complete Dame jetzt – meiner Seele, viel zu gut für diesen vermaledeiten Windhund, diesen lächelnden Mars aus einer Mythologie für Töchterschulen –“

„Ich bitte Dich, von wem redest Du denn jetzt, Vater?“


(Fortsetzung folgt.)





Im Kampf des Lenzes.
Ein Osterlied von Emil Rittershaus.
(Mit Abbildung S. 261.)


Nun weht der Wind aus Westen
So weich und wundermild,
Und an der Bäume Aesten
Die braune Knospe schwillt,

5
Und in den kahlen Zweigen,

Da flüstert’s heimlich sacht:
Aus winterlichem Schweigen
Ist jetzt der Wald erwacht.

O horch, mit hellen Klängen

10
Ein Ruf zum Wasserspiel!

Den Winter zu verdrängen,
Macht nun der Lenz mobil.
Fanfaren hat geblasen
Der Lenztrompeter Fink;

15
Da schwingt sich auf vom Rasen

Die muntre Lerche flink.

Sie jauchzt – und durch die Lande
Klingt’s wonneweckend hin –:
„O, komm, im Goldgewande,

20
Du Sonnenkönigin!“

Der Fink mit frohem Muthe,
Er mahnet: „Dran und drauf!“
Da steckt die Haselruthe
Den rothen Helmbusch auf.

25
Es fliegt aus blauen Räumen

Der Strahlen Lichtgeschoß.
Des Stromes Wogen schäumen,
Die lang’ das Eis umschloß.
Da springt von Hügelkronen

30
In’s Thal hinab der Quell;

Da nahen die Schwadronen
Der Wandervögel schnell.

Da macht mit grünen Lanzen
Die junge Saat sich Raum;

35
Aus finstren Felsenschanzen

Wagt sich der Winter kaum.
Vergeblich all sein Ringen!
Es zieht im Sonnenschein
Auf weißen Wolkenschwingen

40
Der stolze Sieger ein.


Mit Primeln und Ranunkeln
Begrüß’ ihn, Wies’ und Feld!
In Schönheit sollst du funkeln,
Du neuverjüngte Welt –

45
Und Sorgen, die dich pressen,

Und alles, alles Leid
Sollst du, o Herz, vergessen
In Frühlingsseligkeit. –

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_260.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)