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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„So bin ich arg in eine häßliche Geschichte verwickelt; Graf Gollheim wird sogleich in Folge meiner Aufforderung hier sein – und wenn ich ihm rathe, seinen Frieden mit Ihnen zu machen, wird er triumphirend aus das zurückkommen was er schon gestern behauptete; man wolle ihn zum Opfer eines Schwindels machen; die Documente seien nicht da, gar nicht vorhanden …“

„Er behauptete das vielleicht so bestimmt, weil er schon damals den Entschluß, sich ihrer zu bemächtigen, gefaßt hatte,“ warf Aurel ein.

Der Herzog schwieg wieder eine Weile; dann wandte er sich mit einer gewissen Heftigkeit ab.

„Hören Sie, Lanken,“ sagte er und in seiner Stimme vibrirte der tiefe Verdruß, den ihm persönlich die ganze Angelegenheit machte, „zwei mir so nahe stehende Männer, wie Sie und mein Oberstallmeister, dürfen sich nicht solche Vorwürfe einander machen. Er wirft Ihnen vor, Sie böten die Hand zu einem Schwindel – und Sie werfen ihm vor, er sei ein Dieb. Ich bitte Sie, wohin sind wir da gekommen? Ich kann nicht zwischen zwei Leuten stehen, die in einem solchen Kampfe liegen; Sie müssen selbst begreifen, daß ich den Einen fallen lassen muß, nein, daß ich eigentlich Beide entlassen müßte, wenn ich dadurch nicht jedenfalls Einem Unrecht thäte …“

„Gewiß, Hoheit, ich begreife das … und da hinzukommt, daß in meine Schale noch die Verleumdung und all die Gehässigkeit fällt, welche ein Angriff in der Presse wider mich enthält …“

Aurel fixirte bei diesen Worten den Herzog, um aus seinen Mienen zu lesen, ob er von jenem Angriffe Kunde habe, und der Herzog ließ ihn keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß sich eine diensteifrige wohlwollende Seele gefunden, die höchsten Ortes Alles berichtet hatte.

„Es ist wahr,“ sagte der Herzog, „von etwas Derartigem bliebe mein erster Rathgeber besser unberührt …“

„So ist denn meine Schale die schwerere, Hoheit – und ich glaube deshalb nur Ihren eigenen innersten Gedanken wiederzugeben, wenn ich sage: es ist am besten, ich verzichte aus das Glück, Eurer Hoheit in einer so hohen Vertrauensstellung weiter zu dienen.“

„Thun wir nichts Unüberlegtes, Lanken!“ fiel der Herzog jetzt doch wieder zögernd ein, „aber ich muß Ihnen leider einräumen …“

„Daß auch längere Ueberlegung wohl zu keinem anderen Ergebniß führte,“ fuhr Aurel mit sehr bewegter Stimme fort. „Der Schritt wird mir bei meiner warmen Hingebung für Eurer Hoheit Person sehr schwer – aber er muß gethan werden. Ich werde noch heute mein Entlassungsgesuch einreichen“

Der Herzog wandte sich ab. Er schaute eine Weile schweigend, die Hände auf dem Rücken, zum Fenster hinaus; dann schüttelte er den Kopf, seufzte und wandte sich wieder zu Aurel:

„Ich glaube Ihnen ja, daß die Documente da waren und daß sie Ihnen genommen sind, aber ich glaube nicht, daß Gollheim eines solchen Schurkenstreichs fähig ist, sie Ihnen stehlen zu lassen. Nimmermehr! Und Niemand wird es Ihnen glauben. Niemand! Alles wird gegen Sie sein. Und ich, ich kann Sie nicht in Schutz nehmen gegen den Sturm, der sich wider Sie erheben wird. Das ist die einfache Lage der Sache. Die logische Folgerung ist allerdings …“

„Daß Sie meine Demission annehmen, Hoheit!“

„Leider. Ich bedauere es unendlich; es wird mir sehr schwer mich von Ihnen zu trennen. Sie sind ein Mann von Gemüth, Lanken. Sie brachten in unsere Conferenzen nicht allein einen Kopf für die Geschäfte, sondern auch ein Herz für mich – ich habe das recht wohl durchgefühlt; ich habe auch gehofft, Ihre Dienste blieben mir für immer gesichert, und am Ende würde ich Sie auch heute noch festhalten, wenn …“

„Wenn? Hoheit vollenden Ihre so gütigen Worte nicht.“

„Nun, offen heraus -: wenn Sie so viel Tact besessen hätten, den alten Revolutionär von Vater, diesen alten Roßarzt von hier fern zu halten – wenn ich verschont geblieben wäre mit all den Commentaren, die man in meiner Umgebung darüber gemacht hat und noch macht.“

„Hoheit,“ antwortete Aurel, „Sie haben mir eben den Schmerz, daß ich aus Ihrem Dienste scheiden muß, gemildert durch die gütige Art, mit der Sie das Gemüth betonten, und den warmen Herzschlag, womit ich Ihnen gedient – ich bin stolz auf diese Anerkennung - aber wer seinem Fürsten ein treues Gemüth zeigen kann, der wird auch vor Allem den Vater, und was er ihm schuldet, in der Seele tragen“

Der Herzog nickte gedankenvoll dazu.

