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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


mit Hörnern, zottigem Felle und langem Schwanze. Dann folgte die Musikbande, deren lustiger ungarischer Marsch aber fast ganz übertönt wurde durch das Jubelgeschrei der Hunderte von Menschen, welche sich um den nachfolgenden ‚Block‘ drängten. Der mächtige Eichenbaum, sammt Wipfel und Wurzeln, lag auf Rädern und wurde von einem schön angeputzten Kutscher, der vorn auf dem Baum stand, und eine ganz extrafeine Peitsche in der Hand hielt, geführt. Die Deichsel des Wagens bestand aus einer etwa fünfzig Meter langen Kette, in welcher im Abstande von ein bis zwei Metern Querhölzer eingefügt waren, an welchen die Bursche zogen. Sie hatten große Blumensträuße und lang hinflatternde Bänder auf den breitkrämpigen Hüten. Die Jacke fehlte; dafür glänzten die schneeweißen Hemdärmel um die kräftigen Arme, und wie lustig herausfordernd blitzten die muntern blauen Augen der Bursche nach allen Seiten, wenn die Spottreden und Witzworte der begleitenden Menge so hageldicht auf sie einstürmten! Eine besonders treffende Bemerkung über die jungen Hagestolze wurde stets mit nicht enden wollendem Jubelgeschrei gelohnt. Die Verhöhnten aber sahen nichts weniger als gedemüthigt aus und lachten selber meist am lautesten mit.

In einiger Entfernung von diesem Gefährt folgte der zweite, kleinere ‚Block‘, von den Dirnen gezogen, die hoch erglühend, aber doch auch innerlich befriedigt, die strenge Musterung ihrer nebenher ziehenden Freundinnen aushielten. Es mochte wohl mehr als Eine darunter sein, die nur zu gut wußte, daß sie den ‚Block‘ zum letzten Mal zu ziehen habe. Wie verlassene und vergrämte alte Jungfern sahen die drallen Dirnen wahrhaftig nicht aus!

Zwischen diesen beiden Hauptgruppen bewegten sich wohl an hundert Masken, die mitunter grotesk, mitunter aber auch wirklich geschmackvoll herausstaffirt waren. Da gab es einen Scheerenschleifer mit seiner Frau, einen Narren, auf einem Esel reitend, ein Leierkastenfräulein, welches durch einen sieben Schuh langen Holzknecht dargestellt wurde; ein ebensolcher baumlanger Mensch gab eine Engländerin zu Pferde ab, und unser alter weißhaariger Kuhmeister thronte als Schenkwirth mit weißer Schürze auf einem mächtigen Weinfasse, das von sechs Bären gefahren wurde. Dann gab es noch Kapuzinermönche und zerlumpte Handwerksburschen, Schneider und Barbiere, Essenkehrer und Müller in bunter Reihenfolge. Da sich der Zug sehr langsam bewegte, hatten die einzelnen Masken Zeit, hier und da in ein Haus zu treten, wo man sie freigebig mit Wein und Branntwein, ja sogar mit Geld beschenkte. Durch diese Gaben erhöht sich natürlich die Feststimmung mit jeder Minute, aber – zur Ehre unserer Landleute muß es gesagt sein – es kommen keine Rohheiten oder Excesse vor. Selbst der kernigste Volkswitz, selbst die beißendsten Spottreden gegen die ‚Blockzieher‘ halten sich meist in den Grenzen des Anstandes.

Auf dem Marktplatze angelangt, lassen die Bursche und Dirnen, alle zugleich, rasselnd die Kette zur Erde fallen und flüchten in die bergenden Räume der Schenke. Es beginnt die Versteigerung der ‚Blöcke‘, welcher sich unmittelbar das Tanzvergnügen anschließt.

Was sich vielleicht lange gesträubt und geflohen hat, das findet sich häufig beim ‚Blocktanz‘ zusammen; wenigstens soll es erwiesen sein, daß es niemals mehr Hochzeiten in der ‚grünen, gesegneten Steiermark‘ giebt, als im Jahre nach einem solchen ‚Blockziehen‘.“




Blätter und Blüthen.


