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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


preußischer Accuratesse, wie auf Commando, nieder und einige halblaute „Himmel, sie krachen schon“ oder „Herr, legen Sie mir Ihre Beine nicht in den Schooß!“ waren die einzigen Anzeichen, daß diese Art der „Besitzergreifung“ eine uns nicht alltägliche und süßgewohnte war. Daß ewige Schleppsäbelgriffe den Vor-, respective Nebenmännern empfindlich in die Rücken oder Weichen gebohrt und ewige Hüte plattgedrückt wurden, rechne ich natürlich nicht zu den Unglücksfällen. Wir saßen doch!

Und nun verlas der König seine Antwort, leider in siamesischer Sprache, sodaß ich über ihren staatsmännischen Werth kein ganz competentes Urtheil haben kann; ich weiß nur, daß die verlesende Stimme kräftig und wohllautend war. Dann folgten Fragen allgemeinen Inhalts, z. B. ob Preußen im Kriege mit Frankreich sei, was man ja dazumal noch mit einem vernehmlichen „Nein“ beantworten konnte; ferner, wie viel Schiffe die preußische Marine habe, eine schon heiklere Frage, da die Anzahl derselben im gesegneten Jahre 1861 noch keine imposant wirkende war. Der Gesandte nannte deshalb auch – mit jenem richtigen Seherblicke, wie er sich in großen Momenten entschlossenen Männern mitunter aufthut – die Anzahl der Schiffe, die wir etwa jetzt so stolz sind, unser eigen zu nennen. Diese Unterhaltung ging übrigens nicht direct durch den Dolmetscher, sondern der König wandte sich zuerst an einen seiner Großwürdenträger, den sogenannten „Sprecher“, Dieser wiederholte das Gesagte dem Dolmetscher und durch Jenen erst gelangte es an den Gesandten, während dessen Antwort denselben Weg zurückging. Nach einigen Hin- und Herreden griff der König zum Säbel und erhob sich, worauf auch wir natürlich sämmtlich aufsprangen.

Die ganze Zeit über war die Haltung des Königs eine durchaus stattliche und angemessene gewesen, wie überhaupt die ganze Versammlung nur den Eindruck bestärkte, den wir gleich beim Betreten der Halle empfangen. Die fast majestätische Würde des Königs ließ uns seine freundlich entlassende Handbewegung mit wirklich ehrerbietigen Verbeugungen beantworten.

In den Hof zurückgetreten, wurden wir zu einem kleinen Nebengebäude und in ihm wieder eine enge, schmale Treppe hinauf in ein nicht sehr großes, europäisch eingerichtetes Zimmer geführt. Hier stand eine lange, gedeckte Tafel mit vielen silbernen Schüsseln besetzt. Es wurde uns ein europäisches Diner servirt, bei dem der Minister des Auswärtigen die Honneurs machte. Beim Champagner brachte Graf Eulenburg das Wohl des Königs von Siam aus, in das wir mit donnerndem Hoch einstimmten.

Nach dem Diner wurden wir zu einem anderen, eleganteren Gebäude geleitet, und dort, in seinen Wohnzimmern, empfing uns nun König Maha-Mongkut „in Privataudienz“. Bei unserm Eintritte stand er unweit der Thür in seinem gewöhnlichen, bequemen Hausanzuge. Eine blaue Jacke, seidener Sarong, eine kleine schottische Mütze und – tadellose Schuhe und Strümpfe bildeten diese Negligétoilette. Von dem Gesandten ihm namentlich vorgestellt, wurde Jeder von uns mit einem Händedrucke beehrt. Dann führte er uns zu einem Tischchen, auf dem schon eingeschenkte kleine Sherrygläser standen, und reichte sie uns einem Jeden höchst eigenhändig. Er trank auf das Wohl unseres Königs, und als wir in drei urkräftigen Hurrahs Bescheid thaten, strengten wir unsere Lungen absonderlich an, da uns durch den Minister (dolmetschlicher Weise) verrathen worden war, Seine Majestät habe unser vorheriges Hochrufen zu seinen Ehren gehört und nachdem sein Glaube, wir hätten aus – Hunger so geschrieen, berichtigt worden war, ein ungemeines Wohlgefallen an dieser europäischen Sitte gefunden. Er lächelte auch jetzt höchst befriedigt und händigte dann Jedem Allerhöchstselbst eine Cigarre ein.

Ob des Königs Nachfolger, Somdetsch-Tschanfa, mit unter den vier der neunundvierzig Kinder war, die an jenem Tage den Vater umgaben und – nebenbei gesagt – das Netteste und Artigste waren, was man sich nur denken kann, vermag ich nicht zu sagen. Unsere wirklich ganz belebte, gemüthliche Unterhaltung mit dem Herrscher währte eine geraume Zeit. Zuletzt wurde er gefragt, ob unsere Musik sich hören lassen dürfe, was er eifrigst bejahte. Kaum erklangen die ersten Töne, als er auch schleunigst hinabging und, hart an den Instrumenten stehend, ein Stück nach dem andern sich vorspielen ließ. Endlich verabschiedete er uns ungemein gnädig.

