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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

zwar in den Besitz eines kleinen Grundeigenthums gelangt, allein es lastet auf demselben eine Hypothekenschuld von mehreren tausend Thalern; die Furcht vor dem Verlust seines Heims schwebt wie ein Damokles-Schwert über seinem Haupte, namentlich jetzt, nachdem ihn seit dem vergangenen Herbste eine schwere, langwierige Krankheit ganz schaffensunfähig gemacht hat.

Eine Ehrenpflicht des Volkes wäre es wohl, dem wackeren Dichter der „Handwerkerbraut“, des „Familienlebens“ und „Der Läuter aus dem Ruhlathale“ die schweren Tage des Greisenalters erleichtern zu helfen und ihm einen Ehrendank für die Gaben seiner Dichtkunst darzubringen. Möge die Anregung dazu hiermit gegeben sein![1]




Die Franzosen in Afrika.

Eine zeitgemäße Betrachtung.

Mehr als fünfzig Jahre sind bereits verflossen, seitdem in Algier sich ein Vorfall ereignete, welcher der damaligen französischen Regierung die willkommene Veranlassung gab, Algier mit Krieg zu überziehen und zu erobern. Der Dey dieses afrikanischen Küstenstaates richtete damals wegen geringfügiger Geldstreitigkeiten ein eigenhändiges Schreiben an den König Karl den Zehnten von Frankreich, und als dieses unbeantwortet blieb, verlangte er von dem französischen Gesandten Aufklärung über das merkwürdige Benehmen der ihm befreundeten Regierung, erhielt aber die übermüthige Antwort, der König von Frankreich brauche die Briefe eines Dey von Algier nicht zu erwidern. Da sprang der beleidigte Dey auf und versetzte dem Gesandten einen Schlag mit dem Fliegenwedel. Dieser Schlag kostete dem Dey sein Königreich. Am 25. Mai 1830 stach eine Expedition mit 100 Kriegsschiffen, 27,000 Seesoldaten und 37,000 Mann Landungstruppen von Toulon aus in die See, und wenige Wochen darauf eroberten die Franzosen die Hauptstadt des feindlichen Landes, wobei der gesammte Staatsschatz im Betrage von 48 Millionen Franken, Waaren im Werth von 11 Millionen Franken und 1500 Geschütze in ihre Hände fielen.

Heute – Anfang April – während wir diese Zeilen niederschreiben, rüstet Frankreich in demselben Hafen von Toulon eine ähnliche Expedition aus, welche wiederum gegen die nordafrikanische Küste, diesmal gegen Tunis, gerichtet ist. Die Veranlassung zu dem Feldzuge gaben räuberische Einfälle tunesischer Stämme in das algerische Gebiet, und die Züchtigung der wilden Khrumirs wird als das Endziel der neuen Expedition bezeichnet. Aber wie vor fünfzig Jahren der wirkliche Grund zum Krieg in dem Bedürfniß der französischen Nation, Kriege zu führen und Eroberungen zu machen, gesucht werden mußte, ebenso bilden heute die tunesischen Wirren nur die äußere Veranlassung zu der militärischen Machtentfaltung der gallischen Republik in Nordafrika. In Wirklichkeit handelt es sich um die Begründung der französischen Herrschaft in einem bisher wenig bekannten, aber von der Natur reich gesegneten und dicht bevölkerten Welttheile.

Als der „Gloire“ wegen die Monarchie arabische und kabylische Stämme unterjochte, da dachte kein Franzose daran, daß später Algier die Basis bilden werde, auf welcher die dritte Republik ein großes Colonialreich, ein „französisches Indien“ begründen würde. Mit gutem Recht konnte man sogar die neue Eroberung als nutzlos verurtheilen; denn Algier hatte weder gute Häfen, noch eine productive Bevölkerung; um sie dem Mutterlande nutzbar zu machen, hätte man in der Colonie Ackerbau-Ansiedelungen in’s Leben rufen müssen, aber in dieser Beziehung erwiesen sich die Franzosen stets als unfähige Colonisten; ihre Nation vermehrt sich in äußerst schwachen Verhältnissen, und sie hat daher keinen Ueberschuß an frischen Kräften, mit denen sie brachliegende Länder cultiviren könnte. Dagegen verfügt das französische Volk über große Capitalien, mit denen es in volkreichen Ländern kulturelle Arbeiten verrichten und fremde Nationen ausnutzen kann. Für solche Capitalanlagen war aber Algier ein äußerst ungünstiges Gebiet.

