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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

gute alte Bekannte, wenn nicht mehr – Lanken habe Schallmeyer auf Befragen nur angegeben, er nehme sich in ihr einer amerikanischen Landsmännin an …“

„Was kann sie ihm denn sein? Er wird doch nicht …?“

In diesem Augenblick öffnete sich im Hintergrunde eine Thür; ein Diener trat ein und meldete:

„Der Herr Minister Excellenz wünscht dringend die Ehre zu haben.“ Der Graf fuhr unangenehm überrascht in die Höhe.

„Wer?“ rief er aus, „der Minister Lanken? Nun ja – ich werde ihm freilich nicht ausweichen, wenn … sagen Sie, es werde mir angenehm sein – Sie, Becker, gehen Sie jetzt, halten Sie den Schallmeyer warm! Man weiß nicht, wozu man den Mann noch gebrauchen kann.“

Becker ward jetzt aus einer Wespe zu einem Taschenmesser und verschwand mit einer tiefen Verbeugung durch die offene Gartenthür. Durch die Thür im Hintergrunde, deren beide Flügel der Bediente geschäftig öffnete, trat gleich darauf Aurel Lanken ein.

Graf Gollheim ging ihm, nachdem er sich langsam erhoben, entgegen und reichte ihm die Hand, wie aus alter Angewohnheit – in seinen Zügen lag neben der obligaten Freundlichkeit doch auch ein Ausdruck von hochmüthiger Herausforderung, von spöttischem Trotz, wie es Aurel vorkam, sodaß dieser die ihm gebotene Hand nur sehr flüchtig berührte.

„Lassen Sie sich nieder, lieber Lanken!“ sagte der Graf, auf den Armstuhl zur Seite des Schreibtisches deutend, „es ist hübsch, daß Sie kommen, eine arbeitsfreie Morgenstunde mit mir zu verplaudern – uns geplagten Leuten, bei denen die schlimmste Arbeit den lieben langen Tag hindurch im Audienzgeben und im Repräsentiren besteht, bleiben ja gewöhnlich nur die Morgenstunden zur Disposition.“

„Ich bin nicht so glücklich, das von mir behaupten zu können,“ versetzte Aurel, „heute habe ich mich jedoch schon am Morgen von der Geschäftslast frei machen müssen, da ich über sehr wichtige Dinge mit Ihnen zu reden habe, Graf Gollheim.“

In Gollheim’s Augen blitzte wieder etwas von jenem spöttischen Trotz auf, den Aurel bei der ersten Begrüßung darin wahrzunehmen geglaubt. Während Dieser sich setzte, seinen Hut hinlegte und langsam seine Handschuhe auszog, antwortete Jener rasch:

„Ich hoffe nicht, daß Sie damit auf Unangenehmes deuten. Man hat sich leider im Leben durch so viel Schlimmes durchzuschlagen, daß man sich zum Gesetz machen sollte, nicht durch langes Versprechen noch zu verschärfen und zu verbittern, was man besser schweigend hinnimmt. Es ist das ja, Gott Lob! auch zu etwas wie einem Gesetz des guten Anstands und der guten Erziehung geworden!“

„Ich bin ganz Ihrer Meinung, mein verehrter Graf,“ entgegnete Aurel, ihn scharf fixirend, „und verstehe, nebenbei gesagt, sehr gut die Andeutung, welche Sie mir machen wollen. Ich werde auch das Gesetz des ‚guten Anstandes‘, an das Sie mich erinnern, nicht verletzen, indem ich von Ihnen selbst und persönlich Erklärungen fordere, die ich hinreichend verständlich durch Ihr Fräulein Tochter erhalten habe, welche mir eine Mittheilung und Aufklärung über den Grund und die Bedeutung ihrer plötzlichen Abreise schuldig zu sein glaubte –“

„Regina hat Sie vor ihrer Abreise am gestrigen Morgen gesprochen, Ihnen geschrieben?“ fiel der Graf lebhaft ein.

„Sie hat mir geschrieben,“ erwiderte Aurel.

„Nun ja,“ sagte Gollheim, „so wären wir ja der Erklärungen und des weiteren Debattirens überhoben – Sie sagten eben selbst so – und können, wie bisher, gute Freunde bleiben, Jeder vom festen Boden seiner Position, seiner Lebensanschauungen aus dem Anderen die Hand zu guter Cameradschaft geben – in politicis freilich harmoniren wir nicht immer, aber Jeder achtet des Anderen Standpunkt.“

Gollheim legte sich mit einer überlegenen Grandezza in seinen Sessel zurück und warf den Kopf in den Nacken.