Und während ich diese Zeilen schreibe, fällt mir ein, daß die mir damals gespendete Cigarre noch immer in meinem Besitze ist; ich hole sie hervor und betrachte das braune Röllchen mit nachdenksamem Blicke. Dieses elende Ding besteht noch, und ihr freundlicher Geber, König Maha-Mongkut, der kräftige, einsichtsvolle Herrscher, der Mann, der redlich bestrebt war, seinem Volke möglichst zu nützen, indem er dem Uebermuthe der Großen thunlichst steuerte und dem Handel und Wandel die Thore öffnete, der unumschränkte Gebieter über so Vieler Leben und Sterben – ist längst zu Asche geworden. Memento mori!

Sieben Uhr Abends erreichten wir die Gesandtschaft wieder.

So wäre ich denn am Schluß des ersten Capitels meines kleinen Reisebuches, des Capitels „Bangkok“, angelangt und könnte mich, unter den üblichen und in meinem besonderen Fall auch ganz wohlangebrachten Entschuldigungen der ungewandten Feder verabschieden. Oder sollte ich Sie, meine gütige Freundin, deren Nachsicht ich ohnehin schon gemißbraucht, etwa noch mit statistischen Tabellen über Größe und Einwohnerzahl des Landes und seiner einzelnen Provinzen, oder mit detaillirten Marktberichten über seine Naturproducte und Industrie-Erzeugnisse langweilen? Fürchten Sie nichts! Nur von meinem kleinen Standpunkt aus sollten Sie das Land überblicken, nur mit meinen Augen es sehen, und ich bin für diese Dinge ziemlich – blind gewesen. Von Ausfuhrartikeln sind mir nur das prachtvolle Teakholz, das unsere Werften viel zu Schiffsbauten verwenden, der Reis und die Gewürze aufgefallen und diese auch wohl nur, weil sie mein, des eifrigen Seemanns und passionirten Reisessers, specielles Interesse erregten. Im Gebiete der Statistik aber ist mir die einzige Thatsache im Gedächtniß geblieben, daß Siam auf einem Flächengebiet von über 900,000 Quadrat-Kilometer etwa 6 Millionen Einwohner aufzuweisen hat. Das meine ganze Gelehrsamkeit in diesem Punkte!

Vielleicht führe ich Sie, meine Gnädige, das nächste Mal wieder nach dem glühenden Asien, vielleicht aber auch in kühlere Regionen. Weiß ich es doch selbst noch nicht! Wohin es aber auch sei, folgen müssen Sie mir nun blindlings und ohne Murren; haben Sie sich doch selber in meinen Erzählungen Plan und System von vornherein verbeten. Auch in diesem Befehl, wie immer, ganz – Dame!

O weh! das frevle Wort ist unaufhaltsam der Feder entschlüpft, fußfällig aber bitte ich deshalb um Vergebung und, mich selber strafend, verbanne ich mich für heute von Ihrem Angesicht.

Wollten Sie solcher Reue und Buße gegenüber ungerührt bleiben? Sie vermögen es nicht. Ich kenne Ihr nachsichtiges Herz. Ich sehe Ihr schönes Auge mir in Gnaden leuchten; ich höre Ihr vergebendes „Absolvo te!“, und freudig dankbar die Friedensbotschaft entgegennehmend, durchfliege ich, entlasteten Gemüthes, weiter die fernen Meere, als meiner gnädigen Freundin

allezeit getreuester Verehrer     
J. v. A.          ³




Friedrich Hecker.

Nun ist der alte Volkstribun von Achtundvierzig, den das Volk in unzähligen Liedern verherrlichte, im fernen Amerika gestorben. Der unerbittliche Tod hat das schwache Fähnlein deutscher Republikaner in diesem Jahre stark gelichtet; dem Ruge, dem Heinzen ist am 24. März auch Friedrich Hecker zu der großen Armee gefolgt. Nicht in Amt und Würden, wie seine früheren Gesinnungsgenossen, die sich mit der neuen Ordnung der Dinge versöhnt hatten, hat er auf heimischem Boden sein mühevolles Leben beschlossen; er starb in freiwilliger Verbannung als schlichter Privatmann, weil er an den Principien der radicalen Freiheit treu festhielt und den alten Groll gegen das monarchische Wesen beharrlich im Herzen trug. Aber auch alle diejenigen, welche mit uns in dem constitutionellen Kaiserreich das Heil unseres Volkes erblicken, werden ihm schwerlich aus diesem Republikanismus einen Vorwurf machen können; denn das ideale Ziel, welches als ein leitender Stern der Entwickelung der Völker voranleuchtet, muß stets höher dastehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_264.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)