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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Und diesem wüsten Aeußeren entsprach ein nicht minder wüstes Innere.

In solchem Zustande befand sich das „hohe Haus“, als 1872 das erste Säcularjahr der Wiedervereinigung der Weichsellande mit Preußen herannahte. Ehe noch das große Festcomité in Danzig zusammengetreten war, erschien in der „Nationalzeitung“ ein Artikel „Das Hochmeisterhaus in Marienburg“ von dem Verfasser dieser Zeilen, worin auf die kläglichen Mißstände, die bei dem bevorstehenden Feste um so greller hervortreten würden, aufmerksam gemacht wurde. Gleichzeitig wurde bei dem Comité in Danzig der Antrag gestellt, dasselbe möge die Wiederherstellung der Marienburg anzustreben suchen, und das Comité nahm auch diesen Punkt in sein Programm auf, es scheinen aber keine Verhandlungen mit der Staatsregierung über denselben stattgefunden zu haben.

Die drei Festtage des September, 12., 13., 14., brachen herein; Marienburg, als der frühere Fürstensitz, als der Mittelpunkt der Ordenslande, war als Ort der Festlichkeiten ausersehen, und es wurde nun vom Comité Alles aufgeboten, was sich überhaupt aufbieten ließ. Der frühere Glanz, wie er in der goldenen Aera des großen Hochmeisters Winrich von Kniprode bei der Anwesenheit fürstlicher Gäste sich zu entwickeln pflegte,

Die Marienburg: Stadtflügel.
Auf Holz gezeichnet von H. Heubner.

schien sich zu wiederholen, als unter den Fanfaren von den Zinnen der Burg der historische Ritterzug aus dem Portal hervor und um den Denkmalsplatz Friedrich’s des Zweiten zog, als Kaiser Wilhelm in dem Speiseremter des Hochmeisters mit den Notabeln der Provinz die Ehrentafel hielt. Ueberall in Burg und Stadt war Freude und Jubel; Illumination und bengalische Beleuchtung fanden hier an den architektonisch schönen Verhältnissen der Burg und der charakteristischen Bauart der Privathäuser der Stadt ein ungemein günstiges Feld für ihre Wirkungen, und namentlich erregte auch der himmelanstrebende Thurm des, „hohen Hauses“ durch sein wechselvolles Farbenspiel und elektrisches Licht allgemeine Bewunderung.

Aber in diesem strahlenden Festglanze machte sich ein dunkler Punkt schmerzlich bemerkbar. Das war das „hohe Haus“ mit seinen unheimlichen Magazinluken, aus denen ab und zu der schrille Ruf von Käuzchen und Eulen erscholl. Hatte es wirklich nicht, wie die übrigen Theile, vermöge seiner ursprünglichen Bestimmung und Ausstattung dasselbe Recht am Feste? Umschloß es nicht gerade alle jene Räumlichkeiten, in denen sich das ganze Leben des Ordens und seiner weltlichen und geistlichen Brüder abspielte? Waren nicht in ihm, dem „hohen oder rechten Hause“, die Räume, in denen der Jungherr seinen schweren Dienst antrat? Empfing hier nicht unter dem unverbrüchlichen Gelübde der Armuth, der Keuschheit, des Gehorsams der Ritter einst den Ritterschlag? Lagen hier nicht die einzelnen Zellen wie die großen gemeinsamen Schlafsäle, der große elffenstrige Conventsremter, die Wohnungen für den Hauscomthur, für den Tresler mit den drei Schatzkammern? Schmückten endlich diesen Theil nicht die Haupträume, die heiligsten Räume der ganzen Burg, des ganzen Landes? Hier war der mit Malereien und Sinnsprüchen geschmückte Capitelsaal; hier war es, wo unter der mit dem Bilde der heiligen Jungfrau geschmückten Marienkirche, in der Begräbnißcapelle der Hochmeister für den todten Bruder das letzte requiescat gesungen wurde. Und wo fanden die Brüder, wenn sie nicht auf einem schweren Winterfeldzuge im Kampf mit den Preußen, Lithauern ober Polen ein rühmliches Ende gefunden hatten, ihre letzte Ruhestätte ? Ebenfalls hier, und zwar die Hochmeister in der unter der Begräbnißcapelle gelegenen Begräbnißgruft und die übrigen Brüder aus dem von der Begräbnißcapelle rings um das „hohe Haus“ sich ziehenden Wallgang, Parcham genannt.