Ein Wort an meine Correspondenten. Seit einiger Zeit vermehren sich die aus dem weiten Leserkreise der „Gartenlaube“, namentlich aus Deutschland, an mich gerichteten Anfragen über amerikanische Verhältnisse so bedenklich, daß es für mich unmöglich ist, dieselben auch nur oberflächlich zu beantworten. Bereits vor acht Jahren nahm ich, um den damals hochgeschwollenen Strom der auf mich eindringenden Briefe etwas in Schranken zu halten, meine Zuflucht zu einem „offenen Antwortschreiben“ in diesen Blättern,[1] welches ich den verehrten Lesern der „Gartenlaube“ auf’s Neue in’s Gedächtniß zurückrufen möchte. Während eines vollen Jahres nach der Veröffentlichung jenes offenen Antwortschreibens pflegten die an mich gerichteten Episteln freilich etwas spärlicher einzutreffen, in neuerer Zeit aber schreiben mir meine vielen unbekannten Freunde wieder ellenlange Briefe und fragen darauf los, daß es nur so eine Lust ist. Mitunter hat es fast den Anschein, als hielten diese Briefschreiber mich für den Präsidenten einer Einwanderungs-Gesellschaft oder gar für den Inhaber eines Intelligenz-Bureaus, dessen Pflicht und Amt es sei, über amerikanische Verhältnisse Auskunft zu ertheilen – eine Annahme, gegen welche ich als einfacher Kaufmann, der zu seinem Vergnügen nebenbei ein bischen schriftstellert und daher seine Zeit zu Rathe halten sollte, energisch protestiren muß.

Die Naivetät der an mich gestellten Fragen ist oft fast unglaublich; die Vorstellung, welche meine Herren Correspondenten sich von den amerikanischen Verhältnissen machen, so confus, wie nur möglich. Wollte ich eine Blumenlese solcher Briefe in einem Buche publiciren, so würde dies als humoristisches Werk ein Unicum auf dem Büchermarkte bilden. Vielleicht wird die Erklärung, daß ich einen solchen Gedanken als rentable Speculation bei den jetzigen schlechten Zeiten bereits ernsthaft in Erwägung gezogen habe, Diesen oder Jenen davon abhalten, mir ein Sendschreiben zukommen zu lassen, da es den verehrten Briefstellern schwerlich conveniren würde, sich so verewigt zu sehen. Schreibt mir da z. B. Herr N. N. aus Magdeburg:

„Mein Wunsch ist, im fernen Westen ein freies Jägerleben zu führen. Würden Sie mir rathen, selbiges als Geschäft dort zu betreiben? Ich habe hier in der ‚Gartenlaube‘ schon häufiger von sogenannten Trappern und Waldläufern gelesen. Wie ist es möglich, sich mit Einem derselben in schriftliche Verbindung zu setzen? Haben Sie vielleicht einen Bekannten unter diesen Leuten, so bitte ich Sie, mir dessen Adresse mitzutheilen etc. Welche Sachen sind dort theurer denn hier, namentlich in der Waffenequipirung? Welches Capital ist nöthig für Reise- und sonstige Ausgaben? Hier sind mehrere junge Leute, die sich mir zu einem derartigen Unternehmen anschließen wollen.“ –