„Nun ja, darin haben Sie Recht,“ sagte er, „und nun gehen Sie mit Gott, Lanken! Ich werde nun bald diesen Berserker von Gollheim hier haben – und Sie dürfen ihm nicht begegnen. Adieu, Lanken! Wir werden uns ja wiedersehen – überlegen Sie, welche Stellung Sie von nun an wünschen, und lassen Sie mir Ihre Eingabe darüber zukommen! Die Geschäfte führen Sie natürlich weiter, bis ich Ihren Nachfolger ernannt habe.“

Der entlassene Minister verbeugte sich; der Herzog drückte ihm warm die Hand, und Aurel ging.

Als er dann über den Schloßhof davonfuhr, sah er Gollheim, der den kurzen Weg von seinem Hotel zur Residenz zu Fuß machte, triumphirend und mit langen Schritten daherkommen. Gollheim begab sich zu der befohlenen Audienz bei dem Herzog. Aurel ließ wenige Augenblicke nachher seinen Wagen halten; er befahl, indem er ausstieg, seinem Kutscher heimzufahren und trat mit raschem Entschlusse in das Haus Gollheim’s; in den Empfangssalon geführt, ließ er Regina um eine kurze Unterredung bitten.

Sie kam, noch in ihrer Morgentoilette; unter dem Spitzenhäubchen, das ihrem ausdrucksvollen Kopfe eine weiche, echt weibliche Anmuth gab, erröthete sie hoch vor innerer Bewegung.

„Sie, Aurel!“ rief sie mit einer gedämpften Stimme, in welcher etwas von Schrecken zitterte, aus, „was kommen Sie mir zu verkünden? Wie bleich Sie aussehen!“

„Thu’ ich das, Regina? Dann ist’s, weil ich Ihnen etwas zu verkünden habe, was mir den letzten Hoffnungsanker zerbricht; ich habe vom Herzog eben meine Entlassung erbeten.“

„Und er hat sie Ihnen gegeben?“

„Er hat sie mir gegeben.“

Von Regina’s Wange schwand nun ebenfalls alle Farbe.

„O mein Gott – wie geschah das?“ fragte sie, erschüttert in den nächsten Sessel niedergleitend.

„Es blieb mir nichts Anderes übrig. Ich sah, wie man beim Herzog wider mich gewühlt hatte – und die Handhaben waren ja dazu in Fülle gegeben.“

„Der Vater wird triumphiren,“ fiel Regina ein. „Alles, was ich bei ihm versucht hatte, glitt wirkungslos von ihm ab. Ich mußte ihm ja gestehen, daß Ludwig die unbegreifliche Feigheit gehabt, aus Furcht vor seinem Zorn, aus Angst auch vor dem stürmischen Drängen Ihres Vaters, auf und davon zu gehen; daß er entschlossen sei, nicht zurückzukehren, sondern ruhig abzuwarten, welchen Austrag die Sache finden würde. Das schien meinem Vater eine wahre Freudenbotschaft zu sein. Wenn er bei einem Streit vor Gericht sich nicht seinem Sohn gegenübersehen würde, so war für ihn, schien es, Alles gut, Alles gewonnen; ich sah jetzt, wie sehr er gefürchtet hatte, Ludwig’s Leidenschaft für Lily, Ludwig’s Widersetzlichkeit und Auflehnung wider ihn könnten ihm das Spiel verderben. Als er gehört, daß sein Sohn nicht Stirn gegen Stirn ihm entgegentreten werde, ward Alles, was ich sprechen konnte, Schall und Rauch.“

„Ich kann mir denken,“ versetzte Aurel, „daß Ludwig’s Erklärung vor Gericht seine letzte Furcht war, nachdem er sich dessen, was er sonst zu fürchten, glücklich bemächtigt …“

„Bemächtigt? Wessen hätte er sich bemächtigt?“

„Es wird mir schwer, es Ihnen mitzutheilen; es ist bitter, einer Tochter Dinge von ihrem Vater zu gestehen …“

„Um Gotteswillen, sprechen Sie weiter, Aurel!“

„Ich muß es, und darum sei es! Ihr Vater bedient sich eines gewissen Becker zu Diensten persönlicher Art …“

„Ich weiß, ich weiß; der Mensch war mir immer so verhaßt.“

„Der Mensch ist in Intimität mit dem Wirth des Hotels, in welchem mein Vater und Lily wohnten, bemerkt worden. Dieser Wirth ist ein höchst fragwürdiger Charakter. Nun wohl, im Hause dieses Mannes sind meinem Vater Ludwig’s und Lily’s Heiraths-Documente gestohlen worden.“

„Um Gotteswillen!“ rief Regina, in unsäglichem Erschrecken die Hände zusammenschlagend, „das ist ja fürchterlich.“

„Sie wissen ja,“ fuhr Aurel fort, „Ihr Vater behauptet, diese Documente existirten nicht oder seien gefälscht. Auch dem Herzog hat er dies ausgesprochen. Der Herzog hatte deshalb die Documente von mir verlangt. Er wollte sie heute Ihrem Vater vorlegen – vielleicht wollte er sich, unter dem Eindruck der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_323.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)