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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Kastanien lieblich beschatteten Häuschen, das man schon von außen an der über einer Ladenthür hängenden Riesenpfeife als den Wohnsitz eines Drechslers erkennen konnte, Halt machte, um dem drinnen am Tretrade fleißig schaffenden Meister einen Sangesgruß darzubringen. Ein gar interessantes Bild war es, wenn dann der Handwerksmann, dessen Schurzfell zu dem imposanten, lockenumwallten Kopfe, den von innerem Feuer leuchtenden Augen und der ganzen geistig vornehmen Erscheinung einen seltsamen Contrast bildete, aus seiner Werkstatt heraustrat und mit sichtbarer Lust dem Liede lauschte, das sich so frisch den Lippen der Sänger entschwang. Als gedrucktes Blatt war dieses Lied einst von hier hinausgedrungen in das Volk, und aus den Schwingen der Töne kehrte es jetzt zurück zur Stätte seiner Geburt, zu dem, der es in’s Dasein gerufen. Der Schauplatz dieser Scene nämlich ist das Heim Karl Weise’s.

Das Leben unseres Volksdichters ist das eines einfachen Handwerksmannes. An dem denkwürdigen Tage, an welchem eine Schaar der verbündeten Preußen und Russen den Franzosen Halle an der Saale wieder entriß und dem schmachvollen Reiche des „ König Lustig“ für immer ein Ende bereitete, erblickte Karl Weise in einem Keller jener Stadt unter dem Getümmel des Kampfes das Licht der Welt. In der Verwirrung, welche plündernde Kosaken in seinem Geburtshause anrichteten, ward er in dem Fragment einer alten Essigtonne gebadet - ein böses Omen für sein ihm vom Schicksal oft genug gründlich versäuertes Leben. An eine sorgfältige Erziehung war unter den armseligen Verhältnissen seiner Familie ebenso wenig zu denken, wie in der Armenschule, die er als Knabe besuchte. Zwar kam er später in die Freischule der Franke’schen Stiftung, doch sehr früh angehalten, für seinen Lebensunterhalt mit sorgen zu helfen konnte er diese nur höchst unregelmäßig besuchen, und er erwarb sich trotz seiner außergewöhnlich reichen geistigen Begabung nur die allernothwendigsten Kenntnisse.

Indessen Manches, was aus diese Weise an der Abbildung seines Geistes versäumt wurde, holte er in der Schule des Lebens nach. Als Austräger der „Jenaer Literaturzeitung“ kam er mit den Hallenser Musensöhnen vielfach in Berührung, die Gefallen an dem geweckten, wenn auch wilden und übermüthigen Knaben fanden und durch deren Verwendung er die sehnsüchtig begehrte Stelle eines Currendeschülers erhielt. Die Gunst seiner Lehrer verscherzte er sich jedoch durch Spottgedichte, durch welche er sich für die von denselben im Uebermaße erhaltenen Strafen rächte.

Eines dieser Spottgedichte kam einer blinden Dichterin Namens Elise Schmidt, in deren Hause Karl Weise mit anderen Currendesängern verkehrte, zu Ohren. Sie erkannte das dem Knaben innewohnende dichterische Talent, und ihrem Bemühen gelang es, die in seinem Innern schlummernden Keime des Guten und Schönen zu wecken und seinem Streben fortan eine edlere Richtung zu geben. - Als nach seiner Einsegnung die Wahl eines Berufes an ihn herantrat, entschied er sich für das seinem ästhetisch veranlagten Sinne am meisten zusagende Drechslerhandwerk, aber auch der Drechslerlehrling blieb noch der Poetenschüler der blinden Dichterin, unter deren Leitung er sich eine außerordentlich fließende Versform aneignete, sodaß jenes Sprüchlein, das Theodor Fontane später dem Freienwalder Meister gewidmet, auch schon auf den Lehrling paßt.

„Er drechselt Pfeifen in guter Ruh
Und manchen hübschen Vers dazu.

Im Jahre 1848 siedelte Karl Weise von Berlin aus, wo er einige Jahre als Geselle gearbeitet hatte , nach dem oben genannten märkischen Städtchen über, um sich dort als Meister niederzulassen, und bald darauf verheirathete er sich mit einem ihn treu liebenden, sinnig gemütvollen, wenn auch armen Mädchen aus Schlesien Namens Henriette Milde. Die Wahl seines Wohnortes, in dem er den Kampf der Concurrenz mit mehreren Meistern des gleichen Handwerks aufzunehmen hatte, erwies sich als keineswegs glücklich, sodaß Noth und Sorgen bald bei ihm einkehrten und sich leider dauernd in seinem Hause niederließen. Nur selten noch, „wenn er Sonntags sein schmutzig Schurzfell abgelegt“, wie Goethe vom Hans Sachs singt, und „im saubern Feierwamms“ die heimischen Wälder durchstreifte, erwachte in ihm die Lust des Singens und schenkte ihm ein Lied.

