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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Maritime Briefe an eine Dame.
I.
(Schluß.)


Das Haus des Gesandten lag auf festem Lande, aber auch hoch über dem Grunde. Es bestand aus einem nicht sehr breiten Hauptgebäude, das die Wohnzimmer des Grafen, seinen Speisesaal und die Empfangszimmer enthielt und das mit einer hübschen Veranda versehen war. An diesen Haupttheil lehnten sich zwei Flügel, jeder etwa acht Zimmer fassend und (durch ein kleines für die Dienerschaft bestimmtes Hintergebäude geschlossen) mit der Front zusammen einen viereckigen, großen Hof bildend. Auch um diesen herum zog sich eine geräumige Veranda, auf die sich sämmtliche Thüren öffneten. Die Zimmer waren hoch und luftig, da das Dach selber die Decke bildete, wiesen aber weder Tapeten, noch überhaupt eine Bekleidung der Wände auf und entbehrten überhaupt jeder nennenswerthen Bequemlichkeit.

Müde und abgespannt und von der Sonne durchglüht, waren wir nach 4 Uhr an Ort und Stelle angelangt. Um 7 Uhr dinirten wir bei dem Gesandten, dessen liebenswürdiger Humor und seltene Gabe der anregenden Unterhaltung damals in vollster Blüthe stand und selbst unsere erschlafften Lebensgeister so lange galvanisirte, wie wir uns unter dem Zauber seiner Gesellschaft befanden. Kaum aber hatten wir uns von ihm verabschiedet, als der Rückschlag eintrat und Jeder nicht eilig genug sein Lager und die ersehnte Ruhe aufsuchen konnte.

Am nächsten Morgen war jede Müdigkeit bald abgeschüttelt, und wohlgemuth rüstete ich mich gleich nach dem Frühstück, in Begleitung mehrerer Cameraden, den uns zur Verfügung bleibenden Vormittag zu einem Streifzug durch die Residenz zu benutzen.

Ein Spaziergang durch die Straßen Bangkoks ist aber ebenso schwierig, ja fast noch schwieriger zu unternehmen, als in unserem Venedig, da, wie in der alten Lagunenstadt, aller Verkehr sich auf die Wasserstraßen concentrirt. Die Stadt wird durch den Menam, an dessen Ufern sie sich in einer Entfernung von über sechs Kilometern hinzieht, und durch seine Nebenarme und Canäle in zahlreiche Inselchen getheilt, und auf diesen stehen die Pfahlbauten, deren hohe Verandas man nur mittelst einer Treppe, respective einer Hühnersteige erklimmen kann, so dicht an einander gedrängt, daß man sich nur mühsam durch die überengen Gäßchen winden kann und froh ist, sich wieder in’s Boot flüchten zu dürfen. Der Menam selber, in dessen Wogen der Herzschlag des Verkehrs pulsirt, auf dem die Märkte abgehalten werden, jeder Transportweg für Menschen, Vieh und Waaren sich befindet, alle Läden und Werkstätten sich öffnen, kurz, auf dem ganz Bangkok lebt und webt, er bietet ein seltenes, belebtes und hochinteressantes Bild. Nur schwer und ungern reißt man sich von seinem Anblick los.

In der Mitte der Stadt erhebt sich der große, von einer hohen, mit Zinnen geschmückten und von Kanonen armirten Mauer umgebene Palast des ersten Königs. Er soll im Innern, auch in den Räumen, die wir nicht zu sehen bekamen, überaus prächtig sein. Daß seine Staats- und Empfangszimmer es waren, kann ich aus eigener Erfahrung constatiren – davon aber später! Der Palast des zweiten Königs giebt dem ebengenannten an Größe wenig nach und soll ihm auch im Innern annähernd gleichkommen. Außerdem stößt man aber noch auf zahlreiche, in chinesischem Stil außen mit hohen, schmalen, reichornamentirten Fronten und innen mit weiten, luftigen Sälen geschmückte Paläste der Großen des Reichs.