Aurel fixirte ihn eine Weile. Er dachte wohl mit einem gewissen gutmüthigen Mitleid, wie bald er diese hochmüthige Selbstsicherheit, mit der Gollheim ihn behandelte, niedergeschmettert und in Kummer und Verzweiflung verwandelt sehen werde. Zögernd antwortete er deshalb:

„Sie irren doch, lieber Graf. Der Erklärungen sind wir nicht überhoben; denn mit meiner schweigenden Unterwerfung unter die Autorität, welche Sie über Ihr Fräulein Tochter ausgeübt haben, hören die persönlichen Fragen zwischen uns nicht auf – leider und zu meinem aufrichtigen Bedauern nicht. Doch handelt es sich um etwas Anderes, als Sie vorauszusetzen scheinen. Ich bin nicht gekommen, um mit meinen Vorstellungen und der Sprache meines Gefühls für Regina an Ihr Herz zu appelliren –“

„Es wäre das, wie die Dinge nun einmal liegen, in der That auch unnütz,“ fiel trocken und hart Gollheim ein.

„Es wäre wohl unnütz – wahrscheinlich,“ fuhr Aurel fort, „und so führt mich eine andere Angelegenheit zu Ihnen. Es handelt sich nicht um Ihre Tochter, sondern um Ihren Sohn.“

„Um Ludwig?“ sagte der Graf aufhorchend.

„So ist es. Sie haben ihn auf weite Reisen geschickt –“

„Nun ja; ich war leider zu diesem Opfer durch sein Brustleiden gezwungen; die Aerzte wollten es ja nicht anders. Und jetzt sag’ ich. Gott Lob! Er ist als ein gesunder, kräftiger Mensch von seiner Weltreise zurückgekehrt – ich kann jetzt fest bauen auf die Zukunft meiner Familie, meines alten Hauses. Ich werde nächstens der Frage einer Vermählung für ihn näher treten, wie sie seinem jetzigen Stande angemessen ist.“

„Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern mittheilen, daß Sie einer solchen Bemühung überhoben sein dürften.“

„Wie ist das zu verstehen?“

„Ludwig hat eine Wahl bereits getroffen.“

„Ah – Ludwig – eine Wahl?“

„So ist es.“

„Ohne mein Vorwissen?“

„Ohne Ihr Vorwissen.“

„Unglaublich! Undenkbar! Mein Sohn eine Wahl ohne mich?“

„Und doch muß ich Ihnen die Versicherung geben, daß dem so ist.“

„Eine würdige Wahl dann doch hoffentlich?“

„Daran ist kein Zweifel; ich wenigstens darf keinen Zweifel daran verstatten.“

„Sie? Wie ist das nun wieder zu verstehen?“

„Sie werden es gleich verstehen. Ludwig hat sich längere Zeit in Brooklyn aufgehalten –“

„Ich denke, ich erhielt dorther ein paar Briefe von ihm.“

„Nun wohl, er hat dort eine[WS 1] junge Dame kennen gelernt –“

„In Brooklyn – eine Amerikanerin – eine Engländerin?“

„Halb eine Amerikanerin, halb eine Deutsche – und zwar meine Schwester, meine Halbschwester, aus einer zweiten Ehe meines Vaters.“

„Ah – Ihre Schwester – die Tochter dieses Ehrenmanns von Thierarzt, der uns hier …“ Gollheim’s Stimme war in ihren zornigen Discant übergegangen, aber er beherrschte sich und hielt die für Aurel beleidigenden Worte, die er ausstoßen wollte, zurück, um aufzuspringen und nur heftig fortzufahren:

„Sie werden einsehen, Excellenz, daß ich von kindischen Geschichten, welche Ludwig drüben in Amerika getrieben haben mag, keine Notiz zu nehmen Lust habe. Ist er doch selber so vernünftig gewesen, mir damit nicht zu kommen, und das berechtigt mich wohl, alles Eingehen auf solche transatlantische Abenteuer abzulehnen.“

„Vielleicht, wenn es sich um ein bloßes Abenteuer handelte. Darum handelt es sich hier aber leider nicht.“

„Bah – er mag sich zehnmal dort drüben verliebt oder gar hinter meinem Rücken verlobt haben – ich werde darin nie etwas anderes als ein Abenteuer sehen, mit dem ich bitten muß hier verschont zu werden.“

„Er hat sich nur leider – ich bedaue, Sie nicht mit dieser Erklärung verschonen zu können – er hat sich leider dort drüben mit meiner Schwester trauen lassen – verheirathet – und seine junge Frau ist ihm hierher nachgefolgt.“

Graf Gollheim sank in seinen Sessel zurück. Er sah Aurel mit immer größer werdenden Augen an; es zitterte ein eigenthümliches Flimmern über seine wie verglasenden Augensterne; Aurel fürchtete einen Augenblick, daß den Grafen der Schlag treffen werde. Aber nach kurzer Weile bewegte Gollheim sich wieder; er stemmte langsam beide Arme auf die Lehnen seines Sessels, erhob sich, murmelte etwas, das Aurel nicht verstand, und ging, die Hände auf dem Rücken, den Kopf vornübergesenkt, auf und ab. Sein Schritt wankte dabei, als sei alle körperliche Energie in ihm geknickt – nach einer Weile blieb er stehen, schüttelte den Kopf, strich mit der Hand über die Stirn, und sagte mit gedämpftem und wunderlich verändertem Ton:

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ein
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_290.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)