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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

kann hier nicht im Einzelnen dargelegt werden. Wo er nicht neue Wege einschlug, hat er doch durch Schärfe der Beobachtung und Tiefe der Reflexion die betreffenden Wissenschaften mit bedeutsamen Thatsachen vermehrt und durch fruchtbare Gedanken bereichert.

So sehen wir nach Verlauf eines vollen Jahrhunderts die intensive Leuchtkraft dieses Geistes bis in die Gegenwart hinein fortwirken und noch in ferner Zukunft wird Immanuel Kant der wahrheitsuchenden Menschheit ein Führer und eine Leuchte sein:

„Es kann die Spur von seinen Erdentagen
Nicht in Aeonen untergehn.“




Erdbeben und ihre Ursachen.

Nachdem vor kurzer Zeit Agram von einer verheerenden Erderschütterung heimgesucht, Casamicciola aus Ischia von einer solchen fast gänzlich zerstört worden,[1] dürften die nachfolgenden Betrachtungen über Ursachen und Wesen dieser unheimlichsten aller Naturerscheinungen (vergl. „Gartenlaube“ 1868, Nr. 42) den Lesern der „Gartenlaube“ nicht unwillkommen sein. Die beiden angeführten Katastrophen liefern Beispiele für die in ihren Ursachen und Wirkungen gänzlich verschiedenen Hauptgruppen der Erdbeben-Erscheinungen: die einen stehen mit dem Vulcanismus in unmittelbarem Zusammenhange; die andern finden in der Rindenrunzelung unseres Planeten, die durch die Abkühlung und Contraction des Erdinnern bedingt wird, ihre Ursache. Eine dritte und weitaus unbedeutendere Gruppe stellen die Einsturzbeben dar, welche auf Höhlendistricte beschränkt sind, wie sie z. B. der Karst der österreichischen Küstenländer umfaßt. Diese Einsturzerscheinungen werden verursacht durch die unterirdischen Auswaschungsvorgänge im Kalkgebirge, welche allmählich so große Hohlräume erzeugen, daß endlich die Decke zuweit gespannt ist, um die Last zu tragen, und Einstürze die unausweichliche Folge sind; sie sind zumeist nur mit einem ziemlich unbedeutenden Erzittern des nächstgelegenen Terrains verknüpft, während die Schallwirkung viel stärker hervortritt. Man spricht daher von einem Schallphänomen auf der Insel Meleda (1820), von einem solchen des Monte Tomatico bei Feltre (1859); man nennt diese Katastrophen nicht Erdbeben, da die Erschütterung des Bodens nur eine unbedeutende und locale war.

Wenden wir uns zur Betrachtung der viel häufigeren und verderblicheren vulcanischen Erdbeben! Sie gehen stets von einer bestimmten Stelle, dem Schlote eines thätigen oder anscheinend erloschenen Feuerberges, aus. Immer verbreiten sich die Stöße von diesem Centrum aus in radialer Richtung, und stets wird die unmittelbare Umgebung des Vulcans am stärksten betroffen. Die Wirkung ist die einer zu tief gelegten Mine; sie trägt in entschiedener Weise den Explosionscharakter, und es entspricht derselbe auch vollständig den Ursachen, die den vulcanischen Erdbeben zu Grunde liegen. Der Vulcanismus, eine allgemein verbreitete kosmische Erscheinung, beruht nämlich auf dem Ausspratzen der Gase, welche die ungeheuer heiße Materie der Weltkörper absorbirt enthält und bei der Abkühlung ausstößt. In riesigem Maßstabe geht diese Erscheinung, wie die Protuberanzen (Lichterhöhung, vergl. „Gartenlaube“ 1868. S. 570 u. 571) uns lehren, an dem Gluthballe der Sonne vor sich; die Oberfläche des Mondes bietet uns in zahllosen ausgeplatzten Blasen das Bild der Wirkung kolossaler vulcanischer Vorgänge, die an dem Trabanten unserer Erde eben wegen seines kleineren Umfanges um so rascher und vehementer sich abspielen mußten, je schneller die Abkühlung erfolgte. Auf unserer Erde, die in mancher Beziehung die Mitte zwischen der im Jugendzustand befindlichen, glühenden Sonne und dem längst gealterten und erkalteten Mond darstellt, trägt der Vulcanismus eine andere Gestalt. Die gewaltige Erstarrungsrinde verfestigt durch ihren Druck das Erdinnere, welches nur dort in vulcanische Erscheinungen sich Luft machen kann, wo die Rinde einen Bruch, einen Spalt aufweist. Solche entstehen jedoch durch die allmähliche Contraction des Erdinnern in Folge der Abkühlung. Die starke Rinde kann dem schrumpfenden Kern nicht folgen; sie wird gezwungen, sich in Falten zu legen, und bricht an vielen Stellen. An diesen erfahren die heißen und von Flüssigkeit durchtränkten Massen der Tiefe Befreiung von dem Drucke der lastenden Schichten; sie quellen auf und gelangen zur Eruption, welche im wesentlichen als ein Abkühlungsvorgang aufgefaßt werden muß. Durch das Ausstoßen der überhitzten Dämpfe zumal wird eine so beträchtliche Abkühlung der aufquellenden, glühend flüssigen Gesteinsmasse herbeigeführt, daß nach Auswurf einer größeren Menge ergossener oder zerstäubter Lava das Erstarren der noch im Schlote befindlichen herbeigeführt wird. Damit ist der frühere Zustand wieder hergestellt, das Ventil geschlossen und der Druck der Rinde besiegt abermals die Kräfte der Tiefe.