Fast mit einem Schlage haben sich diese Verhältnisse in letzter Zeit geändert. Nachdem Amerika und Australien in den breitem Strom der Civilisation aufgenommen waren, richtete die kaukasische Rasse ihre Aufmerksamkeit auf das Innere Afrikas; muthige Forscher drangen tief in den „dunklen Welttheil“ ein und brachten überraschende Nachrichten von dem Reichthume und der Bevölkerung der verschollenen afrikanischen Länder heim. Mungo Park, Clapperton, Denham, die Gebrüder Lander, Caillé, Barth, Rohlfs und Nachtigal waren die Pioniere der europäischen Cultur in jenen Gegenden, an deren Küsten bis vor Kurzem nur die Jagd auf den „schwarzen Menschen“ ausgeübt wurde. Von ihnen erfuhren wir zuerst, daß der Sudan, das Innere Afrikas, für den Welthandel noch andere viel wichtigere Producte enthalte. Auf seinem fruchtbaren Boden gedeihen nicht nur Weizen, Gerste, Reis, Zwiebeln, Erdnüsse und Bohnen, welche die Eingeborenen für ihren eigenen Bedarf bauen, sondern auch kostbare Colonialproducte wie Baumwolle, Indigo, Kaffee, Pfefferarten und Ingwer; dort stehen noch dichtgedrängt Waldungen von Bäumen, aus denen Gummi, dieser wichtige Handelsartikel, bereitet wird; dort wächst der Butterbaum, Bassia Parkii, der ein vielbegehrtes Fett liefert; Sudan ist die Heimath der Straußenfedern und des Elfenbeins. Auch das harte „Eisen wächst in seiner Berge Schacht“, und sogar das gelbe Gold wird in ihm gefunden. Wird doch selbst bei der primitiven Gewinnungsmethode der Neger aus dem einen Bezirke Bouré Gold im Werthe von 2,000,000 Mark jährlich nach Timbuctu gebracht.

Aber der Sudan ist nicht nur ein Land, aus welchem Schätze ausgeführt werden können, er ist auch ein großes künftiges Absatzgebiet für die Industrie Europas; denn es bewohnt ihn eine dichte Bevölkerung, die gern die europäischen Waaren, die Producte der Spinnerei, sowie die der Metall- und Glasindustrie gegen die Erzeugnisse ihres heimathlichen Bodens eintauschen würde. Außer Timbuctu finden wir in ihm noch viele andere Städte, deren Einwohnerzahl man auf 40 bis 60,000 Seelen schätzt, und das ganze Land wird von Millionen – man spricht von 50 Millionen - Menschen bewohnt.

Wie kam es nun, daß dieses gegen drei Millionen Quadratkilometer große, von mächtigen Flüssen durchströmte Land den unternehmungslustigen Völkern Europas so lange unbekannt blieb? Die merkwürdige Isolirung des Sudanlandes war durch die Beschaffenheit seiner Grenzmarken bedingt. Im Norden erschwerte die Sahara dem Fremden den Zutritt; im Westen und Südwesten ist es von dem Atlantischen Ocean durch eine sumpfige, mit mörderischem Klima ausgestattete Küste getrennt; im Osten und Südosten wird es durch Länder, die bis jetzt unerforscht sind, begrenzt. Keine natürliche Handelsstraße führt nach dem Lande Sudan; wenn es in den Strom des Welthandels aufgenommen werden soll, so muß man zu ihm künstliche Straßen bauen. Zwar versuchten bei der ersten Kunde von dem Reichthume Sudans die Engländer den Nigerstrom hinauf in das Innere des Landes vorzudringen, aber sie mußten schon in seinem unteren Laufe an den Wasserfällen von Boussa Halt machen und kehrten unverrichteter Dinge zurück. Einem anderen Volke scheint die Erschließung dieser neuentdeckten Welt beschieden zu sein.

In Frankreich tauchten bald großartige, fast abenteuerliche Projekte auf, welche die Herstellung einer Handelsverbindung zwischen Sudan und den französisch-afrikanischen Colonien, Algerien und Senegal, bezweckten. So plante man, die Sahara aus der Welt zu schaffen und die Wüste in ein Binnenmeer zu verwandeln, welches französische Handelsschiffe befahren würden. Und als dieser Plan wegen der unberechenbaren Folgen, die seine Ausführung nach sich ziehen könnte, zeitweilig aufgegeben wurde, traten französische Ingenieure mit neuen Projecten auf: Nach den Einen sollte das Dampfroß in der sandigen Wüste mit den Kameelen die Concurrenz aufnehmen, nach den Anderen von der französischen Colonie an der Westküste Afrikas – von Senegal aus – eine Eisenbahn in das Innere des Landes geführt werden. Das sind Schienenstränge von 2600 und 1300 Kilometer Länge, die zusammen

über eine Milliarde Franken kosten würden, aber das

  1. Inzwischen haben sich folgende Berliner Blätter erboten, Sammelstellen zu diesem Zweck zu eröffnen: „Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung“, „Das Berliner Tageblatt“, „Die Post“ und „Die Staatsbürgerzeitung“. Dorthin sind also Beiträge für den Ehrendank zu richten! Mögen sie reichlich fließen und dem verdienstvollen, nunmehr erkrankten Volksdichter einen sorgenlosen Lebensabend schaffen!
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_298.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)