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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

zu den Knaben sagen. „Das ist der Hecker!“, zwar fahndete die Polizei auf den breiten Heckerhut mit der rothen Gocklerfeder und ließ die Heckerbärte rasiren, aber lange noch erhielt sich im Volke der Spottruf gegen die Polizei „Der Hecker soll leben!“ Und ein humoristischer Sagenkreis bildete sich in der düsteren Reaktionszeit um diesen verpönten Ruf. So erzählt man, daß einmal ein Handwerksbursche bei Constanz in den Bodensee gefallen war, während zwei Gensd’armen am Ufer auf- und abgingen. Auf die Hülferufe des Ertrinkenden achteten die Biedermänner nicht. Da griff der Handwerksbursche zu einem Radicalmittel und rief aus Leibeskräften. „Der Hecker soll leben!“ Flugs sprangen die Polizisten in’s Wasser und retteten den Hochverräther, um ihn zu verhaften.

In der neuen freien Heimath erfüllte Hecker mit Ruhe seine Bürgerpflicht, und wie er dort das Waldland klärte und auf seiner Farm in der Nähe von Summerfield in dem Staate Illinois fleißig hinter dem Pfluge ging, das Alles hat schon früher die „Gartenlaube“ ausführlich ihren Lesern berichtet. (Vergl. Jahrg. 1872, Nr. 24) Als aber in dem Secessionskriege die Sache der Freiheit bedroht wurde, da griff auch Hecker zum Schwert, und mit seinem alten Kampfgenossen Sigel führte er dem General Fremont ein Regiment zu.

Er wußte würdig seine Stellung in diesem Freiheitskriege zu behaupten, und schwere Wunden trug er in der Schlacht bei Chancellorsville davon. In den Jahren des Friedens war er dagegen ein eifersüchtiger Hüter der inneren Freiheit der Union; er stand vor Allem auf den Schanzen, wo es galt, die andrängende Fluth der Römlinge zurückzudämmen, und ein Abschnitt aus dem letzten Briefe Hecker’s an den unvergeßlichen Begründer unseres Blattes, seinen treuen persönlichen Freund, wird ohne Zweifel für unsere Leser diesseits und jenseits „des großen Teiches“ von Interesse sein:

„Sie haben wohl gelesen lieber Freund,“ schreibt er an Ernst Keil, „wie die Schwarzen unseren Freischulen den Krieg erklärt haben, und welchen Kampf wir gegen dieselben zu kämpfen hatten und noch kämpfen. Anfangs herrschte hier in der Nation eine bodenlose Gleichgültigkeit. Die Amerikaner sind eben wie die Franzosen, was außer Amerika liegt, ist ihnen total fremd. Von der Organisation, Einheit, Macht und dem Einfluß des Vaticans haben sie der weitaus größten Mehrzahl nach auch nicht den blassesten Begriff, besonders da in ihrer Geschichte keine Kämpfe mit Rom, wie in der alten Welt, verzeichnet sind. Endlich ist das Volk aus seiner Indifferenz aufgerüttelt worden, hat die Gefahr wenigstens theilweise begriffen und ist zu seinem Freischulsystem gestanden. Im Staate New-Jersey haben trotz allen Anstrengungen von der Kanzel herab, im Beichtstuhle und in den Familien die Schwarzen es doch zu nicht mehr als 2000 Stimmen bei einem katholischen Votum von über 20,000 gebracht, sind also ferm gehauen worden. Es ist auch das Kriegsgeschrei gegen die ‚gottlosen confessionslosen Freischulen‘ im Augenblicke schon mehr verstummt, und scheint die Losung: „eifrige stille Wühlerei“ ausgegeben zu sein. Daß die schwarze Wühlerei sich auf Seite der demokratischen Geldverwässerer geschlagen hat, ist nicht zu verwundern. Sie wissen recht gut, diese Pfaffen, daß ihr Weizen nie besser blüht und trägt, als in Zeiten allgemeiner Calamität, Zusammenbruchs und Bankerotts; darum sind sie für Nationalbankerott, besonders da sie hier gewaltiges Vermögen sturmsicher angelegt haben.

Seit Jahr und Tag habe ich gegen diese finstere Bande auf der Bresche gestanden und fast ohne Beistand gekämpft und habe nun die Befriedigung, nicht erfolglos mein canonisches kirchenrechtliches und kirchengeschichtliches, altes und nettes Rüstzeug hervorgeholt zu haben.

Glauben Sie mir, lieber Freund, hier ist die Gefahr größer als drüben, da man hier die republikanische Freiheit für finstere Zwecke gebraucht und zur Erwürgung der Freiheit mißbraucht.

