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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

nun aus Wuth diesen todtschießen oder selber den Schlag bekommen, wenn er hört, was sein Sohn gethan – wird den Spott der Welt über sein neugebackenes Grafenthum, das so bald in die Brüche gegangen, absolut nicht ertragen; wird wüthen wie ein Berserker; ist nichts zu thun, als still sein, warten, für’s Erste sich nicht rühren. Das steht in Gollheim’s Briefen. Solche Dinge muß das arme Kind, die Grasmücke, lesen, als sie kaum in Hamburg angekommen. Soll warten! Ich bitte Dich, auf was? Soll still sein – bis sie vergessen ist etwa? Natürlich schreibt sie mir Alles, sendet mir die Briefe des jungen Herrn – ich kann ihr nicht auf der Stelle zu Hülfe kommen, muß drüben in New-York den Tag abwarten, an welchem mir contractlich der Kaufschilling für meine Farm zu bezahlen ist, aber was thut das, ich weiß ja Dich hier, bist Advocat, wirst es verstehen, dem Junker und seiner Sippe die Zähne zu zeigen – so schrieb ich der Lily – schrieb ihr: still sitzen, warten, sich’s gefallen lassen, bange werden? Nichts da! Reisest augenblicklich hinein in das alte Nest, logirst dort bei Schallmeyer, meinem alten Freund, und läßt Dir Deinen Bruder, den Aurel, holen – der wird schon das Richtige anzugeben wissen. Sobald ich kann, komm’ ich selber. Sie gehorcht mir auch, das gute Kind, reist hierher, kehrt bei Schallmeyer ein, und dann – dann befällt sie die Angst. Du, Aurel, Du bist ein großes Thier geworden, muß sie hören – ein Minister! Gehörst selbst zu der vornehmen Bande, und, was noch schlimmer, Schallmeyer will wissen, daß Du mit der Schwester des Junkers verlobt seiest – ist wie ein Wetterschlag für die arme Grasmücke. Weiß nichts zu thun, als an ihren Ludwig zu schreiben – den aber überfällt ebenfalls die Angst, wagt nicht, zu ihr zu kommen, fleht sie nur an, stille zu sitzen; wenn es sein muß, will er auf und davon gehen, irgend wohin, in die Berge, die Alpen, will sie dann nachkommen lassen – wovon sie dort leben wollen, sagt er nicht, der Windhund – so lange soll sie schweigen, warten …“

„Er ist nicht zu ihr gekommen?“ fragte Aurel dazwischen.

„Hat’s nicht gewagt, und deshalb – magst Du, Aurel, mit seiner Schwester verlobt sein oder nicht, Minister sein oder nicht – jetzt bin ich da – und der alte Lanken, weißt Du, läßt sich nicht bange machen, weder durch kleine, noch durch große Thiere. Und nun, da Du Alles weißt und ich Dich auf den Boden des Sackes habe sehen lassen, schenk mir noch einmal von Deinem Burgunder ein – mir ist von dem vielen Sprechen die Kehle trocken geworden.“

„Und mir,“ versetzte Aurel, halblaut und mehrmals tief Athem holend, während er nach seinem Tuche griff, „mir ist die Stirn davon feucht geworden.“

Dann schenkte er seinem Vater das Glas voll; seine Hand zitterte dabei nervös; er füllte so rasch, daß das Glas überfloß, setzte die Flasche hin und ging schweigend auf und ab.

Der alte Republikaner war anscheinend beschäftigt, sich zu einer neuen Cigarre zu verhelfen; darüber fort beobachtete er scharfen Auges seinen Sohn. Dieser blieb endlich stehen. Die Hände auf dem Rücken, das Haupt gesenkt, bohrte er, in Gedanken versunken, mit der Fußspitze in eine grüne Knospe in dem Teppichmuster auf dem Boden, als ob er sie zertreten wolle.

Der alte Lanken lehnte sich, als er seine Cigarre in Brand gesetzt hatte, in den Divan zurück, streckte die Beine weit aus und sagte:

„Nun, Minister – was beschließest Du? Ich habe Dir meine Karten offen gelegt. Was spielst Du jetzt aus?“

Aurel fuhr aus seinen Gedanken empor.

„Um ein Spiel handelt es sich nicht, Vater,“ sagte er, „sondern um sehr ernste Pflichterfüllungen. Ihr habt dort drüben – ich bedauere, Dir das sagen zu müssen – eine todesernste Sache viel zu sehr als Spiel behandelt, eine Sache, bei der ich nicht ganz begreife, wie Du nicht vorher festere Bürgschaften für das Glück Deines Kindes, für die Aufnahme, welche Lily hier finden würde, verlangt hast –“

„Bürgschaften! Verlangen! Hatte gut verlangen! Drüben hat das junge Volk seinen eigenen Willen …“

„Nun ja – drüben mag Manches in anderem Lichte erscheinen. Hier aber handelt es sich jetzt, wie gesagt, um strenge Pflichterfüllungen. Du hast Deine erste gethan, indem Du zum Schutze Deines Kindes über’s Meer gekommen bist – hierher. Ich werde die meine thun, als der Bruder meiner Schwester. Zuerst will ich sie sehen. Und das sogleich. Willst Du mich zu ihr führen?“

„Gewiß, in jedem Dir beliebigen Augenblick.“

„So laß uns gehen! Gleich jetzt!“

Aurel klingelte dem Bedienten und ließ sich Hut und Handschuhe bringen. Der alte Lanken leerte sein Glas, und Vater und Sohn gingen.