An zahlreichen Vulcanen beobachten wir von Zeit zu Zeit gewaltige Ausbrüche, welche wohl dadurch vorbereitet werden, daß der Erstarrungspfropf, der nach der letzten Eruption den Schlot geschlossen hat, von der inneren Gluth abermals geschmolzen wird. Dann erfolgt eine neue Betätigung der vulcanischen Kraft, bei welcher die Spannkraft der entweichenden Dämpfe abermals die Hauptrolle spielt. Jedem großen Ausbruche pflegen Erderschütterungen voranzugehen; sie scheinen allmählich aus geringerer Tiefe zu kommen und nehmen an Stärke zu, bis der Moment der Eruption eintritt. In diesem wird der Rest des erstarrten Pfropfes, welche im Grunde des Kraters zurückblieb, in die Luft geschleudert; das Ventil ist geöffnet; gewaltige Dampfmassen werden explosionsartig ausgestoßen; ein Theil der im Schlote empor brausenden Lava wird zerstäubt und fällt als Aschen- und Schlackenregen auf den Flanken des Berges nieder, während der weniger von Flüssigkeit durchtränkte nun bereits etwas abgekühlte Rest als Strom abfließt, wenn es überhaupt zur Hervorbringung eines Lavastromes kommt. Die Erderschütterungen aber, welche vor der Eruption die Umgebung des Feuerberges heimsuchten, haben in dem Momente aufgehört, in welchem die Eruption ihren Höhepunkt erreicht hat; sie erneuern sich jedoch zuweilen während des Ausbruches, wenn eine zeitweilige Verstopfung des vulcanischen Schlotes eintritt. Nur in beschränktem Sinne könnte man daher die Vulcane mit den Sicherheitsventilen unserer Dampfkessel vergleichen, da sie nur sehr unvollkommen die Function derselben zu erfüllen im Stande sind.

Fast überflüssig scheint es mir, Belege dafür anzuführen, daß großen Ausbrüchen eine längere oder kürzere Phase von Erdbeben vorauszugehen pflegt. Die Geschichte des Vesuv liefert hierfür zahlreiche Beispiele; so wurde, um nur eines derselben anzuführen, Pompeji wenige Jahre vor dem großen Ausbruche, welcher der Stadt den Untergang brachte, durch Erderschütterungen arg beschädigt.

Der Eruption, welche 1538 binnen wenigen Tagen den Monte Nuovo aus der phlegräischen Feldern (in der Nähe von Neapel) entstehen ließ, gingen langanhaltende Erdbeben voran, welche in der letzten Zeit vor dem Ausbruche furchtbare Stärke erlangten. Diese Erschütterungen, so furchtbar sie auch sein mögen, sind stets von localem Charakter, entsprechend ihrer Ursache. Das beweist auch Casomicciola auf Ischia, das am 4. März dieses Jahres, wie bereits gesagt, durch eine Erderschütterung fast vollständig zerstört wurde, während das Beben an anderen Stellen der Insel viel schwächer, in Neapel aber fast gar nicht verspürt wurde.

Ischia ist seit alter Zeit durch seinen vulcanischen Charakter berühmt; denn Plinius zählt die Insel unter jenen auf, die aus dem Meere empor gestiegen seien, und berichtet von zahlreichen vulcanischen Vorgängen, deren Schauplatz sie war. Auch Virgil meint, daß unter ihr, die er fälschlich „Inarime“ nennt, Typhoeus von Zeus begraben worden sei – jener Typhoeus, dessen Besiegung von Hesiod in solcher Weise erzählt wird, daß der lebendigen Schilderung ein großer vulcanischer Ausbruch zu Grunde zu liegen scheint. Vor wenigen Jahrhunderten hat Ischia einen weiteren Beweis der nicht erloschenen vulcanischen Kraft gegeben, als der große, „Arso“ genannte Lavastrom den Flanken des Epomeo entquoll und, reich cultivirtes Land verheerend, bis zum Meere sich hinabwälzte. Wünschen wir, daß die neuesten Erdstöße aus Ischia nicht den Beginn einer neuen Phase vulcanischer Thätigkeit darstellen! Die Möglichkeit einer solchen liegt nach dem geologischen Bau Ischia’s nahe.

Auch in anderen Fällen haben sich vulcanische Erschütterungen nicht auf größere Entfernungen von ihrem Ausgangspunkte fühlbar


  1. Inzwischen, nach Eingang dieses Artikels, ist bekanntlich auch die reben- und feigenreiche Insel Chios von dem gleichen Schrecknisse ereilt worden.       D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_314.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)