Die ausgedehnten Fachkenntnisse in den verschiedensten Branchen, welche man bei mir vorauszusetzen scheint, und das Vertrauen in mein gutes Herz sind für mich gewiß sehr schmeichelhaft. Dieser erkundigt sich nach dem Preise und der Qualität des Ackerbodens in Californien und Oregon und scheint es als selbstverständlich anzusehen, daß ich Alles genau kenne, was auf Landwirthschaft Bezug nimmt; Jener verlangt von mir eine möglichst ausführliche Abhandlung über Weinbau und Obstzucht, oder über Lachsfischereien an der pacifischen Küste; europamüde Dienstmädchen fragen in komisch stilisirten Briefen nach dem Salär bei Herrschaften in San Francisco; Handelsbeflissene geben mir ihre Referenzen auf und wünschen ein Engagement, und erst kürzlich schloß ein Briefsteller aus Galizien, der die Absicht hat, in San Francisco eine Schnapsfabrik zu etabliren, seinen langen Brief mit der Frage: „Giebt es dort auch Juden, welche die Preise verderben?“

Daß es mir, ganz abgesehen von der Verantwortlichkeit, solchen Rath zu ertheilen, vollständig an Zeit mangelt, die oben angeführten und hundert andere Fragen selbst beim besten Willen zufriedenstellend zu beantworten, wird man mir wohl auf’s Wort glauben. Was die Verhältnisse speciell in San Francisco anbetrifft, so verweise ich Jeden, der darüber Auskunft wünscht, auf mein früheres offenes Antwortschreiben. Wer aber nach Amerika auswandern und hier ein neues Leben beginnen will, der thue dies auf seine eigene Verantwortlichkeit!

Einen Rath will ich noch hinzufügen: Wer seinen Fuß auf amerikanischen Boden setzt, der halte vor Allem sein Capital zusammen, bis er durch eigene Anschauung genügende Einsicht in die Eigenthümlichkeiten des ihm fremden Landes gewonnen hat! Im Geschäft ist das persönliche Auftreten für Jeden die Hauptsache. Niemand fragt hier nach Empfehlungsbriefen oder Zeugnissen, und noch weniger nach dem, was Einer früher einmal gewesen ist. Jeder muß in persona zeigen, was er leisten kann, und darnach wird sich meistens sein Loos gestalten. Auch arbeiten die Menschen viel angestrengter in Amerika als in Deutschland, und wer glaubt, daß er hier als Weiser spazieren gehen und sein Licht unter den Dummen leuchten lassen könne, der irrt sich gewaltig. Im Allgemeinen gilt die Regel, daß derjenige, welcher sich fremden Verhältnissen leicht anzubequemen versteht, auch in Amerika am leichtesten vorwärts kommen wird. Für ältere, allein stehende Leute mit geringen Mitteln ist das Auswandern aber immer eine Lotterie, welche weit mehr Nieten als Treffer hat.

Noch Eines! Eine Ausnahme im Beantworten von Anfragebriefen will ich stets gern in Fällen machen, wo es in meiner Kraft steht Solchen zu dienen, welche Söhne oder nahe Verwandte, z. B. in San Francisco, haben, deren Anhänglichkeit an ihre Familie durch eine längere Trennung so lau geworden ist, daß sie fremder Ermahnung bedürfen. Es ist mir schon mehrmals eine Freude gewesen, bewirkt zu haben, daß hier lebende Deutsche, welche seit langen Jahren den Ihrigen im alten Vaterlande kein Lebenszeichen zukommen ließen, ihr Unrecht auf meine Ermahnung hin einsahen und sich auf’s Neue zu regelmäßiger Correspondenz bequemten, und daß Andere ihren daheim darbenden Eltern, Geschwistern oder nahen Verwandten hülfreich die Hand reichten und zu der Erkenntniß gelangten, daß Familienbande die engsten und heiligsten unter den Menschen sind und nicht durch Raum und Zeit zerrissen werden sollten. Möchte doch für Solche, denen diese Zeilen zu Gesicht kommen und die sich in dieser Beziehung nicht ganz schuldlos wissen, dieses Schlußwort eine ernste und nicht unbeachtet verhallende Ermahnung dazu sein, das Versäumte durch neu erwachte Liebe recht bald wieder gut zu machen!

San Francisco, Anfang März 1881.

Theodor Kirchhoff.



  1. Ein offenes Antwortschreiben“ „Gartenlaube“ 1873, Nr. 9.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_302.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)