Ganz besonders schön und hervorragend aber sind die Tempel Bangkoks. Obgleich ebenfalls, wie alle buddhistischen Gebäude, in chinesischem Geschmack aufgeführt, überragen sie ihre Vorbilder um ein Bedeutendes an Pracht und Gefälligkeit der Formen. Zu dem erwähnten Baustil gesellt sich bei ihnen der mehr leichte, elegante der spitzen Obelisken, die, jedesmal eine Grabstätte bezeichnend, das Ganze sehr passend und dem Auge wohlgefällig verzieren und ihm ein noch reicheres, phantastischeres Gepräge aufdrücken. Am besten kommen diese Vorzüge bei dem „Wat-schin“, einem wirklich prachtvollen Gebäude, dessen ganzes Mauerwerk außerdem noch bis zu seiner höchsten Spitze, also bis zu einer Höhe von 150 Fuß, mit aus Muscheln und Porcellanstücken geformten Blumen geschmückt ist, zur Geltung. In einem andern Tempel, dem „Wallah-ya“, dessen Giebel, Thüren und Fenster in geschmackvollster Weise eingelegt sind, stießen wir auf einen 50 Fuß hohen, sitzenden Buddha. Der größte und vornehmste Tempel aber ist der „Wat-po“, in dem sich die Gräber der Könige befinden. Sie sind ebenfalls durch Obelisken angedeutet und erheben sich, unten ziemlich breit anfangend und oben ganz schlank sich zuspitzend, in erstaunlichen Mengen. In seinem Innern befindet sich die Kolossalstatue eines liegenden Buddha von 140 Fuß Länge und 40 Fuß Höhe. Außerdem gehört zum Wat-po, neben dieser Hauptgottheit, aber noch eine kleine Untergottheit, und zwar ein respectabler Alligator, welcher sich in einem besondern, sehr hübsch mit künstlichen Felsenpartien und Brücken etc. geschmückten Nebengebäude aufhielt. Gegen Erlegung der landesüblichen Münze, eines Tikal (etwa 2 Mark 50 Pfennig nach unserm Werth) zogen ihn seine Wärter und Priester aus dem Wasser. Es war ein tüchtiger Bursche von über 12 Fuß Länge und mit einem kolossalen Rachen begabt. Die ihm aufoctroyirte Heiligkeit schien übrigens seinen sündigen Gelüsten keinerlei Abbruch zu thun; denn erst am Abend des vorangegangenen Tages hatte er einen Wasser holenden Knaben gefaßt und zermalmt – eine Erzählung, die uns übrigens doch zu einem kleinen Bogensatz um Seine gefräßige Gottheit herum veranlaßte!

Unter diesen Streifereien war uns der Vormittag vergangen – verflogen müßte man sagen – und der große Moment der Audienz nahte. In Eile wurde Toilette gemacht, höchste Gala, und um drei Uhr standen wir bereit, „zu Hofe“ zu gehen. Wir brauchten auch nicht lange auf die Boote, die uns abholen sollten, zu warten. Außer den vielen enorm langen, zur Aufnahme der Gesandtenbegleitung bestimmten, erschienen noch zwei höchst prächtige und ebenso eigenthümliche für den Gesandten selber und – für den Brief unseres Königs Wilhelm an den Beherrscher Siams. Das erste von zwanzig Mann geruderte Fahrzeug, das vorn als Gallion die Panzerfigur eines Kriegers trug und hinten in einem Drachenschweif endigte, hatte in seiner Mitte ein reich vergoldetes Häuschen, in welchem der Gesandte mit seinem Legationsrath und dem Dolmetscher Platz nahm. Das zweite, für den königlichen Brief ausersehene und ebenfalls von zwanzig Mann geruderte Boot führte an Deck einen kleinen, prachtvoll verzierten Thurm, vor und hinter dem drei neunfache Schirme, das Zeichen der höchsten königlichen Würde, gehalten wurden. In diesen Thurm wurde das Schreiben gelegt und zwar in eine goldene Vase. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, voran, in vier Böten, unsere Musik und die Seesoldaten, dann die ganze Begleitung des Gesandten, hierauf der Brief (und zwar ganz allein, ohne jede profanirende Begleitung fahrend) und zuletzt der Gesandte selber. Da unsere Böte sämmtlich königlich siamesische waren, trugen alle Ruderer rothe Hemden und eben solche Mützen und machte sich der Anblick dieser vielen, leuchtenden Böte, zu denen noch von allen Seiten solche der Minister und hohen Würdenträger stießen, mit ihren glühenden Farben und buntem Schmuck höchst malerisch.

Von einundzwanzig Salutschüssen zu Ehren des Briefes begrüßt, landeten wir endlich an einer, übrigens höchst unbequemen, hölzernen Brücke und sahen uns nach Beförderungsmitteln für unser weiteres Fortkommen um. Alles stand indessen schon bereit. Der Gesandte erhielt einen europäischen Sessel, der auf Bambusstöcken stand und von sechs Eingeborenen getragen wurde, auch recht bequem sein mochte, aber so furchtbar wacklig aussah und derart über den Köpfen der braunen Kerle schwankte, daß wir jeder Augenblick erwarteten, den Gesandten herunter und auf die umherwogende Menge fliegen zu sehen. Für die Uebrigen standen zehn Pferde und wohl an dreißig Tragkissen bereit. Da man auf letzteren à la turque sitzen und gleichfalls hoch oben über den armen anderen Sterblichen schweben und schwanken mußte, so entsagte ich, in gewohnter Bescheidenheit, solchem hervorragenden Sitze und wählte mir eins der Pferde aus. Es waren nette, kleine Thiere, mit europäischen Sätteln, aber leider so kurzen Steigbügeln, daß meine Kniee, nachdem ich aufgesessen, beinahe die Brust berührten. Jeden Cavalleristen hätte eine Gänsehaut beim

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_262.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)