Zehn Jahre hatte Karl Weise so unter Noth und Sorgen in Freienwalde durchlebt, als im Frühling des Jahres 1858 ein für den Drechslerpoeten warm begeisterter junger Gelehrter, Dr. Melchers, seine Bekanntschaft suchte und ihn in der dringlichsten Weise aufforderte, mit einem größeren Werke seiner Dichtkunst an die Oeffentlichkeit zu treten. Der biedere Handwerker sträubte sich, den Spott der Welt fürchtend, anfangs ganz energisch gegen die Ausführung dieses Vorschlages, allein sein gelehrter Freund drängte ihn endlich fast gewaltsam zur Herausgabe einer Sammlung seiner Gedichte; er solle, so meinte er, diese Sammlung dem damaligen Altmeister der deutschen Dichtkunst, Friedrich Rückert, zum siebenzigsten Geburtstage, der in jene Zeit fiel, widmen. So wurde denn der Druck eines Bändchens, „Blumen der Wälder“, beschlossen, das im Selbstverlage des Dichters erschien. Um den Meister zu einem Widmungsgedicht für den Dichtergreis zu begeistern, machte der Freund ihm die gesammelten Dichtungen Rückert's in Prachtband mit dem Portrait desselben zum Geschenk. Mit steigender Begeisterung durchlas Weise die Rückert'schen Poesien und faßte den Gedanken, sein Widmungsgedicht dem zierlich kunstvollen „Rosenliede“ Rückert's nachzubilden. Doch wie er sich auch den Kopf zerbrach, das Gedicht wollte nicht zu seiner Zufriedenheit gelingen.

„Meine fleißige Henriette,“ so schildert Weise uns seine hierauf bezüglichen Versuche, „meine Henriette, die gewohnheitsmäßig bis gegen Mitternacht bei der Nadel zu sitzen pflegt und von der Herausgabe meines Buches keine Ahnung hatte, staunte nicht wenig, an mir plötzlich einen so späten Abendgesellschafter zu erhalten. Ihre Freude darüber aber war keineswegs groß; denn erstens konnte wegen meines angestrengten Grübelns und Schreibens von einer Unterhaltung nicht die Rede sein, und zweitens zog ich zum Verdruß der sparsamen Hausfrau den Docht des kleinen Oellämpchens viel zu weit heraus. Mehr als einmal wurde ich, durch meine hirnzerbrechende Arbeit ohnehin gereizt, empfindlich, wenn sie mir den Leuchtstoff dermaßen verringerte, daß ich beim Schreiben kaum die Buchstaben zu unterscheiden vermochte. Als sie aber gar mein anhaltendes geistiges Schaffen eine unnütze Beschäftigung nannte, da konnte ich nicht anders, als ihr meinen Plan offenbaren. Statt aber durch freundliches Beipflichten, wie ich es von ihrem sonst so zartsinnigen Gemüth erwarten durfte, Oel in mein aufflackerndes Dichterstrohfeuer zu gießen, machte sie nur abwehrende Geberden was mich, da sie in mir übertrieben erscheinender Sparsamkeit mir auch noch die Verschwendung des theuren Oels und Papiers vorhielt, so in Harnisch brachte, daß ich aufsprang, dem Alkoven zuschritt und mich dort mißmutig unausgekleidet auf’s Bett warf. Ermattet von meiner zwiefachen Anstrengung, der des Körpers den Tag über und der des Geistes bis in die halbe Nacht hinein, sank ich in einen kurzen Schlaf. Wieder erwacht, wollte ich mich eben auskleiden als ich, durch das Alkovenfenster blickend, im Wohnzimmer einen ungewohnt hellen Lichtschimmer gewahrte. Ich lüftete die Gardine ein wenig, und siehe da, beim hellflackernden Lämpchen saß meine sparsame Hausfrau, die das Nähzeug bei Seite gelegt hatte, und – las im Rückert’schen Prachtwerke, ohne an die Verschwendung des theuren Oels zu denken. Ihr Schreck war kein geringer, als sie mich, den sie tief in den Federn wähnte, plötzlich eintreten hörte, und das Einziehen des Lampendochtes sowie das Wiederergreifen des Nähzeuges war das Werk eines Augenblickes. Als ich sie darüber zur Rede stellte, daß sie mich um des ‚theuren Oels‘ willen zu Bette geärgert habe, während sie dasselbe noch nach Mitternacht bei unnützem Lesen verschwende, da machte sie gute Miene zum bösen Spiel, lachte mich schelmisch an und sagte, das Buch müsse wohl ein Magnet sein, da sie, nachdem sie blos hineingeblickt und ein Verslein gelesen habe, nicht wieder loszukommen vermocht. ‚Ja, wenn Du solche Liederle mache könntest, Männele,‘ fügte sie in ihrer schlesischen Mundart hinzu, ‚dann wollt ich kei Wörtl mehr sagen von wegen des theuren Oels.‘ Schnell zog sie den Docht wieder höher, nahm Rückert's Prachtbuch wiederum zur Hand, und ein herzensfreudiges: ‚Horch nur!‘ vorausschickend, begann sie zu lesen:

,Des verstorbnen Töchterchens
Bild im Arbeitszimmer,
Frische Blumen aus dem Wald
Holend, schmück' ich's immer. –
Jüngst kam mir mein lebendes
An der Thür entgegen' – – .

‚Mache Schluß, liebes Kind!‘ unterbrach ich sie und verhehlte ihr mein Erstaunen nicht, daß sie ein so warmes Gefühl

für Anderer Geisteskinder habe, während sie mein nächtliches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_296.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)