5.

Als sie in Schallmeyer’s Hotel garni angelangt waren und der alte Herr einem jungen Stubenmädchen, das ihnen öffnete, gesagt hatte, sie wünschten bei „Mistreß Brown“ gemeldet zu werden, versetzte das damenhafte junge Wesen mit einem ganz überflüssigen heitern Aufleuchten ihrer Miene, welches Aurel auffiel, die englische Dame gehe im Hausgärtchen lustwandeln. Dann öffnete das Mädchen eine unter dem Treppenabsatze am Eude des Hausganges befindliche Thür und deutete auf die Gestalten von zwei jungen Leuten, die im Rahmen der geöffneten Thür, weitab im Hintergrunde des Gartens ein ganz anmuthiges Tableau bildeten. Lily, die Grasmücke, oder „Mistreß Brown“, wie sie hier im Hause hieß, saß da, angethan mit einem hellen Kleide, allerlei Blumen und grünes Blätterwerk im Schooß haltend und sich damit beschäftigend, als ob sie einen Strauß daraus zu binden vorhabe, wobei sie sehr oft ihr lockig über den Nacken hinabfließendes Haar, das durch ein schmales blaues Band über der Stirn festgehalten ward, über die Schulter zurückwarf; sie that das mit einer unnachahmlich anmuthigen Bewegung ihrer kleinen Hand. Sie saß auf einer Gartenbank, die an den Sockel einer alten verstümmelten Steinfigur geschoben war, einer Figur, die eine alte griechische Göttin von jedenfalls den besten Intentionen für die sterbliche Menschheit darstellte; denn sie streckte einen Arm wie schützend, segnend oder irgend eine Gabe bringend aus, nur daß man nicht mehr sagen konnte was; denn dem Unterarme war die Hand abgeschlagen. An den Sockel mit der linken Schulter gelehnt, die Hände auf die Rücklehne der Bank stützend, beugte sich ein junger Herr über Lily, der einen kurzen blauen Morgenrock und ein hellrothes Halstuch mit flatternden Zipfeln trug, was ihm, in Verbindung mit seinem sommerlichen Strohhut, etwas Schäferliches gab.

Er redete sehr eifrig auf Lily ein – die Gruppe war jedenfalls so, daß sie in einem nichtsnutzigen Stubenmädchen Gedanken erwecken konnte, wie sie soeben der verständnißinnige Blick der die Thür öffnenden Schönen verrathen hatte. Der alte Lanken und Aurel näherten sich mit raschen Schritten dem Paare. Lily hatte die Kommenden mit einem leisen Ausruf der Ueberraschung wahrgenommen, fixirte einen Augenblick den durch ihre Anmuth ganz frappirten Aurel und erhob sich dann, mit beiden Händen die Blumen aus ihrem Schooße fortschiebend; sie ging dem Vater und dem, der Niemand anders als ihr Bruder sein konnte, entgegen – ein wenig langsam, ein wenig mit wankenden Schritten, ein wenig furchtsam vor dem viel besprochenen vornehmen Bruder.

Dieser aber streckte ihr bewegt beide Hände entgegen und sagte mit vor Rührung unterdrückter Stimme:

„Lily, theure Schwester!“

„O, Sie sind mein Bruder Aurel! O, Sie sehen so gut und lieb aus – Sie werden Ihrer armen Schwester gut sein. Bruder, werden Sie?“

„Wer würde nicht einem so lieben Wesen gut sein, Lily, wenn es außerdem noch seine Schwester ist?“ entgegnete Aurel, die schmale Hand der „Grasmücke“ zwischen seinen beiden haltend und in ihre hellen, andächtig zu ihm aufschauenden Augen blickend. Er begriff jetzt, weshalb sein Vater sie die „Grasmücke“ nannte; sie sah so hell und lustig aus den Augen und es war etwas so Duftiges, Leichtes in der ganzen Erscheinung – man mußte bei ihrem Anblick in der That an einen kleinen Vogel denken. Und wie ein leichtbeschwingter Vogel war sie ja jetzt auch dahergekommen, über’s Meer herübergeflogen, als ob das für sie gar keine Sache wäre, gar nicht der Rede werth.

„Daß wir so lange gelebt haben, ohne von einander zu wissen!“ fuhr Aurel fort.

„Was hätte Euch das ‚von einander wissen‘ genützt,“ fiel hier der alte Lanken ein, der bis jetzt mit den Augen dem jugendlichen Schäfer mit dem rosenrothen Halstuch gefolgt war, welcher bei dem Kommen der beiden Herren still und bescheiden bei Seite getreten war und eben in dem Buschwerk verschwand, welches den Hintergrund des Gartens hinter der menschenfreundlichen Statue ausfüllte – „was hätte es Euch genützt, so lange Ihr so etwas wie Antipoden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_274.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)