Bald haben wir hier mehr Klöster, Congregationen und Vereine, als Italien und Frankreich zusammen und das steuerfreie Vermogen der Vaticanler wächst in mächtigen Proportionen; Geld aber ist Macht. Wenn Sie Sadlide’s ‚Catholic Directory, New York 1875‘ durchgehen würden Sie erstaunen, welche Macht Rom hier bereits besitzt, und das Buch des Redemptoristen-Vater Michael Müller, ‚Public school education, New York 1875‘, würde Ihnen einen Begriff geben, mit welcher maßlosen Frechheit und verlogener Unverschämtheit die Schwarzen bereits hier auftreten.“

Aber in der neuen Welt, in der er Glück und Ruhe fand, wurde er keineswegs seiner alten Heimath untreu. Für die deutsche Sache schlug stets sein Herz. Er vertrat mit Nachdruck die Interessen des Deutschthums in den Vereinigten Staaten, und mit Freuden begrüßte er 1871 in seiner zu St. Louis gehaltenen großen und glanzvollen Rede das neuerstandene Reich; wenn er aber mit der inneren Gestaltung desselben sich nicht zufrieden gab, wenn sich sein Freiheitsdrang in dem Rahmen unserer Gesetze zu stark beengt fühlte, wer konnte gerade ihm das verargen; war er denn nicht ein „naiver Republikaner“?

Selbst der Besuch, den Hecker seiner alten Heimath im Jahre 1873 (vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1873, S. 17, 382, 526 u. 659) abstattete, konnte ihn nicht versöhnen. Ja, er ging wieder über das Meer, nachdem er mit der Polizei, seiner alten Feindin, in einen leichten Conflict gerathen war. Als Hecker nämlich in Frankfurt am Main im „Brüsseler Hofe“ abgestiegen, beabsichtigte die „Deutsche Volkspartei“ ihm einen Fackelzug zu bringen. Schon wurden die Fackeln hergeschafft – aber ebenso schnell von der Polizei confiscirt, Da zog die Menge ohne Lampions vor den „Brüsseler Hof“, doch Hecker, der nichts Gutes ahnte, zeigte sich nicht. Endlich trat er, durch eine Deputation bewogen, vor das Portal. Aber in demselben Augenblicke rief ein Polizeicommissar mit heiserer Stimme: „Hier darf keine Volksversammlung abgehalten werden; im Namen des Gesetzes fordere ich alle Anwesenden auf, aus einander zu gehen.“ Ohne ein Wort gesprochen zu haben, zog sich der alte Achtundvierziger zurück; Deutschland war kein Boden mehr für seine Bestrebungen. Aber drüben nahm er regen Antheil an der weiteren Entwickelung des Reichs und vor Allem an den Fortschritten der deutschen Wissenschaft und den Werken deutscher Kunst. Nun bringt der elektrische Funke die Nachricht von seinem Tode, die Nachricht, die ihn, den Halbvergessenen, noch einmal lebhafter in die Erinnerung unseres Volkes zurückruft.

So schroff er auch unserem heutigen Streben, da wir uns in anderen Bahnen bewegen gegenüberstand, eines müssen wir wiederholen: im Herzen des deutschen Volkes verdient er ein dankbares Andenken; denn sein Streben war auf die Größe und Freiheit des Vaterlandes gerichtet, und sein Streben war edel und gut!




Die Selbstverwaltung Berlins.

Ein Wort der Abwehr gegen ministerielle Angriffe.
Von Franz Duncker.

Eine genauere Darlegung der Selbstverwaltung Berlins ist gewiß jeder Zeit von allgemeinstem Interesse. Wie viel mehr in einem Augenblicke, wo der höchste Beamte des deutschen Reiches, Fürst Bismarck, die Anklage gegen dieses Gemeinwesen geschleudert hat: die mit dem Einschätzungswesen betrauten Bürger der Stadt ließen sich durch politische Abneigungen zu falsch gegriffenen Abschätzungen hinreißen, das Finanzsystem Berlins sei im höchsten Maße reformbedürftig und entspreche den Aufgaben, die einer so großen Verwaltung gestellt werden müssen, in keiner Weise.

Ich hoffe durch die Schilderung, welche ich hier von dem Wesen der Berliner Communalverwaltung in großen Zügen zu geben versuche, die Leser der „Gartenlaube“ freilich für eine der Auffassung des mächtigen Reichskanzlers direct entgegenstehende Ueberzeugung zu gewinnen. Ich folge bei derselben dem trefflichen, in alle Details eingehenden Verwaltungsbericht des Berliner Magistrats über die Gemeindeverwaltung in den Jahren 1861 bis 1876, der in zwei stattlichen Bänden vor mir liegt; denn gerade in dieser Zeit hat die Entwickelung Berlins den höchsten Aufschwung genommen und haben zugleich in der Gemeindeverwaltung selbst die bahnbrechendsten Reformen stattgefunden. Ueberall aber, wo es erforderlich scheint und mir Material vorliegt, werde ich die Darstellung bis zur Gegenwart herabführen und dieselbe ebenso für die Vergangenheit hier und da aus meinen Erinnerungen als Berliner Kind ergänzen.

Berlin ist das größte Gemeinwesen des deutschen Reiches, welches im Wesentlichen seine Angelegenheiten durch die freie Thätigkeit seiner Bürger, und nur insoweit diese nicht ausreicht, durch besoldete Beamte verwaltet, diese aber werden durch die eigenen Organe der Bürgerschaft gewählt und für die eigentlich regierenden Stellungen im Magistrat nur auf sechs- bis zwölfjährige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_266.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)