Dieses im Leben aller Ordensbrüder so hochwichtige, bedeutungsvolle Haus erlebte 1876 zugleich mit der Stadt Marienburg das sechshundertste Gründungsjahr, aber abgesehen von einer kurzen Notiz über das für die Provinz wichtige Ereigniß in der „Danziger Zeitung“ trat Niemand als Anwalt für die gesunkene Größe öffentlich auf. Die im nächsten Jahre stattfindende Enthüllungsfeier des Denkmals Friedrich’s des Zweiten unter Anwesenheit des Kronprinzen brachte zwar wiederum eine Menge von hohen und niederen Gästen nach Marienburg, doch für das „hohe Haus“ keine bestimmte Aussicht auf Erweckung aus seinem Schlafe; nur hörte man unter der Hand, daß der Kronprinz ein warmes Interesse für Marienburg gezeigt habe. Um dieses Interesse aber mehr und mehr und in weiteren Kreisen anzuregen, veröffentlichte der Verfasser dieses Artikels kurz vor jenen Festtagen eine Broschüre unter dem Titel. „Das hohe oder rechte Haus“, worin eine geschichtliche Uebersicht der baulichen Verhältnisse der Burg bis in die neueste Zeit gegeben wurde. Die Veröffentlichung einer solchen Schrift schien um so wünschenswerter, als die in dem Häbler’schen Tagebuche enthaltenen Mittheilungen, sowie die hochinteressanten Notizen von Quast’s den Wenigsten zugänglich geworden und diejenigen Blankenstein’s gar nicht unter die Leute gekommen sind.

Es war um die Zeit, als das schönste aller Kirchenbauwerke gothischen Stils im Westen Deutschlands, der Kölner Dom, seiner Vollendung entgegenging. Aller Aufmerksamkeit richtete sich, selbst inmitten politischer und kirchlicher Wirren, auf dieses durch die vereinten Kräfte des deutschen Volkes in Gemeinschaft mit dem Willen des hohen kaiserlichen Protectors möglich gewordene Werk. Die Freunde und Verehrer der Marienburg sahen in der Vollendung jenes westlichen Bauwerkes einen Stern für das Werk im Osten aufgehen und traten daher im Frühjahr 1879 in Marienburg selbst zu einem Comité zur Wiederherstellung des „hohen Hauses“ zusammen; sie kamen zu der Ansicht, daß jetzt der geeignete Zeitpunkt sei, eine Petition an den k. Cultusminister des Inhaltes zu richten: derselbe möge die nunmehr durch die Vollendung des Kölner Domes flüssig werdenden Staatsgelder behufs Wiederherstellung des „hohen Hauses“ der Marienburg auf den nächsten Etat bringen.

Da aber inzwischen der Cultusminister Dr. Falk zurück- und an seine Stelle Herr von Puttkamer getreten war, so wurde die Petition an den Letzteren mit einer etwas veränderten Ansprache abgesandt, und schon nach einigen Wochen ging an den Vorsitzenden des Comités ein günstiges Antwortschreiben des Ministers ein.

Diesem folgte auch sehr bald die That, indem eine Ministerialcommission, bestehend aus den Geheimen Bauräthen Spieker und Adler, Baurath Blankenstein und Regierungsrath Ehrhardt, am 17. October 1879 in Marienburg eintraf, um das „hohe Haus“ einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_284.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)